Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts eine Vorlage des Niedersächsischen Finanzgerichts für unzulässig erklärt. Das Vorlageverfahren betrifft die Frage, ob das Solidaritätszuschlaggesetz 1995 in der für das Streitjahr 2007 gültigen Fassung (SolZG 1995) mit dem Grundgesetz vereinbar ist. 

Die Vorlage ist unzulässig, weil die Ausführungen im Vorlagebeschluss nicht mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass das vorlegende Gericht die Verfassungsmäßigkeit der vorgelegten Normen des SolZG 1995 sorgfältig geprüft hat. Hinsichtlich der von ihm angenommenen Ungleichbehandlung legt das vorlegende Gericht zudem nicht hinreichend dar, inwiefern diese entscheidungserheblich für das Ausgangsverfahren ist.

Sachverhalt: 

Nach dem SolZG 1995 wird ein Solidaritätszuschlag von 5,5 % der Bemessungsgrundlage als Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer erhoben. Im Fall einer Veranlagung zur Einkommen- oder Körperschaftsteuer bemisst sich der Zuschlag nach der nach § 3 Abs. 2 SolZG 1995 berechneten Einkommensteuer oder der festgesetzten Körperschaftsteuer. Die nach § 3 Abs. 2 SolZG 1995 ermittelte Einkommensteuer weicht von der festgesetzten Einkommensteuer nur insoweit ab, als abweichend von § 2 Abs. 6 Einkommensteuergesetz (EStG) die Kinderfreibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG stets zu berücksichtigen sind. Weitere Abweichungen sind nicht vorgesehen. 

Die Erhebung von Ergänzungsabgaben im Allgemeinen und des Solidaritätszuschlags nach dem SolZG 1995 im Besonderen war bereits mehrfach Gegenstand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. 

Insbesondere befasste sich das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 9. Februar 1972 (BVerfGE 32, 333) grundlegend mit der Verfassungsmäßigkeit von Ergänzungsabgaben. Danach sei der Bund nicht berechtigt, unter der Bezeichnung „Ergänzungsabgabe“ eine Steuer einzuführen, die den Vorstellungen widerspreche, die der Verfassungsgeber erkennbar mit dem Charakter einer solchen Abgabe verbunden habe. So müsse sich eine Ergänzungsabgabe etwa in einem angemessenen Verhältnis zur Einkommen- und Körperschaftsteuer halten. Hingegen sei es von Verfassungs wegen nicht geboten, eine Ergänzungsabgabe von vornherein zu befristen. Das Bundesverfassungsgericht ließ ausdrücklich offen, ob sich ein verfassungsrechtlicher Zwang zur Aufhebung der Ergänzungsabgabe dann ergebe, wenn die Voraussetzungen für die Erhebung dieser Abgabe evident entfielen, etwa weil die dem Bund im vertikalen Finanzausgleich zufallenden Steuern, möglicherweise nach einer grundsätzlichen Steuer- und Finanzverfassungsreform, zur Erfüllung seiner Aufgaben offensichtlich ausreichten. 

Der Kläger des Ausgangsverfahrens bezog im Veranlagungszeitraum 2007 inländische Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit sowie inländische und ausländische Einkünfte aus Kapitalvermögen. Das Finanzamt setzte den Solidaritätszuschlag für den Veranlagungszeitraum 2007 gegenüber dem Kläger fest. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Sprungklage, der das Finanzamt zustimmte. Zur Begründung der Klage machte er geltend, der Solidaritätszuschlag dürfe, weil er eine Ergänzungsabgabe sei, nur ausnahmsweise und nicht auf Dauer erhoben werden. 

Mit Beschluss vom 25. November 2009 setzte das Niedersächsische Finanzgericht das Verfahren erstmals aus und legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage vor, ob das SolZG 1995 in der für das Streitjahr 2007 geltenden Fassung verfassungswidrig sei. Das Bundesverfassungsgericht verwarf die Vorlage mit Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 8. September 2010 (BVerfGK 18, 26) als unzulässig, da sie nicht den gesteigerten Anforderungen an eine Begründung für die Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit einer Ergänzungsabgabe genüge und das vorlegende Gericht wesentliche Zusammenhänge der Begründung der verfassungsgerichtlichen Entscheidung vom 9. Februar 1972 außer Acht lasse. 

