Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass mehrere Vorschriften des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern (Sicherheits- und Ordnungsgesetz – SOG MV) mit dem Grundgesetz unvereinbar sind. Einige der darin geregelten polizeilichen Ermittlungsbefugnisse verletzen in ihrer konkreten Ausgestaltung die Grundrechte der Beschwerdeführenden, namentlich das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Schutz der informationellen Selbstbestimmung, teils auch in seiner Ausprägung als Schutz der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) sowie die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG).

Die angegriffenen Vorschriften sind vor allem deshalb zum Teil verfassungswidrig, weil sie den in ständiger Rechtsprechung konkretisierten Anforderungen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne an heimliche Überwachungsmaßnahmen der Polizei nicht vollständig genügen. Verfassungsrechtlich unzureichend sind sie auch mit Blick auf den erstmals näher konturierten Kernbereichsschutz beim gefahrenabwehrrechtlichen Einsatz von Vertrauenspersonen und verdeckt Ermittelnden sowie die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen der heimlichen Wohnungsbetretung durch die Polizei zur Vorbereitung einer Online-Durchsuchung oder einer Quellen-Telekommunikationsüberwachung. Ein Teil der verfassungswidrigen Vorschriften wird nicht für nichtig, sondern lediglich für mit der Verfassung unvereinbar erklärt – verbunden mit der Anordnung ihrer befristeten Fortgeltung. Denn die Gründe für die Verfassungswidrigkeit dieser Vorschriften betreffen nicht den Kern der mit ihnen eingeräumten Befugnisse, sondern einzelne Aspekte ihrer rechtsstaatlichen Ausgestaltung, die der Gesetzgeber nachbessern und so den Kern der mit den Vorschriften verfolgten Ziele auf verfassungsmäßige Weise verwirklichen kann.

  1. § 33 Abs. 2 SOG MV (Besondere Mittel der Datenerhebung) ist in Satz 1 und Satz 3, soweit dieser auf § 67c Halbsatz 1 Nr. 1 SOG MV verweist, verfassungswidrig, weil die Eingriffsvoraussetzungen hinter einer konkretisierten Gefahr zurückbleiben. Die in § 33 Abs. 2 SOG MV enthaltenen Verweisungen verstoßen hingegen nicht gegen das Gebot der Normenklarheit. Der Kernbereichsschutz nach § 26a Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 SOG MV, der für den Einsatz von Vertrauenspersonen oder verdeckt Ermittelnden nach § 33 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 3 und 4 SOG MV eine Ausnahme von der Abbruchpflicht bei Eindringen in den Kernbereich privater Lebensgestaltung regelt, genügt in seiner konkreten Ausgestaltung nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen.
  2. § 33b Abs. 1 Satz 2 SOG MV (Wohnraumüberwachung) ist verfassungswidrig, weil die Eingriffsschwelle nicht dem Erfordernis einer dringenden Gefahr aus Art. 13 Abs. 4 GG genügt.
  3. § 33c Abs. 1 Satz 2 SOG MV (Online-Durchsuchung) ist verfassungswidrig, soweit danach in Verbindung mit § 67a Abs. 1 und § 67c Halbsatz 1 Nr. 1 SOG MV die konkretisierte Gefahr der Begehung einer Vorfeldtat für die Durchführung einer Online-Durchsuchung genügen kann. In ihrer konkreten Ausgestaltung genügt auch die Ermächtigung in § 33c Abs. 5 Alternative 2 SOG MV (Heimliche Wohnungsbetretung und -durchsuchung) nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen, weil nicht hinreichend bestimmt geregelt ist, dass dies der Abwehr einer konkretisierten Gefahr dienen muss.
  4. § 33d Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SOG MV in Verbindung mit § 67a Abs. 1 und § 67c Halbsatz 1 Nr. 1 SOG MV (Telekommunikationsüberwachung) und § 33d Abs. 3 Satz 3 in Verbindung mit § 33c Abs. 5 Alternative 2 SOG MV (Heimliche Wohnungsbetretung und -durchsuchung) sind aus denselben Gründen verfassungswidrig wie die entsprechenden Regeln zur Online-Durchsuchung.
  5. § 35 Abs. 1 SOG MV (Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung) ist mangels Gesetzgebungskompetenz des Landesgesetzgebers formell verfassungswidrig, soweit § 35 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Nr. 4 SOG MV die Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straftaten umfasst. § 35 Abs. 1 Satz 1 SOG MV ist auch materiell verfassungswidrig, weil keine den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechende Kombination von Eingriffsschwelle und zu schützendem Rechtsgut vorausgesetzt wird. Das gilt auch für § 35 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 67a Abs. 1 SOG MV, soweit § 67a Abs. 1 SOG MV auf § 67c Halbsatz 1 Nr. 1 SOG MV verweist.
  6. § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SOG MV (Rasterfahndung) ist verfassungswidrig, weil die Vorschrift keine konkrete Gefahr voraussetzt und nicht den Anforderungen des Gebots der Normenklarheit genügt.

