Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts einer Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des Justizgewährungsanspruchs stattgegeben.

In dem Ausgangsverfahren vor den deutschen Zivilgerichten machte die Beschwerdeführerin, eine Berufssportlerin, unter anderem Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegen zwei Sportverbände geltend, die gegen die Beschwerdeführerin eine Dopingsperre verhängt und umgesetzt hatten. Der Bundesgerichtshof hielt die Klage der Beschwerdeführerin wegen einer zugunsten des Internationalen Sportschiedsgerichtshofs in Lausanne (Court of Arbitration for Sports − CAS) vereinbarten Schiedsklausel für unzulässig. Hiergegen wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Verfassungsbeschwerde.

Die angegriffene Entscheidung des Bundesgerichtshofs verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Justizgewährungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG). Der Bundesgerichtshof hat die Bedeutung des Anspruchs auf Öffentlichkeit des Verfahrens verkannt. Die Abwägung des Bundesgerichtshofs zwischen dem Justizgewährungsanspruch und der Vertragsfreiheit und der Verbandsautonomie hält im konkreten Fall den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht stand.

Sachverhalt:

Die Beschwerdeführerin nahm im Februar 2009 an einer Mehrkampfweltmeisterschaft ihrer Sportart teil. Mit ihrer Wettkampfmeldung verpflichtete sie sich zur Einhaltung der Anti-Doping-Regeln des veranstaltenden internationalen Sportverbandes und unterzeichnete eine Schiedsvereinbarung zugunsten des CAS.

Aufgrund der Erhöhung bestimmter Blutwerte der am Wettkampfort von der Beschwerdeführerin entnommenen Blutproben sperrte die Disziplinarkommission des Sportverbandes die Beschwerdeführerin wegen unerlaubten Blutdopings für zwei Jahre. Nach einer ergänzenden Mitteilung des deutschen Verbandes war die Beschwerdeführerin damit auch von organisierten Trainingsmaßnahmen sowie von der Teilnahme an den Olympischen Winterspielen in Vancouver/Kanada im Februar 2010 ausgeschlossen.

Die Beschwerdeführerin legte gegen die Entscheidung der Disziplinarkommission Berufung beim CAS ein. Nach den maßgeblichen Statuten hatten die Parteien keinen Anspruch auf Öffentlichkeit der Verhandlung. Einem Antrag der Beschwerdeführerin auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung folgte der CAS nicht und verhandelte nicht-öffentlich. Mit Schiedsspruch vom 25. November 2009 wies der CAS das gegen die Entscheidung der Disziplinarkommission gerichtete Berufungsgesuch der Beschwerdeführerin ab. Die hiergegen beim Schweizer Bundesgericht eingelegten Rechtsbehelfe der Beschwerdeführerin blieben erfolglos. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte auf eine Individualbeschwerde der Beschwerdeführerin mit Urteil vom 2. Oktober 2018 hin fest, dass Art. 6 Abs. 1 EMRK mangels einer öffentlichen Verhandlung vor dem CAS verletzt sei.

Die Beschwerdeführerin hatte zuvor bereits vor einem deutschen Landgericht Klage gegen den deutschen und den internationalen Sportverband auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Dopingsperre sowie auf Schadensersatz und Schmerzensgeld erhoben. Das Landgericht wies die Klage mit nicht angegriffenem Urteil ab. Mit ebenfalls nicht angegriffenem Teil-End- und Teil-Zwischenurteil bestätigte das Oberlandesgericht die Entscheidung des Landgerichts im Hinblick auf den Feststellungsantrag; im Übrigen stellte es die Zulässigkeit der Klage fest. Die zwischen den Parteien getroffene Schiedsvereinbarung stehe dem Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nicht entgegen. Die Schiedsvereinbarung sei nichtig.