Mit Beschluss vom 21. August 2013 hat das Niedersächsische Finanzgericht das Verfahren erneut ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob das SolZG 1995 in der für das Streitjahr 2007 geltenden Fassung verfassungswidrig ist. Zur Begründung führt es im Wesentlichen aus, die Regelung zur Bemessungsgrundlage des Solidaritätszuschlags (§ 3 SolZG 1995) verstoße gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG), weil sie in Verbindung mit § 35 EStG von den nach verfassungsrechtlichen Vorgaben insoweit gleich zu behandelnden Gruppen der gewerblichen und der nichtgewerblichen Einkünfte lediglich die gewerblichen Einkünfte durch eine Reduzierung der Bemessungsgrundlage teilweise von dem Solidaritätszuschlag entlaste. Entsprechendes gelte für ausländische Einkünfte, die in Verbindung mit § 34c EStG beziehungsweise § 26 Körperschaftsteuergesetz (KStG) durch eine Reduzierung der Bemessungsgrundlage zum Teil von dem Solidaritätszuschlag entlastet und dadurch gegenüber inländischen Einkünften begünstigt würden. Für die angeführte Ungleichbehandlung fehlten hinreichend tragfähige Rechtfertigungsgründe. Überdies stelle der Solidaritätszuschlag nach dem SolZG 1995 keine zulässige Ergänzungsabgabe im Sinne der Art. 105 Abs. 2, Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG mehr dar. Die Gesetzgebungs- beziehungsweise die „Gesetzfortführungskompetenz“ für den Solidaritätszuschlag sei im Streitjahr 2007 entfallen. Die Entscheidung des Rechtsstreits hänge davon ab, ob und inwieweit das SolZG 1995 für das Jahr 2007 gültig sei. 

Wesentliche Erwägungen der Kammer: 

Die Vorlage ist unzulässig. 

I. Gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GG hat ein Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unmittelbar einzuholen, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG hat das vorlegende Gericht darzulegen, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichts abhängig und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm sie unvereinbar ist. Die Ausführungen im Vorlagebeschluss müssen mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass das vorlegende Gericht sowohl die Entscheidungserheblichkeit der für verfassungswidrig gehaltenen Vorschrift als auch ihre Verfassungsmäßigkeit sorgfältig geprüft hat. 

Das vorlegende Gericht muss von der Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Norm überzeugt sein und die für diese Überzeugung maßgeblichen Erwägungen nachvollziehbar und erschöpfend darlegen. Zur Begründung der Entscheidungserheblichkeit der zur Prüfung gestellten Norm muss dargelegt werden, dass und aus welchen Gründen das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der für verfassungswidrig gehaltenen Rechtsvorschrift zu einem anderen Ergebnis kommen würde als im Falle ihrer Ungültigkeit. 

II. Nach diesen Maßstäben ist die Vorlage unzulässig. 

1. Die Ausführungen im Vorlagebeschluss lassen nicht mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, dass das vorlegende Gericht die Verfassungsmäßigkeit der vorgelegten Normen des SolZG 1995 sorgfältig geprüft hat. 

a) Bezüglich des vom vorlegenden Gericht angenommen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG erscheint es bereits zweifelhaft, ob § 3 SolZG 1995, welcher die Bemessungsgrundlage des Solidaritätszuschlags regelt, überhaupt eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung bewirkt. Denn § 3 SolZG 1995 unterscheidet gerade nicht zwischen gewerblichen und nichtgewerblichen oder zwischen inländischen und ausländischen Einkünften, sondern knüpft im Falle einer Veranlagung zur Einkommen- oder Körperschaftsteuer stets an die nach § 3 Abs. 2 SolZG 1995 berechnete Einkommensteuer oder die festgesetzte Körperschaftsteuer an. Eine Ungleichbehandlung könnte sich daher allenfalls mittelbar aus dem Zusammenspiel von § 3 SolZG 1995 und dem Ermäßigungstatbestand des § 35 EStG beziehungsweise den in § 34c EStG und § 26 KStG vorgesehenen Steuerermäßigungen ergeben. Ob diese mittelbaren Auswirkungen von Normen des Einkommen- und Körperschaftsteuerrechts jedoch im Rahmen des Solidaritätszuschlags zu einer rechtfertigungsbedürftigen Ungleichbehandlung führen, erscheint fraglich. Denn die Fortwirkung von einkommen- beziehungsweise körperschaftsteuerlichen Ermäßigungen entspricht gerade dem Wesen einer Ergänzungsabgabe. Wesensprägendes Merkmal einer Ergänzungsabgabe im Sinne von Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG ist ihr akzessorischer Charakter. Sie baut auf der Systematik von Einkommen- und Körperschaftsteuer auf und stellt im Ergebnis eine Verschärfung dieser Steuern dar. Bemessungsgrundlage des Solidaritätszuschlags ist dementsprechend nicht das zu versteuernde Einkommen, sondern die darauf anfallende Einkommen- beziehungsweise Körperschaftsteuer. Auf diese Umstände geht der Vorlagebeschluss in keiner Weise ein. 

Ob sich das vorlegende Gericht vor diesem Hintergrund hinreichend mit dem Vorliegen einer rechtfertigungsbedürftigen Ungleichbehandlung auseinandergesetzt hat, kann aber im Ergebnis dahinstehen. Denn jedenfalls fehlt es an einer sorgfältigen Prüfung möglicher Rechtfertigungsgründe für die vom vorlegenden Gericht angenommene Ungleichbehandlung. 

