Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts den Antrag eines Streamers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Dieser richtet sich unter anderem gegen die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung in einem einstweiligen Verfügungsverfahren vor dem Landgericht.
Der Antragsteller unterhält auf der Streaming-Plattform „(…D1…)“ ein Nutzerkonto, dem über 300.000 Personen folgen. Dort veröffentlichte er seit vielen Jahren Live-Streams, die auch im Nachhinein abrufbar sind. Die Betreiberin von „(…D1…)“, die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens, sperrte das Nutzerkonto des Antragstellers, weil dieser einen anderen Streamer belästigt und psychisch unter Druck gesetzt habe. Gegen diese Kontosperrung wandte sich der Antragsteller mit einem Eilantrag an das Landgericht. Er beantragte, wegen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Das Landgericht bestimmte jedoch einen Termin zur mündlichen Verhandlung am 30. Januar 2024. Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seinem Eilantrag und beantragt zudem – insoweit deckungsgleich mit seinem Begehren im Ausgangsverfahren –, die Sperrung seines Nutzerkontos rückgängig zu machen.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unzulässig. Es fehlt an einer substantiierten und nachvollziehbaren Darlegung, dass dem Antragsteller bei ihrem Nichterlass ein schwerer Nachteil droht. Zudem hat der Antragsteller nicht dargelegt, dass eine in der Hauptsache erhobene Verfassungsbeschwerde nicht von vornherein unzulässig wäre. Soweit er sich gegen die Terminierung beziehungsweise die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung wendet, hat er insbesondere nicht vorgetragen, einen Antrag auf (Vor-)Verlegung des Termins gestellt zu haben. Soweit sein Begehren auf die Rückgängigmachung der Kontosperrung gerichtet ist, wäre eine Verfassungsbeschwerde mangels Rechtswegerschöpfung unzulässig.
Sachverhalt:
Der Antragsteller unterhält ein Nutzerkonto bei dem von der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens betriebenen Online-Dienst „(…D1…)“, einer Streaming-Plattform. Über dieses Nutzerkonto veröffentlicht er Live-Streams, die im Nachhinein auch im Wege des On-Demand-Streamings abrufbar sind. Seinem Nutzerkonto folgen über 300.000 Personen. Am 8. Dezember 2023 sperrte die Antragsgegnerin das Nutzerkonto des Antragstellers. Der Antragsteller habe in einem Live-Stream einen anderen Streamer belästigt und unter psychischen Druck gesetzt. Damit habe er gegen die Nutzungsbedingungen und Community-Richtlinien von „(…D1…)“ verstoßen.
Daraufhin wandte sich der Antragsteller an das Landgericht und beantragte, es der Antragsgegnerin zu verbieten, sein Nutzerkonto unbefristet zu sperren sowie die Antragsgegnerin zu verpflichten, sein Nutzerkonto in den Zustand vor der Sperrung zurückzuversetzen. Zudem beantragte er, wegen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Das Landgericht bestimmte jedoch einen Termin zur mündlichen Verhandlung am 30. Januar 2024. Der komplexe Fall könne nicht ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt der Antragsteller, die Terminsverfügung aufzuheben, sowie hilfsweise, dem Landgericht aufzugeben, unverzüglich ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Zudem beantragt er, die Antragsgegnerin zu verpflichten, sein Nutzerkonto unverzüglich zu entsperren, ihm die Nutzung sämtlicher Funktionen einzuräumen und die unbefristete Kontosperrung zu unterlassen. Insbesondere sei kein hinreichender Grund dafür ersichtlich, dem einstweiligen Verfügungsverfahren die Dringlichkeit abzusprechen und eine mündliche Verhandlung abzuwarten.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unzulässig.