§ 33 Abs. 2 Satz 3, § 33c Abs. 1 Satz 2, § 33d Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und § 35 Abs. 1 Satz 2 jeweils in Verbindung mit § 67a Abs. 1, soweit darin auf § 67c Halbsatz 1 Nr. 1 verwiesen wird, sowie § 33b Abs. 1 Satz 2 und § 35 Abs. 1 Satz 1, soweit er die Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straftaten umfasst, und § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SOG MV sind nichtig. Im Übrigen sind die beanstandeten Vorschriften mit dem Grundgesetz unvereinbar und gelten vorübergehend – mit Blick auf die betroffenen Grundrechte jedoch nach einschränkenden Maßgaben – bis zum Ablauf des 31. Dezember 2023 fort.

Sachverhalt:

Am 5. Juni 2020 traten Neuregelungen verschiedener Ermittlungsbefugnisse der Ordnungs- und Polizeibehörden des Landes Mecklenburg-Vorpommern im SOG MV in Kraft. Die Beschwerdeführenden, eine für als terroristisch oder extremistisch eingestufte Personen tätige Rechtsanwältin, ein in den Bereichen politischer Extremismus und Migration tätiger Journalist, eine Klima- und Umwelt-Aktivistin, ein in einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende tätiger Sozialarbeiter mit Kontakten in die Fußball-Fan-Szene und eine weitere Person aus der Fußball-Fan-Szene, wenden sich gegen mehrere dieser Ermittlungsbefugnisse, beanstanden aber überwiegend nur Teile der Vorschriften.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig. Soweit sie zulässig ist, ist sie weitgehend begründet.

  1. § 33 Abs. 2 SOG MV (Besondere Mittel der Datenerhebung)

a) § 33 Abs. 2 Satz 1 und 3 SOG MV ermächtigt die Polizeibehörden zum Einsatz besonderer, in Absatz 1 aufgelisteter Mittel der Datenerhebung (längerfristige Observation, verdeckter Einsatz technischer Mittel, Einsatz von Vertrauenspersonen und von verdeckt Ermittelnden). Die hierdurch ermöglichten Eingriffe jedenfalls in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung können erhebliches Gewicht haben, können aber grundsätzlich zur Abwehr entsprechend gewichtiger Gefahren verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Im Ergebnis genügen die in § 33 Abs. 2 Satz 1 und Satz 3 SOG MV vorgesehenen Eingriffsschwellen jedoch nicht den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne.

Satz 1 der Vorschrift setzt voraus, dass „Tatsachen die Annahme der Begehung“ bestimmter Straftaten rechtfertigen. Dies bleibt hinter den Anforderungen an eine wenigstens konkretisierte Gefahr zurück.

Auch die Eingriffsschwelle für die Anwendung besonderer Mittel der Datenerhebung zur Terrorismusverhütung (§ 33 Abs. 2 Satz 3 in Verbindung mit § 67a Abs. 1 und § 67c Halbsatz 1 Nr. 1 SOG MV) genügt nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen, weil danach hinsichtlich der nötigen Gefahrenlage die Prognose der Verwirklichung eines der in § 67c Halbsatz 1 Nr. 1 SOG MV genannten Straftatbestände maßgeblich ist, der auch Vorfeldtaten erfasst, bei denen mit der Tatbestandsverwirklichung nicht zwangsläufig bereits eine wenigstens konkretisierte Gefahr für die tatbestandlich geschützten Rechtsgüter einhergeht.