Auf die Revision des internationalen Sportverbandes hob der Bundesgerichtshof mit angegriffenem Urteil vom 7. Juni 2016 das Zwischenurteil des Oberlandesgerichts auf, soweit das Berufungsgericht zum Nachteil des Sportverbandes erkannt hatte, und wies die Berufung der Beschwerdeführerin gegen das Urteil des Landgerichts insgesamt zurück. Die Klage sei unzulässig, weil ihr die Einrede der Schiedsvereinbarung gemäß § 1032 Abs. 1 in Verbindung mit § 1025 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) entgegenstehe. Der CAS sei ein „echtes“ Schiedsgericht im Sinne dieser Vorschriften und die Schiedsvereinbarung wirksam. Es stelle keinen Missbrauch der Marktmacht dar, wenn ein Sportverband die Teilnahme eines Athleten an einem Wettkampf von der Unterzeichnung einer Schiedsvereinbarung abhängig mache, die gemäß den Anti-Doping-Regeln den CAS als Schiedsgericht vorsehe. Die Verfahrensordnung des CAS enthalte ausreichende Garantien für die Wahrung der Rechte der Athleten. Unter diesen Umständen sei die Schiedsvereinbarung auch nicht im Hinblick auf den Justizgewährungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 GG, das Grundrecht auf freie Berufsausübung nach Art. 12 Abs. 1 GG oder das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unwirksam.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG. Darüber hinaus macht sie geltend, in ihren Rechten aus Art. 6 Abs. 1 EMRK verletzt zu sein.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet. Das angegriffene Urteil des Bundesgerichtshofs verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Justizgewährungsanspruch, weil der Bundesgerichtshof die Bedeutung des Anspruchs auf Öffentlichkeit des Verfahrens verkannt hat. Die Abwägung des Bundesgerichtshofs zwischen dem Justizgewährungsanspruch und der Vertragsfreiheit und der Verbandsautonomie hält im konkreten Fall den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht stand.

1. Im Rahmen der Prüfung, ob die Schiedsabrede gemäß § 19 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) unwirksam ist, hat der Bundesgerichtshof den in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Justizgewährungsanspruch der Beschwerdeführerin zwar durchaus in Betracht gezogen. Der Bundesgerichtshof hat ferner angenommen, dass das die staatliche Gerichtsbarkeit ausschließende Schiedsverfahren in seiner Ausgestaltung den Gewährleistungen des Art. 6 EMRK genügen müsse. Dabei hat er jedoch nicht berücksichtigt, dass die Statuten des CAS einen Anspruch auf eine öffentliche Verhandlung nicht vorsahen, welche die Beschwerdeführerin erfolglos beantragt hatte.

2. Bei der Auslegung des § 19 GWB in seiner auf den Streitfall anwendbaren Fassung ist der Gewährleistungsgehalt des allgemeinen Justizgewährungsanspruch zu berücksichtigen, wonach das schiedsgerichtliche Verfahren effektiven Rechtsschutz gewährleisten und rechtsstaatlichen Mindeststandards genügen muss.

Weder der allgemeine Justizgewährungsanspruch noch Art. 92 GG enthalten ein Verbot privater Schiedsgerichtsbarkeit. Vielmehr ist diese in der Vertragsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG verankert.

Ein Verzicht auf den Zugang zu den staatlichen Gerichten durch Abschluss einer Schiedsvereinbarung im Bereich des Sports ist allerdings jedenfalls nicht uneingeschränkt möglich. Zwar ist sie zur Gewährleistung einer international einheitlichen Sportgerichtsbarkeit und zur Bekämpfung des Dopings im internationalen Sportwettbewerb erforderlich und als solches verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sowohl der allgemeine Justizgewährungsanspruch selbst als auch der Schutz der durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten Privatautonomie setzen aber der Abdingbarkeit im Weg einer Schiedsvereinbarung Grenzen. Mit der gesetzlichen Anerkennung privater Schiedsgerichtsbarkeit eröffnet der Staat dem rechtssuchenden Bürger eine alternative, nicht-staatliche Möglichkeit der verbindlichen Streitbeilegung. Damit der Staat schiedsrichterliche Entscheidungen anerkennen und in Ausübung seiner Hoheitsgewalt vollstrecken kann, muss er dafür Sorge tragen, dass das schiedsrichterliche Verfahren effektiven Rechtsschutz gewährleistet und rechtsstaatlichen Mindeststandards entspricht. Bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedsverfahren und der Wirksamkeit von Schiedsabreden ist der Gewährleistungsgehalt des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG zu berücksichtigen.

Die hiernach gebotenen Mindestanforderungen an die Ausgestaltung des von der konkreten Schiedsabrede erfassten schiedsrichterlichen Verfahrens können dabei nicht ohne Ansehung der tatsächlichen Wahlfreiheit des der Schiedsabrede Unterworfenen beurteilt werden. Hat einer der beiden Vertragspartner ein solches Gewicht, dass er den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmen kann, ist es Aufgabe des Rechts, auf die Wahrung der Grundrechtspositionen beider Vertragspartner hinzuwirken, um zu verhindern, dass sich für einen Vertragsteil die Selbstbestimmung in eine Fremdbestimmung verkehrt. Kollidierende Grundrechtspositionen sind hierfür in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden.

