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Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts zwei Verfassungsbeschwerden stattgegeben.
Die Beschwerdeführer befinden sich wegen des dringenden Tatverdachts insbesondere des versuchten Mordes in zehn tateinheitlichen Fällen seit dem 1. Juli 2023 bzw. seit dem 14. Juli 2023 in Untersuchungshaft. Die Hauptverhandlung begann am 3. Mai 2024. Die Beschwerdeführer richten sich mit ihren Verfassungsbeschwerden gegen einen Beschluss des Oberlandesgerichts vom 11. Dezember 2024, mit welchem es ihre Beschwerden gegen einen den Haftbefehl aufrechterhaltenden und die Fortdauer der Untersuchungshaft anordnenden Beschluss des Landgerichts verwarf. Die Verfassungsbeschwerden haben Erfolg.
Der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts genügt nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründung von Haftfortdauerentscheidungen. Er zeigt keine besonderen Umstände auf, die die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft im Streitfall verfassungsrechtlich hinnehmbar erscheinen lassen könnten, und verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Grundgesetz (GG).
Die Kammer hat den Beschluss unter Zurückverweisung der Sache aufgehoben.
Sachverhalt:
Die Beschwerdeführer befinden sich wegen des dringenden Tatverdachts insbesondere des versuchten Mordes in zehn tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung seit dem 1. Juli 2023 bzw. seit dem 14. Juli 2023 in Untersuchungshaft. Das Landgericht eröffnete mit Beschluss vom 3. April 2024 das Hauptverfahren und ordnete die Haftfortdauer an. Die Vorsitzende bestimmte den ersten Hauptverhandlungstermin auf den 3. Mai 2024. Dabei setzte sie zunächst sechs Hauptverhandlungstermine im Zeitraum vom 3. Mai bis zum 24. Juni 2024 an und bestimmte im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung sukzessive weitere 15 Termine bis zum 17. Dezember 2024, mithin insgesamt 21 Termine.
Die Verteidiger der Beschwerdeführer beantragten am 16. Oktober 2024 im Wege der Haftprüfung die Aufhebung des Haftbefehls und rügten einen Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz aufgrund zu geringer Terminsdichte. Das Landgericht erhielt den Haftbefehl aufrecht und ordnete die Fortdauer der Untersuchungshaft an. Den hiergegen seitens der Beschwerdeführer erhobenen Beschwerden half das Landgericht nicht ab und legte die Sache dem Oberlandesgericht vor. Die Vorsitzende teilte dem Oberlandesgericht zudem mit, dass sechs weitere Fortsetzungstermine bis zum 14. Februar 2025 bestimmt worden seien.
Mit Beschluss vom 11. Dezember 2024 verwarf das Oberlandesgericht die Beschwerden als unbegründet. Ein zur Aufhebung des Haftbefehls führender Verstoß gegen das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen liege nicht vor. Verhandlungsdichte und -intensität der seit dem 3. Mai 2024 andauernden Hauptverhandlung entsprächen zwar nicht den Vorgaben, die grundsätzlich bei längeren Hauptverhandlungen in Haftsachen zur Wahrung des besonderen Beschleunigungsgebots zu beachten seien. Gleichwohl beschränke sich die Frage, ob das Beschleunigungsgebot verletzt sei, nicht auf die mathematische Auswertung der entsprechenden Statistik. Vielmehr seien auch die Gründe für die konkrete Verfahrensausgestaltung in den Blick zu nehmen. Das Oberlandesgericht führte hierzu unter anderem aus, dass die geringe Verhandlungsdichte und -intensität in dem Zeitraum nach dem 5. September 2024 Ergebnis des Zusammenspiels mehrerer Faktoren gewesen sei. Das ursprüngliche Beweisprogramm sei bereits weitgehend abgearbeitet gewesen, die Verteidigung habe Vorbereitungszeit insbesondere für die nach dem Ergebnis der Nachermittlungen erforderlichen Vernehmungen von Zeugen benötigt. Auch sei die Bestimmung weiterer Verhandlungstermine dadurch erschwert gewesen, dass in unterschiedlichem Ausmaß bei allen Verfahrensbeteiligten einschließlich der Schöffen bereits terminliche Verhinderungen bestanden hätten.
Gegen diesen Beschluss wenden sich die Beschwerdeführer mit ihren Verfassungsbeschwerden. Sie sehen sich unter anderem in ihrem Recht auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 GG verletzt.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
I. Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig und begründet. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 11. Dezember 2024 verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 GG.
Der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts genügt nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründung von Haftfortdauerentscheidungen. Er zeigt keine besonderen Umstände auf, die die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft im Streitfall verfassungsrechtlich hinnehmbar erscheinen lassen könnten.