b) Die Regelung zum Kernbereichsschutz beim Einsatz von verdeckt Ermittelnden und Vertrauenspersonen in § 26a Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 SOG MV ist verfassungswidrig. Die hier allein zu überprüfende Ausnahme von der Pflicht, eine Maßnahme abzubrechen, wenn während der Erhebung Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erfasst werden, genügt in ihrer konkreten Ausgestaltung nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen.

aa) Der Einsatz von Vertrauenspersonen und verdeckt Ermittelnden kann den Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffen, soweit die Zielpersonen kernbereichsrelevante Informationen preisgeben. Darüber hinaus kann eine Interaktion von verdeckt Ermittelnden und Vertrauenspersonen mit einer Zielperson unter besonderen Voraussetzungen bereits als solche den Kernbereich privater Lebensgestaltung berühren, ohne dass es auf den Inhaltder hierdurch erlangten Informationen ankäme. Jedenfalls wenn zum Aufbau oder zum Erhalt des notwendigen Vertrauensverhältnisses intime Beziehungen oder vergleichbar engste persönliche Bindungen begründet oder fortgeführt würden, die ansonsten nur Familienangehörige, Partner oder allerengste Freunde haben, griffe dies in aller Regel schon deshalb in den Kernbereich privater Lebensgestaltung der Zielperson ein.

bb) Dem Kernbereichsschutz muss bei der Durchführung von Überwachungsmaßnahmen auf zwei Ebenen Rechnung getragen werden: Zum einen sind auf der Ebene der Datenerhebung Vorkehrungen zu treffen, die nach Möglichkeit ausschließen, dass Kernbereichsinformationen miterfasst werden. Zum anderen sind auf der Ebene der nachgelagerten Auswertung und Verwertung die Folgen, wenn dennoch der Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt ist, strikt zu minimieren.

Auf der Ebene der Datenerhebung ist zunächst absolut ausgeschlossen, dass Vertrauenspersonen und verdeckt Ermittelnde gezielt Informationen aus dem Kernbereich abschöpfen. Unzulässig ist es demnach auch, eine Beziehung zu der Zielperson aufzubauen, die für diese kernbereichsrelevant ist. Ausgeschlossen wären etwa das staatlich veranlasste Eingehen einer intimen Beziehung zum Zweck der Informationsgewinnung oder der Einsatz einer Person als Vertrauensperson gegenüber der eigenen Ehepartnerin oder dem eigenen Ehepartner. Auch darüber hinaus ist jedes Eindringen in den Kernbereich zu vermeiden, soweit dies mit praktisch zu bewältigendem Aufwand möglich ist. Wenn eine Maßnahme dennoch den Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt, muss die kernbereichsrelevante Kommunikation oder Interaktion grundsätzlich abgebrochen werden. Allerdings sind Konstellationen vorstellbar, in denen der Einsatz von Vertrauenspersonen und verdeckt Ermittelnden vor Ort nicht ohne Inkaufnahme erheblicher Nachteile sofort beendet werden kann. Verdeckt Ermittelnde und Vertrauenspersonen können aufgrund der Art und Weise ihrer Ermittlung in so nahen Kontakt mit Zielpersonen kommen, dass ein Abbruch der Maßnahme sie selbst, ihren weiteren Einsatz oder ihre künftige Verwendung gefährden könnte. Vor diesem Hintergrund kann eine Ausnahme vom Abbruchgebot verfassungsrechtlich zu rechtfertigen sein. Das gilt jedenfalls, wenn ansonsten – konkret darlegbar – Leib oder Leben der Vertrauenspersonen und verdeckt Ermittelnden in Gefahr gerieten. Verfassungsrechtlich anzuerkennen ist aber auch das ermittlungstechnische Bedürfnis, den weiteren Einsatz von Vertrauenspersonen und verdeckt Ermittelnden zu sichern.

