
Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsbeschwerde einer Offizierin der Bundeswehr gegen einen disziplinarrechtlichen Verweis, der wegen der Gestaltung ihres privaten Profils auf einer Dating-Plattform im Internet verhängt worden war, nicht zur Entscheidung angenommen.
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie den Anforderungen an eine hinreichend substantiierte Begründung nicht genügt. Die Beschwerdeführerin hat nicht fristgerecht zu einem fortbestehenden Rechtsschutzbedürfnis vorgetragen, obwohl dazu Veranlassung bestanden hat, weil der angefochtene Verweis schon vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde tilgungsreif geworden war.
Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin ist Berufssoldatin im Dienstgrad eines Oberstleutnants und war zwischenzeitlich Bataillonskommandeurin und Standortälteste mit Personalverantwortung für etwa 1.000 Personen. Im Jahr 2019 legte sie ein Nutzerprofil auf der Dating-Plattform „Tinder“ an. Neben einem Foto der Beschwerdeführerin enthielt das Profil den Text „A. 45 Spontan, lustvoll, trans*, offene Beziehung und auf der Suche nach Sex. All genders welcome“. Wegen des Profiltextes verhängte der Dienstvorgesetzte im August 2019 die Disziplinarmaßnahme eines Verweises gegen sie.
Der fachgerichtliche Rechtsschutz der Beschwerdeführerin ist erfolglos geblieben. In letzter Instanz hat das Bundesverwaltungsgericht ihre weitere Beschwerde zurückgewiesen; der Beschluss ist ihr im September 2022 zugestellt worden. Ihre dagegen erhobene Anhörungsrüge ist mit im Dezember 2022 zugestelltem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts ebenfalls zurückgewiesen worden.
Mit ihrer im Oktober 2022 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen die Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts in seiner Ausprägung als Recht auf sexuelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie der Gleichheitsrechte aus Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 GG. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung umfasse die Möglichkeit, sexuelle Kontakte zu suchen und hierbei ehrlich und nach eigener Vorstellung das eigene Begehren zu thematisieren. Die angegriffene Disziplinarmaßnahme greife übermäßig in dieses Recht ein und komme einem Verbot der aktiven Nutzung von Dating-Portalen nahe, was für sie als pansexuelle trans Frau besonders schwer wiege.
Mit einem im November 2022 eingereichten Schriftsatz hat die Beschwerdeführerin mitgeteilt, dass der angegriffene Verweis getilgt worden sei. Die Verfassungsbeschwerde bleibe gleichwohl zulässig, weil eine Wiederholungsgefahr und ein Interesse an ihrer Rehabilitation bestünden.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die Beschwerdeführerin ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis nicht in der erforderlichen Weise dargelegt hat.
Ausführungen dazu waren geboten, weil die angegriffene Disziplinarmaßnahme bereits vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde nach den einschlägigen Bestimmungen der Wehrdisziplinarordnung zu tilgen war. Die Tilgungsreife führt zu einem umfassenden Verwertungsverbot und legt die Erledigung des mit der Verfassungsbeschwerde verfolgten Begehrens nahe. Dennoch hat sich die Beschwerdeführerin binnen der Monatsfrist zur Erhebung und Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht dazu verhalten und erst nach Fristablauf ergänzend vorgetragen, warum trotz Tilgung des Verweises ein Rechtsschutzbedürfnis bestehe.
Die von der Beschwerdeführerin beim Bundesverwaltungsgericht erhobene Anhörungsrüge konnte die Verfassungsbeschwerdefrist nicht offenhalten, weil sie offensichtlich aussichtslos war. Denn das zur Begründung der Anhörungsrüge angeführte Vorbringen war zur Darlegung einer Gehörsverletzung durch das Bundesverwaltungsgericht von vornherein erkennbar ungeeignet.
Bundesverfassungsgericht, 16.04.2025