Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts eine Verfassungsbeschwerde gegen Entscheidungen der Arbeitsgerichte nicht zur Entscheidung angenommen, da sie den gesetzlichen Darlegungsanforderungen nicht genügt. Im Ausgangsverfahren verfolgte die beschwerdeführende Reporterin unter anderem das Ziel, so vergütet zu werden, wie ihre männlichen Kollegen mit gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit.
Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin war als Reporterin bei einem investigativen Politmagazin des Zweiten Deutschen Fernsehens tätig. Sie erhob vor den Arbeitsgerichten auf der ersten Stufe Klage auf Auskunft über den Verdienst männlicher Kollegen mit vergleichbarer Tätigkeit und auf der zweiten Stufe auf die gleiche Vergütung. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab.
Danach trat das Gesetz zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen Frauen und Männern (Entgelttransparenzgesetz – EntgTranspG) in Kraft. Im Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht stützte die Beschwerdeführerin ihren Auskunftsanspruch hilfsweise auch auf dieses Gesetz, blieb aber erfolglos. Die Beschwerdeführerin habe keinen ersten Anschein für eine Benachteiligung dargelegt. Dazu genüge es nicht, darzulegen und zu beweisen, dass ihr Arbeitgeber ihr ein niedrigeres Gehalt zahle als einem männlichen Kollegen und dass sie die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit verrichte. Ein Auskunftsanspruch folge auch nicht aus dem neuen § 10 EntgTranspG, weil die Beschwerdeführerin als arbeitnehmerähnliche Person nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes falle. Nur zu dieser Rechtsfrage ließ es die Revision zu.
Auf die Revision der Beschwerdeführerin verurteilte das Bundesarbeitsgericht das ZDF teilweise zur Erteilung der Auskunft. Es verwies den Rechtsstreit im Übrigen an das Landesarbeitsgericht zurück, weil das Entgelttransparenzgesetz auf die Beschwerdeführerin anwendbar sei. Die Nichtzulassungsbeschwerde verwarf das Bundesarbeitsgericht als unzulässig und wies die dagegen gerichtete Anhörungsrüge als unbegründet zurück.
Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG), weil das Bundesarbeitsgericht die Sache nicht nach Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgelegt hat. Zudem seien die arbeitsgerichtlichen Entscheidungen nicht mit dem Grundrecht der Gleichheit von Frauen und Männern aus Art. 23 Abs. 1 der Charta der Europäischen Union (GRCh) zu vereinbaren. Darüber hinaus sei sie in ihrem Recht auf Gleichberechtigung aus Art. 3 Abs. 2 und 3 Satz 1 GG verletzt.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, da sie unzulässig ist.
1. Die Verfassungsbeschwerde genügt im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität (§ 90 Abs. 2 Satz 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz – BVerfGG) nicht den gesetzlichen Darlegungsanforderungen. Auf der Grundlage des Beschwerdevorbringens lässt sich nicht zuverlässig überprüfen, ob die Beschwerdeführerin alle im Rahmen des fachgerichtlichen Verfahrens eröffneten Möglichkeiten genutzt hat, um der Rechtsverletzung abzuhelfen. Eine solche Möglichkeit besteht bereits dann, wenn es möglich erscheint, dass die Grundrechtsverletzung vor den Fachgerichten beseitigt wird.
Hier hatte die Revision der Beschwerdeführerin zur Auskunft über das Vergleichsentgelt Erfolg. Erhält sie diese, könnte sie einen Zahlungsanspruch geltend machen, der jedenfalls nicht von vornherein offensichtlich aussichtslos wäre. Das Bundesarbeitsgericht hat klargestellt, dass ein die eigene Vergütung übersteigendes mitgeteiltes Vergleichsentgelt (Medianentgelt) die Vermutung begründe, es liege eine Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts vor. Das führt zu der Beweislastumkehr, deren Fehlen vor dem Landesarbeitsgericht die Beschwerdeführerin rügt. Es ist hier nicht erkennbar, dass dem andere Gründe entgegenstünden oder der Median im Fall der Beschwerdeführerin nach ihren Vorstellungen vom durchschnittlichen Gehalt der Vergleichspersonen abweichen würde.
2. Die Rüge lässt keine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch die fehlende Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union erkennen, denn das Bundesarbeitsgericht hat keine Sachentscheidung getroffen. Es erschließt sich nicht, inwieweit die Vorlagepflicht gerade dadurch verletzt worden sein soll, dass die Revision als unzulässig verworfen wurde.
3. Die Rügen einer Verletzung von Art. 3 Abs. 2 und 3 Satz 1 GG hat die Beschwerdeführerin nicht innerhalb der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG hinreichend substantiiert.
4. Zur Rüge einer Verletzung von Art. 23 Abs. 1 GRCh wird nicht hinreichend substantiiert aufgezeigt, dass die Voraussetzungen für eine Überprüfung der angegriffenen Entscheidungen anhand der Unionsgrundrechte vorlagen.
a) Bei der Anwendung unionsrechtlich vollständig vereinheitlichter Regelungen sind grundsätzlich nicht die deutschen Grundrechte, sondern allein die Unionsgrundrechte maßgeblich. Die Anwendung innerstaatlichen Rechts prüft das Bundesverfassungsgericht dagegen primär am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes, auch wenn es der Durchführung des Unionsrechts dient (vgl. Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh). Dort, wo es den Mitgliedstaaten Gestaltungsspielräume einräumt, zielt Unionsrecht regelmäßig nicht auf eine Einheitlichkeit des Grundrechtsschutzes, sondern lässt Grundrechtsvielfalt zu. Daher greift dann die Vermutung, dass das Schutzniveau der Charta der Grundrechte der Europäischen Union durch die Anwendung der Grundrechte des Grundgesetzes mitgewährleistet ist. Eine Ausnahme von dieser Vermutung ist nur in Betracht zu ziehen, wenn hierfür konkrete und hinreichende Anhaltspunkte vorliegen.
b) Solche Anhaltspunkte sind hier nicht erkennbar. Insofern wäre darzulegen, ob in der Auslegung der jeweiligen Grundrechte der Charta und des Grundgesetzes ein ungleiches Schutzniveau erreicht wird. Dabei wäre darauf einzugehen, inwieweit Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 GG, die einen wirksamen Schutz vor Benachteiligungen wegen des Geschlechts erforderlich machen, sich auch auf die Beweislast in Verfahren zur Lohngleichheit auswirken. Zu Art. 3 Abs. 2 und 3 GG wird mit Blick auf die Lohngleichheit aber erst über zwölf Monate nach Zustellung der Anhörungsrügeentscheidung und damit verfristet vorgetragen.
Quelle: Bundesverfassungsgericht, Pressemitteilung vom 19. Juli 2022