Auf der Auswertungs- und Verwertungsebene sind weitere Vorkehrungen zu treffen, um kernbereichsrelevante Informationen vor deren Verwendung durch die Polizei herauszufiltern. Ist eine Vertrauensperson eingesetzt, muss zunächst diese selbst vor der Weitergabe von Informationen an den V-Person-Führer prüfen, ob durch die Informationen oder die Art und Weise, in der sie erlangt wurden, der Kernbereich privater Lebensgestaltung der überwachten Person berührt ist. Außerdem muss der V-Person-Führer die Kernbereichsrelevanz der Informationen überprüfen, bevor sie zur Verwertung weitergegeben werden. Auch verdeckt Ermittelnde müssen die Kernbereichsrelevanz der erlangten Informationen selbst überprüfen, bevor sie diese weiterer polizeilicher Verwertung überlassen. Eine Sichtung durch eine unabhängige Stelle ist angesichts dieser Überprüfungsmöglichkeiten verzichtbar. Doch ist sicherzustellen, dass in Zweifelsfällen eine Klärung der Kernbereichsrelevanz zumindest durch die behördlichen Datenschutzbeauftragten erfolgt. In jedem Fall ist ein Eindringen in den Kernbereich privater Lebensgestaltung zu dokumentieren.

cc) § 26a Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 SOG MV genügt dem nicht. Soweit die Vorschrift einen Gefährdungsvorbehalt zum Schutz von verdeckt Ermittelnden oder Vertrauenspersonen vorsieht, bleibt unklar, welche Gefährdungen an welchen Rechtsgütern die Ausnahme von der Abbruchpflicht begründen können. Die Fortsetzung einer den grundrechtsgeschützten Kernbereich berührenden Maßnahme zu deren Schutz ist aber nur zu rechtfertigen, wenn für sie eine Gefahr für Leib oder Leben besteht. Daneben fehlen die verfassungsrechtlich gebotenen Vorkehrungen auf der Auswertungs- und Verwertungsebene. So ist keine Pflicht der verdeckt Ermittelnden und der Vertrauenspersonen und ihrer V-Person-Führer geregelt, im Fall eines unterbliebenen Abbruchs die Kernbereichsrelevanz vor der Weitergabe der Information zur Verwertung zu überprüfen. Auch die erforderlichen Löschungs- und Dokumentationspflichten, insbesondere die Fortsetzung einer Überwachung trotz Kernbereichsrelevanz, sind nicht hinreichend bestimmt und normenklar geregelt.

  1. § 33b Abs. 1 Satz 2 SOG MV (Wohnraumüberwachung)

§ 33b Abs. 1 Satz 2 SOG MV ermächtigt die Polizei zur akustischen und optischen Wohnraumüberwachung. Die präventive Eingriffsbefugnis des § 33b SOG MV ist an den Anforderungen des Art. 13 Abs. 4 GG zu messen. Dieser erlaubt eine akustische und optische Wohnraumüberwachung nur zur Abwehr einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Diesen Anforderungen wird § 33b Abs. 1 Satz 2 SOG MV nicht gerecht. Die Vorschrift ermächtigt zur Wohnraumüberwachung unter den Voraussetzungen des § 67a Abs. 1 SOG MV. Die darin vorgesehenen Eingriffsschwellen sind an den Voraussetzungen einer konkretisierten Gefahr orientiert. Die Anforderungen an eine dringende Gefahr im Sinne von Art. 13 Abs. 4 GG sind aber strenger. Hinzu kommt, dass auch insoweit durch den Verweis auf § 67a Abs. 1 in Verbindung mit § 67c Halbsatz 1 Nr. 1 SOG MV die konkretisierte Gefahr der Begehung einer Vorfeldtat ausreichen kann, was die Eingriffsschwelle in verfassungswidriger Weise weiter absenkt.

  1. § 33c Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 Alternative 2 SOG MV (Online-Durchsuchung)

§ 33c SOG MV erlaubt der Polizei, durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel in informationstechnische Systeme einzugreifen und aus ihnen Daten zu erheben (Online-Durchsuchung).

a) Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung eines Eingriffs in informationstechnische Systeme, um aus ihnen Daten zu erheben, setzt eine konkretisierte Gefahr einer Rechtsgutsverletzung voraus. Soweit § 33c Abs. 1 Satz 2 SOG MV in Verbindung mit § 67a Abs. 1 und § 67c Halbsatz 1 Nr. 1 SOG MV die konkretisierte Gefahr der Begehung einer Vorfeldtat für die Durchführung einer Online-Durchsuchung genügen lässt, ist dies keine verfassungsrechtlich ausreichende Eingriffsschwelle (siehe oben).