3. Indem der Bundesgerichtshof nicht berücksichtigt hat, dass die Statuten des CAS keinen Anspruch auf eine öffentliche Verhandlung vorsahen, die die Beschwerdeführerin bereits im vorangegangenen Schiedsverfahren erfolglos beantragt hatte, und damit die Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK in ihrer Ausgestaltung durch die Rechtsprechung des EGMR verkannt hat, hat er in der Folge auch den Gewährleistungsgehalt des Justizgewährungsanspruchs der Beschwerdeführerin nicht mit dessen vollem Gewicht in die Abwägung eingestellt.

Der Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen ist ein wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips und geht in seiner Bedeutung damit über einzelne Verfahrensregelungen weit hinaus. Auch entspricht er dem allgemeinen Öffentlichkeitsprinzip der Demokratie. Die Gerichtsöffentlichkeit sollte in Gestalt einer Verfahrensgarantie dem Schutz der an der Verhandlung Beteiligten gegen eine der öffentlichen Kontrolle entzogene Geheimjustiz dienen. Ist durch die normative Ausgestaltung des Verfahrens ein gleichwertig effektiver, rechtsstaatlichen Mindeststandards entsprechender Rechtsschutz zu gewährleisten, ist daher zu beachten, dass Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips auch der Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen ist, der in Art. 6 Abs. 1 EMRK ergänzend normiert ist. Die rechtsstaatliche Komponente der Gerichtsöffentlichkeit zielt darauf, die Einhaltung des formellen und materiellen Rechts zu gewährleisten. Dies soll zur Gewährleistung von Verfahrensgerechtigkeit im Sinne einer Verfahrensgarantie der Beteiligten beitragen. Dabei kann die Öffentlichkeit aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls auch dort ganz oder teilweise ausgeschlossen werden, wo sie nach der Verfassung grundsätzlich geboten ist. Der Grundsatz der Öffentlichkeit besagt insbesondere noch nichts zu den Modalitäten, unter denen die Öffentlichkeit zugelassen wird.

Das entspricht auch den Gewährleistungen aus Art. 6 Abs. 1 EMRK. Die Europäische Menschenrechtskonvention steht in der deutschen Rechtsordnung im Rang eines Bundesgesetzes. Im Rahmen der Heranziehung der EMRK als Auslegungshilfe berücksichtigt das Bundesverfassungsgericht allerdings Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. In der Rechtsprechung des EGMR ist zwar anerkannt, dass Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht in allen Fällen eine öffentliche Verhandlung voraussetzt und auf eine öffentliche Verhandlung verzichtet werden kann. Daher können freiwillige Schiedsverfahren regelmäßig auch nicht-öffentliche Verhandlungen vorsehen. Die Voraussetzungen, unter denen von einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden kann, lagen im Streitfall nach der Entscheidung des EGMR indes nicht vor.

Bei dem Verstoß gegen den rechtsstaatlich zwingend zu beachtenden Öffentlichkeitsgrundsatz handelt es sich auch nicht nur um einen Verstoß gegen eine bloße Verfahrensklausel. Daher kommt es auch nicht darauf an, ob im Verfahren der Beschwerdeführerin konkret eine öffentliche Verhandlung geboten ist oder von einer solchen nach Maßgabe der Rechtsprechung des EGMR abgesehen werden könnte. Maßgeblich ist, dass die durch die Schiedsgerichtsvereinbarung in Bezug genommenen Statuten des CAS einen Anspruch auf eine öffentliche Verhandlung auch für solche Fälle nicht vorsahen, in denen eine öffentliche Verhandlung nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 1 EMRK zwingend geboten ist. Damit genügt die für die Wirksamkeit der hier gegenständlichen Schiedsvereinbarung maßgebliche normative Ausgestaltung des schiedsgerichtlichen Verfahrens insgesamt weder den Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK noch den insoweit korrespondierenden Anforderungen des Justizgewährungsanspruchs des Betroffenen. Ob die heutige veränderte Verfahrensordnung diesen Grundsatz gewährleistet, brauchte nicht entschieden zu werden.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, Pressemitteilung vom 12. Juli 2022

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