Der 8. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 6. Oktober 2022 in Angelegenheiten der Sozialhilfe.
1) 10.00 Uhr – B 8 SO 2/21 R – H. K. D. GmbH ./. Stadt Duisburg
Vorinstanzen:
Sozialgericht Duisburg – S 3 SO 620/19, 12.01.2021
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen – L 12 SO 61/21, 28.04.2021
Der Senat hat die Revision zurückgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung der Kosten für die an die Patientin erbrachte Krankenbehandlung. Ein Anspruch als Nothelferin (§ 25 SGB XII) scheitert unabhängig davon, ob bei der Patientin überhaupt ein Hilfebedarf bestand, daran, dass die Beklagte bereits am ersten Behandlungstag Kenntnis von der eventuellen Notlage der Patientin hatte und damit ggf Ansprüche der Patientin auf Hilfe bei Krankheit (vgl § 19 Abs 3, § 23 Abs 1 Satz 1 SGB XII iVm § 48 Satz 1 SGB XII; § 23 Abs 3 Satz 5 SGB XII) unmittelbar einsetzten (vgl § 18 Abs 1 SGB XII; BSG vom 23.8.2013 – B 8 SO 19/12 R, BSGE 114, 161 = SozR 4-5910 § 121 Nr 1, RdNr 18). Ein Anspruch der Klägerin kann auch nicht aus der Abtretungserklärung der Patientin hergeleitet werden, weil Sozialhilfeansprüche nicht übertragbar sind (§ 17 Abs 1 Satz 2 SGB XII). Dies gilt auch für den Sekundäranspruch auf Erstattung der Behandlungskosten, der als Freistellungsanspruch der Patientin zustehen könnte, jedoch – um nicht dem Abtretungsverbot zu unterfallen – bereits festgestellt sein müsste. Die Klägerin kann schließlich auch nicht im Wege der Prozessstandschaft einen solchen noch nicht festgestellten Anspruch der Patientin erfolgreich geltend machen, weil dadurch das Abtretungsverbot unterlaufen würde.
2) 11.00 Uhr – B 8 SO 7/21 R – A. G. ./. Stadt Minden
Vorinstanzen:
Sozialgericht Detmold – S 11 SO 4/16, 15.03.2018
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen – L 20 SO 308/18, 06.09.2021
Der Senat hat auf die Revision der Klägerin das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache an dieses Gericht zurückverwiesen. Der Senat kann auf Grundlage der Feststellungen des LSG den Umfang der Hilfebedürftigkeit der Klägerin im Monat Juni 2016 nicht bestimmen. Insbesondere kann der Senat nicht entscheiden, ob bei der Klägerin und ihrem Ehemann ein höherer Unterkunftsbedarf zu berücksichtigen ist. Vor dem Hintergrund der eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung “schlüssiger Konzepte“ liegt keine Verletzung von Bundesrecht vor (zur Einbeziehung vergleichsraumübergreifender Daten bei Hilfsgrößen, wie der Bestimmung des Umfangs der Nachfragekonkurrenz vgl bereits BSG vom 18.11.2014 – B 4 AS 9/14 R – RdNr 30). Der Senat kann aber nicht abschließend beurteilen, ob die Aufwendungen für die Unterkunft konkret angemessen sind, weil relevante Besonderheiten des Einzelfalls vorliegen, die näher aufgeklärt werden müssen. Die Möglichkeit, eine Wohnung zu einem nach einem schlüssigen Konzept angemessenen Quadratmeterpreis zu finden, besteht nicht uneingeschränkt, wenn Leistungsberechtigte individuelle Zugangshemmnisse zum Wohnungsmarkt aufweisen, was z.B. bei geistigen, psychischen oder seelischen Behinderungen der Fall sein kann. Hierfür lassen sich zwar den Feststellungen des LSG deutliche Anhaltspunkte entnehmen, es fehlen aber Feststellungen zu Umfang und Auswirkungen der Beeinträchtigungen sowohl hinsichtlich der Klägerin als auch ihres Ehemannes. Führen bestehende individuelle Beeinträchtigungen zu einer erheblichen Einschränkung bzw Verschlossenheit des Wohnungsmarktes, wird das LSG zu berücksichtigen haben, dass in derartigen Fällen regelmäßig eine individuelle Hilfestellung des Leistungsträgers geboten ist, um eine Wohnung zu finden, andernfalls ist grundsätzlich von der konkreten Angemessenheit der Wohnung auszugehen. Soweit ein Kostensenkungsverfahren erforderlich ist, bedarf es außerdem einer Kostensenkungsaufforderung auch für den nichtleistungsberechtigten Ehegatten (§ 35 Abs 2 Satz 1 SGB XII). Zu treffen sind ggf auch Feststellungen zu etwaigen Absetzbeträgen vom Renteneinkommen der Klägerin.
3) 12.00 Uhr – B 8 SO 1/22 R – E. K. ./. Landkreis Bautzen
Vorinstanzen:
Sozialgericht Dresden – S 42 SO 61/18, 30.04.2019
Sächsisches Landessozialgericht – L 8 SO 52/19, 11.05.2021
Die Revision des Klägers war erfolgreich. Der Senat hat das Urteil des LSG aufgehoben und die Berufung des Beklagten gegen das SG-Urteil mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Beklagte im Zugunstenverfahren verpflichtet wird, die Bescheide seines Jobcenters abzuändern. Der Kläger hat Anspruch auf den begehrten Mehrbedarf für September und Oktober 2017, denn er war jedenfalls ab dem 1.9.2017 dauerhaft voll erwerbsgemindert. § 30 Abs 1 Nr 2 SGB XII stellt nicht auf den Zeitpunkt einer bescheidmäßigen Feststellung der vollen Erwerbsminderung durch den Rentenversicherungsträger ab, sondern darauf, dass die betreffenden Personen voll erwerbsgemindert „sind“. Am erforderlichen rechtzeitigen Antrag fehlt es nicht. Indem der Kläger im August 2017 beim Jobcenter des Beklagten unter Hinweis auf seine fortlaufende Arbeitsunfähigkeit und seine fortschreitende Krebserkrankung eine SGB-XII-Leistung beantragt hat, ist auch der erforderliche Antrag auf Grundsicherungsleistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII gestellt gewesen.
Quelle: Bundessozialgericht, Pressemitteilung vom 7. Oktober 2022