b) § 33c Abs. 5 Alternative 2 SOG MV ermächtigt die Gefahrenabwehrbehörden zum verdeckten Betreten und Durchsuchen von Wohnungen zur Durchführung der Online-Durchsuchung. Der durch diese heimliche Vorbereitungshandlung in der Wohnung erfolgende Eingriff in Art. 13 Abs. 1 GG kann nicht auf Art. 13 Abs. 2 GG gestützt werden, da dieser nur offene Durchsuchungen erlaubt. Dies ergibt sich sowohl aus der Entstehungsgeschichte als auch aus der Schutz- und Schrankensystematik dieses Grundrechts. So spricht gegen die Anwendung von Art. 13 Abs. 2 GG in systematischer Hinsicht, dass Absatz 2 keine dem besonderen Eingriffscharakter und -gewicht Rechnung tragenden materiellen Eingriffsvoraussetzungen nennt. Auch auf Art. 13 Abs. 3 GG (akustische Wohnraumüberwachung) oder Art. 13 Abs. 4 GG (Einsatz technischer Mittel zur Wohnraumüberwachung) lässt sich eine Ermächtigung zum heimlichen Betreten und Durchsuchen von Wohnungen zur Vorbereitung einer Online-Durchsuchung nicht stützen, weil diese andere Eingriffe regeln. Hingegen kommt Art. 13 Abs. 7 GG, die Schrankenregelung für Eingriffe und Beschränkungen des Wohnungsgrundrechts, die nicht von den Absätzen 2 bis 5 umfasst sind, als verfassungsrechtliche Grundlage für die durch § 33c Abs. 5 Alternative 2 SOG MV zur Vorbereitung einer Online-Durchsuchung erlaubte heimliche Wohnungsbetretung in Betracht. Das systematische Verhältnis von Absatz 7 zu den anderen Grundrechtsschranken des Art. 13 GG spricht für die Anwendung; zugleich konkretisieren sich angesichts der systematischen Einbindung in das Schutz- und Schrankensystem des Art. 13 GG die nach Absatz 7 für eine solche Betretensbefugnis geltenden Rechtfertigungsvoraussetzungen. Im Ergebnis kann auf dieser Grundlage ein Eingriff in Art. 13 Abs. 1 GG nur dann gerechtfertigt werden, wenn wenigstens eine konkretisierte Gefahr für ein Rechtsgut von sehr hohem Gewicht vorliegt und eine richterliche Anordnung erfolgt ist.

In ihrer konkreten Ausgestaltung genügt die Ermächtigung in § 33c Abs. 5 Alternative 2 SOG MV diesen Anforderungen nicht. Zwar sieht § 33c Abs. 6 SOG MV einen Richtervorbehalt vor. Die verfassungsrechtlich gebotenen sachlichen Eingriffsvoraussetzungen normiert § 33c Abs. 5 Alternative 2 SOG MV mangels einer näheren Regelung jedoch nicht hinreichend bestimmt.

  1. § 33d Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 3 SOG MV (Telekommunikationsüberwachung)

a) Die Befugnis zur Telekommunikationsüberwachung und zur Quellen-Telekommunikations-überwachung in § 33d Abs. 1 und 3 SOG MV ermöglicht Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis. Soweit durch den Verweis des § 33d Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SOG MV auf § 67a Abs. 1 in Verbindung mit § 67c Halbsatz 1 Nr. 1 SOG MV die konkretisierte Gefahr der Begehung einer Vorfeldtat für die Durchführung genügt, ist dies keine verfassungsrechtlich ausreichende Eingriffsschwelle (siehe oben).

b) Auch der Eingriff in Art. 13 Abs. 1 GG durch die Befugnis zum heimlichen Betreten und Durchsuchen von Wohnungen zur technischen Vorbereitung einer Quellen-Telekommunikationsüberwachung (§ 33d Abs. 3 Satz 3 in Verbindung mit § 33c Abs. 5 Alternative 2 SOG MV) ist wegen unzureichender Eingriffsvoraussetzungen verfassungsrechtlich nicht vollständig zu rechtfertigen (siehe oben).