Soweit das vorlegende Gericht der Argumentation des Bundesfinanzhofs entgegentritt, wonach die durch die Steuerermäßigung des § 35 EStG bewirkte Ungleichbehandlung von gewerblichen Einkünften gegenüber anderen Einkunftsarten hinsichtlich der dadurch bewirkten Minderung der Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag unter anderem durch die Kompensation der Zusatzbelastung aufgrund der Gewerbesteuer gerechtfertigt sei (BFH, Urteil vom 21. Juli 2011 – II R 50/09 -, juris, Rn. 40), lässt das vorlegende Gericht die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers unberücksichtigt. Es führt aus, eine Rechtfertigung der von ihm angenommenen Ungleichbehandlung durch eine besondere Lastentragung der Gewerbetreibenden komme nicht in Betracht, weil es sich insoweit um eine Überkompensation der Gewerbesteuerbelastung handele. Dabei geht es nicht darauf ein, dass nach den Ausführungen des Bundesfinanzhofs eine Überkompensation der Gewerbesteuerbelastung überhaupt nur bei einer überschaubaren Anzahl von Gewerbebetrieben eintreten konnte. Diese Überkompensation ist nach Auffassung des Bundesfinanzhofs eine Folge der gesetzlichen Typisierung, die wegen ihrer Größenordnung und der Intention des Gesetzgebers verfassungsrechtlich zulässig gewesen sei. 

Im Hinblick auf die von dem vorlegenden Gericht angenommene Ungleichbehandlung von inländischen gegenüber ausländischen Einkünften setzt es sich nicht hinreichend mit der vielschichtigen Problematik der internationalen Doppelbesteuerung auseinander.

Schließlich prüft das vorlegende Gericht auch nicht, inwieweit die von ihm angenommene Ungleichbehandlung im vorliegenden Fall durch Vereinfachungszwecke gerechtfertigt sein könnte. Dies läge insofern nahe, als sich die Bundesregierung im Hinblick auf die Auswirkungen von § 35 EStG und § 34c EStG beziehungsweise § 26 KStG auf die Bemessungsgrundlage des Solidaritätszuschlags auf Vereinfachungsgründe beruft. 

b) Soweit das vorlegende Gericht meint, der Solidaritätszuschlag nach dem SolZG 1995 stelle keine zulässige Ergänzungsabgabe im Sinne der Art. 105 Abs. 2, Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG mehr dar, fehlt es an einer argumentativen Auseinandersetzung mit Rechtsprechung und Literatur. Insbesondere berücksichtigt das vorlegende Gericht nicht das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 21. Juli 2011 (BFHE 234, 250), welches sich auf dasselbe Streitjahr wie das Ausgangsverfahren bezieht und die Verfassungskonformität des SolZG 1995 im Streitjahr 2007 mit ausführlicher Begründung bejaht. 

Die Annahme des vorlegenden Finanzgerichts, der Solidaritätszuschlag habe aufgrund der umfassenden und auf Dauer angelegten Steuerermäßigungen in den letzten Jahren entfallen müssen, wird zudem auch durch seinen zweiten Vorlagebeschluss nicht hinreichend begründet. Die aufgeführten punktuellen Steuersenkungen erreichen für sich betrachtet bei Weitem nicht den Umfang der jährlich durch den Solidaritätszuschlag erzielten Einnahmen in Höhe von über 10 Milliarden Euro und lassen daher nicht darauf schließen, dass die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag für den Bund entbehrlich waren. 

2. Hinsichtlich der vom vorlegenden Gericht angenommenen Ungleichbehandlung legt es darüber hinaus nicht hinreichend dar, inwiefern diese entscheidungserheblich für das Ausgangsverfahren ist. Aus dem Vorlagebeschluss wird nicht hinreichend ersichtlich, dass im Fall einer Beanstandung von § 3 SolZG 1995 durch das Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit besteht, dass der Gesetzgeber eine für den Kläger des Ausgangsverfahrens günstige Regelung schafft. 

Der Gesetzgeber dürfte vorliegend aus Rechtsgründen gehindert sein, eine für den Kläger des Ausgangsverfahrens günstige Regelung zu schaffen. Sowohl § 35 EStG als auch § 34c EStG und § 26 KStG entlasten die hiervon begünstigten Steuerpflichtigen im Rahmen der Einkommensteuer beziehungsweise Körperschaftsteuer – und dadurch mittelbar auch im Rahmen des Solidaritätszuschlags –, um eine anderweitige steuerliche Belastung durch die Gewerbesteuer beziehungsweise ausländische Steuern auszugleichen. Die Höhe der Entlastung ist dabei unterschiedlich und variiert zwischen den Begünstigten erheblich. Es bleibt daher unklar, wie eine einheitliche Entlastung aller Steuerpflichtigen bei der Erhebung des Solidaritätszuschlags aussehen könnte. Eine zusätzliche Belastung, die ausgeglichen werden könnte, existiert bei den nicht begünstigten Steuerpflichtigen gerade nicht. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Beseitigung der vom vorlegenden Gericht angenommenen Ungleichbehandlung leistungsfähigkeitsgerecht nur möglich, indem die Anwendung der einkommen- und körperschaftsteuerrechtlichen Entlastungsregelungen im Rahmen des Solidaritätszuschlags ausgeschlossen wird. Eine solche Regelung würde den Kläger des Ausgangsverfahrens jedoch in keiner Weise begünstigen.

Beschluss vom 07. Juni 2023
2 BvL 6/14

(c) BVerfG, 07.07.2023

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