1. Seiner Begründung ermangelt es bereits an einer substantiierten und nachvollziehbaren Darlegung, dass dem Antragsteller für den Fall, dass eine einstweilige Anordnung nicht erlassen wird, ein schwerer Nachteil droht. Verfolgt der in seiner Meinungsfreiheit Betroffene die Wiederherstellung seiner Kommunikationsfreiheit, hat er hierfür vorrangig um fachgerichtlichen Eilrechtsschutz nachzusuchen. Daher bedarf es im Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Anordnung vor dem Bundesverfassungsgericht der Darlegung gerade solcher Nachteile, die es rechtfertigen, beschleunigend in die Verfahrensabläufe der Fachgerichte einzugreifen. Hierzu trägt der Antragsteller indes nichts vor. Vielmehr beschränkt er sich auf die Darlegung von Nachteilen, die ihm durch die Vorenthaltung einer stattgebenden Eilentscheidung in der Sache drohten, wie er sie im Ausgangsverfahren verfolgt.
2. Unbeschadet dessen hat der Antragsteller aber auch nicht dargelegt, dass eine in der Hauptsache erhobene Verfassungsbeschwerde nicht von vornherein unzulässig wäre.
a) Das gilt zunächst, soweit der Antragsteller die Terminierung auf den 30. Januar 2024 beanstandet beziehungsweise die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung als solche.
aa) Die selbständige Anfechtung einer gerichtlichen Zwischenentscheidung im Wege der Verfassungsbeschwerde ist nur dann zuzulassen, wenn ein dringendes schutzwürdiges Interesse daran besteht, dass über die Verfassungsmäßigkeit der Zwischenentscheidung sofort und nicht erst in Verbindung mit der Überprüfung der Endentscheidung erkannt wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob die Zwischenentscheidung für den Betroffenen bereits einen bleibenden rechtlichen Nachteil nach sich zieht, der nicht mehr oder nicht vollständig behoben werden könnte. Das ist unter Anwendung der hier anzulegenden strengen Maßstäbe nicht ausreichend dargetan.
bb) Dem Grundsatz der Subsidiarität genügte das Vorbringen des Antragstellers auch insoweit von vornherein nicht, als er nicht darlegt, auch nur einen Antrag auf (Vor-)Verlegung des Termins vom 30. Januar 2024 gestellt zu haben.
cc) Von vornherein unzulässig wäre eine Verfassungsbeschwerde aber auch insoweit, als sich der Antragsteller mit der Handhabung der Verfahrensvorschrift des § 937 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) durch das Landgericht nicht auseinandersetzt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben die Fachgerichte für die Beurteilung, wann ein dringender Fall im Sinne der genannten Vorschrift vorliegt und damit auf eine mündliche Verhandlung verzichtet werden kann, einen weiten Wertungsrahmen.
Diese verfassungsrechtlichen Maßstäbe nimmt der Antragsteller nicht in den Blick. Ebenso setzt er sich mit der Begründung des Landgerichts für die Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar auseinander. So geht er nicht auf die seitens des Landgerichts geäußerten Bedenken an der Entscheidungsreife seiner Anträge mangels Schlüssigkeit des Antragsumfangs, mangels konkreter Darstellung des Inhalts seines zur Sperre führenden Live-Stream-Beitrags und mangels Vorlage sämtlicher Anlagen ein. Soweit er meint, der Sachverhalt sei „in Umfang und Komplexität überschaubar und ohne mündliche Verhandlung zu bewerkstelligen“, steht dies in einem unaufgelösten Widerspruch zu den in seiner 79-seitigen Antragsschrift selbst angebrachten Hinweisen, wonach der Antrag, unter anderem im Hinblick auf die Frage der Anwendung US-amerikanischen Rechts, „in seiner Komplexität – in tatsächlicher und rechtlicher Sicht – äußerst umfassend“ sei.
b) Soweit der Antragsteller auf den Schutz der Meinungsfreiheit und der Kunstfreiheit gerichtete Rechtsschutzziele verfolgt, die mit jenen seines erstinstanzlichen Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vor dem Landgericht identisch sind, wäre eine hierauf bezogene Verfassungsbeschwerde bereits mangels Erschöpfung des Rechtswegs unzulässig. Eine der seltenen Ausnahmen, in denen unter Anlegung eines strengen Maßstabs von diesem Erfordernis ausnahmsweise abzusehen wäre, ist nicht dargetan.
Beschluss vom 15. Januar 2024
1 BvQ 1/24
(c) Bundesverfassungsgericht, 25.01.2024