  1. § 35 Abs. 1 SOG MV (Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung)

§ 35 Abs. 1 Satz 1 SOG MV ermächtigt die Polizei zur Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung und greift damit in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein.

a) Dieser Eingriff ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Es fehlt dem Landesgesetzgeber für § 35 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 SOG MV („vorbeugende Bekämpfung von Straftaten“) die Gesetzgebungskompetenz, soweit dieser in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Nr. 4 SOG MV auch die Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straftaten umfasst. Diese ist der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das gerichtliche Verfahren aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zuzuordnen. Der Bundesgesetzgeber hat insoweit mit § 163e StPO (Ausschreibung zur Beobachtung bei polizeilichen Kontrollen) von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz abschließend Gebrauch gemacht. § 163e StPO entfaltet gegenüber dem Landesrecht Sperrwirkung, weil er insoweit für den Bereich der Strafverfolgung einschließlich der Strafverfolgungsvorsorge abschließend ist.

b) Im Übrigen genügen die in § 35 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SOG MV formulierten Eingriffsvoraussetzungen nicht den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Die für die Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung formulierte Eingriffsschwelle (Tatsachen rechtfertigen die Annahme der Begehung einer Straftat) bleibt hinter der konkretisierten Gefahr zurück. Angesichts des etwas geringeren Eingriffsgewichts könnte dies verfassungsrechtlich hinnehmbar sein, wenn die Maßnahmen einem besonders gewichtigen Rechtsgut dienten. § 35 Abs. 1 Satz 1 SOG MV ist aber mit dem Verweis auf Straftaten von erheblicher Bedeutung nach § 49 SOG MV auch nicht auf den Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter beschränkt. Die Eingriffsschwelle des § 35 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 67a SOG MV genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen ebenfalls nicht, soweit § 67a SOG MV auf § 67c Halbsatz 1 Nr. 1 SOG MV verweist. Die damit in Bezug genommenen Straftatbestände lassen eine Situation ausreichen, die im Vorfeld der konkretisierten Gefahr liegt (siehe oben).

  1. § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 67a Abs. 1 SOG MV (Rasterfahndung)

§ 44 SOG MV ermächtigt die Polizei zur Anordnung der Übermittlung von personenbezogenen Daten bestimmter Personengruppen aus Dateisystemen zum Zweck des Abgleichs mit anderen Datenbeständen (Rasterfahndung) und ermöglicht damit Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

§ 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 67a Abs. 1 SOG MV normiert keine verfassungsrechtlich ausreichende Eingriffsschwelle. Die Rasterfahndung ist, anders als die meisten anderen heimlichen eingriffsintensiven Überwachungsmaßnahmen, bei denen eine konkretisierte Gefahr ausreicht, nur zur Abwehr einer konkreten Gefahr zu rechtfertigen. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Rasterfahndung keinen Bezug der betroffenen Personen zur abzuwehrenden Bedrohung aufweisen kann, weil die Rasterfahndung überhaupt erst der Herstellung eines solchen Bezuges dient. Die Rasterfahndung ist damit gegenüber einzelnen Betroffenen anlasslos. Die fehlende personelle Eingrenzbarkeit muss durch höhere Anforderungen an die Vorhersehbarkeit des Geschehens ausgeglichen werden.

Die Vorschrift des § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SOG MV erfüllt die verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht, da § 67a Abs. 1 SOG MV, auf den die Vorschrift verweist, lediglich eine konkretisierte Gefahr verlangt. Damit sind geringere Anforderungen an die Konkretisierung des zur befürchteten Rechtsgutsbeeinträchtigung führenden Geschehensverlaufs gestellt. Indem § 67a Abs. 1 SOG MV weiter auf § 67c Halbsatz 1 Nr. 1 SOG MV verweist, ist im Übrigen noch nicht einmal das Erfordernis einer konkretisierten Gefahr eingehalten, weil hiermit auch die Gefahr der Begehung von Vorfeldtaten ausreichen würde (siehe oben).

Darüber hinaus verstößt § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SOG MV gegen das Gebot der Normenklarheit. Die Vorschrift lässt die Rasterfahndung unter den Voraussetzungen des § 67a Abs. 1 SOG MV zu. Dieser ist aber in einer Weise formuliert, die den Besonderheiten der Rasterfahndung nicht gerecht wird. Denn die darin genannten Voraussetzungen beziehen sich auf eine bestimmte Person und die von dieser ausgehende mögliche Gefahren. Eine Rasterfahndung richtet sich hingegen gerade nicht gegen eine bestimmte Person.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, Pressemitteilung vom 1. Februar 2023

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