1. Das Oberlandesgericht selbst weist zunächst zutreffend darauf hin, dass Verhandlungsdichte und -intensität der Strafkammer den – auch aus verfassungsrechtlichen Gründen – grundsätzlich an die Wahrung des Beschleunigungsgrundsatzes zu stellenden Anforderungen nicht entsprechen. Das Landgericht hat weit weniger als an durchschnittlich einem Tag pro Woche verhandelt, nämlich an 0,66 Tagen pro Woche. Angesichts der gegebenen Terminsfrequenz hätte für das Oberlandesgericht Anlass dazu bestanden zu prüfen, ob die Strafkammer ihrer Aufgabe einer vorausschauenden straffen Hauptverhandlungsplanung bei einem – wie hier – umfangreichen Verfahren hinreichend nachgekommen ist.
2. Eine tragfähige Begründung, die die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft trotz der geringen Verhandlungsdichte und -intensität – ausnahmsweise – rechtfertigen könnte, enthält der angegriffene Beschluss indes nicht. Jedenfalls die seit dem 5. September 2024 durchgehend unterbliebenen Bemühungen um eine Kompensation der eingetretenen Verfahrensverzögerung verletzen das Beschleunigungsgebot in Haftsachen.
a) Dem angegriffenen Beschluss lässt sich nicht nachvollziehbar entnehmen, warum im Zeitraum vom 5. September bis zum 1. November 2024 ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot nicht vorliegen soll, obwohl doch – wie das Oberlandesgericht selbst ausführt – mit Ausnahme der vom Handy einer Zeugin stammenden Chatnachrichten alle anderen aus Sicht der Strafkammer vorzunehmenden Beweiserhebungen bereits durchgeführt worden waren. Der vage Hinweis auf die von der Verteidigung benötigte – für sich allein als Rechtfertigung offenbar auch aus Sicht des Oberlandesgerichts nicht ausreichende – Vorbereitungszeit insbesondere bezüglich der nach dem Ergebnis der Nachermittlungen erforderlichen Vernehmungen weiterer Zeugen genügt hier nicht. Soweit das Oberlandesgericht die terminlichen Verhinderungen „bei allen Verfahrensbeteiligten einschließlich der Schöffen“ in den Blick nimmt, hat es sich nicht mit der Frage befasst, ob die von der Vorsitzenden der Strafkammer mitgeteilten „Ortsabwesenheiten“ und die damit verbundenen, bei nur zwei Terminen mit einer Länge von jeweils weniger als einer Stunde und nur einer Zeugenvernehmung sowie Urkundenverlesung beträchtlichen Unterbrechungszeiten über einen Zeitraum von mehr als einem Monat durch zwingende und nicht der Justiz anzulastende Gründe veranlasst waren.
b) Soweit einer Terminierung im November und Dezember 2024 nach der Mitteilung der Vorsitzenden der Strafkammer Verhinderungen eines oder mehrerer Verteidiger entgegenstanden, vermag im Übrigen auch dies eine unzureichende Terminsdichte im Grundsatz nicht zu rechtfertigen. Das Hinausschieben der Hauptverhandlung wegen Terminschwierigkeiten der Verteidiger ist – auch wenn das Recht, sich von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen, Verfassungsrang hat – kein Umstand, der eine erhebliche Verzögerung rechtfertigen könnte.
c) Das Oberlandesgericht hat es schließlich versäumt, die ihm bekannte und damit absehbare weitere Planung der Hauptverhandlung in den Monaten Januar und Februar 2025 einer am Maßstab des in Haftsachen geltenden Beschleunigungsgebots orientierten Betrachtung zu unterziehen. Hierzu bestand besonderer Anlass, denn auch die laut Mitteilung der Vorsitzenden der Strafkammer vorgesehenen weiteren Hauptverhandlungstage erreichen mit sechs Terminen in sieben Wochen und einer weiteren Verhandlungspause von knapp drei Wochen ebenfalls nicht das verfassungsrechtlich geforderte Mindestmaß von mehr als einem durchschnittlichen Hauptverhandlungstag pro Woche. Im Ergebnis ist damit dem Oberlandesgericht aus dem Blick geraten, dass auch in den Monaten Januar und Februar 2025 mit jeweils drei Verhandlungstagen weder die von Verfassungs wegen erforderliche Terminsdichte erreicht, geschweige denn die bereits eingetretene Verfahrensverzögerung ausgeglichen wird.
II. Der Beschluss wurde unter Zurückverweisung der Sache aufgehoben. Das Oberlandesgericht wird unter Beachtung der vorstehenden Ausführungen erneut über die Haftfortdauer zu entscheiden haben.
Bundesverfassungsgericht, 07.02.2025