Der 12. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 18. Oktober 2022 in Angelegenheiten des Versicherungs- und Beitragsrechts.

10.00 Uhr – B 12 KR 6/20 R – A. L. ./. Techniker Krankenkasse
beigeladen: Techniker Krankenkasse Pflegeversicherung


Vorinstanzen:
Sozialgericht Dortmund – S 63 KR 2821/17, 12.07.2018
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen – L 10 KR 660/18, 16.10.2019


Der Senat hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Einmalig gezahlte Unterhaltsabfindungen unterliegen in der freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung der Beitragspflicht und sind nach § 5 Abs 3 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler (BeitrVerfGrsSz) dem jeweiligen Beitragsmonat mit einem Zwölftel des Betrags für zwölf Monate zuzuordnen. Diese vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen (SpVBdKK) erlassene Regelung steht mit höherrangigem Gesetzes- und Verfassungsrecht in Einklang. Art 3 GG erfordert insoweit keine Gleichbehandlung mit Versorgungsbezügen, die nach § 5 Abs 4 BeitrVerfGrsSz auf 120 Beitragsmonate zu verteilen sind. Diese Regelung ist wegen der für Versicherungspflichtige entsprechend geltenden Beitragsbemessung nach § 229 Abs 1 Satz 3 SGB V und wegen des typischerweise dauerhaften Ausscheidens von Versorgungsempfängern aus dem Erwerbsleben sachlich gerechtfertigt. Nacheheliche Unterhaltsansprüche sind demgegenüber nach dem gesetzlichen Leitbild nicht von solcher Dauerhaftigkeit geprägt, weil geschiedene Ehegatten nach dem Grundsatz der Eigenverantwortung vorrangig selbst für ihren Unterhalt zu sorgen haben (§ 1569 BGB). Für eine Prognose darüber, über welchen Zeitraum eine Unterhaltsabfindung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds voraussichtlich prägen wird und wann sie als aufgezehrt gelten müsste, fehlt es an einer validen verallgemeinerungsfähigen Beurteilungsgrundlage. Die im Gleichklang mit der Behandlung anderer einmaliger Einnahmen stehende Regelung der Zuordnung einmaliger Unterhaltsabfindungen auf zwölf Beitragsmonate stellt eine unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten sachgerechte und nicht realitätsferne Vorgehensweise dar. Anhaltspunkte für einen existentiellen Härtefall aufgrund unverhältnismäßiger Belastungen liegen nicht vor.


2) 11.15 Uhr – B 12 KR 2/21 R – G. G.-Z. ./. mhplus Betriebskrankenkasse
beigeladen: D. Z.


Vorinstanzen:
Sozialgericht Freiburg – S 16 3946/18, 02.12.2019
Landessozialgericht Baden-Württemberg – L 11 KR 523/20, 02.02.2021


Die Revision der beklagten Krankenkasse hat Erfolg gehabt. Die Klägerin war in der Zeit vom 1.11.2014 bis zum 28.2.2016 nicht familienversichert. Die Krankenkasse ist zutreffend in einer auf den Oktober 2014 zurückblickenden Betrachtungsweise zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klägerin kein Gesamteinkommen von weniger als einem Siebtel der monatlichen Bezugsgröße haben werde.
Zur Beurteilung des regelmäßigen Einkommens eines Angehörigen erstellt die Krankenkasse eine Prognose anhand des in der Vergangenheit erzielten Einkommens unter Berücksichtigung absehbarer Änderungen. Grundlage der Prognose sind jedenfalls für bereits abgeschlossene Zeiträume nur die bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens erkennbaren Umstände. Maßgebend ist der insbesondere aufgrund der Angaben des meldepflichtigen Krankenkassenmitglieds und der familienversicherten Angehörigen verfahrensfehlerfrei ermittelte Kenntnisstand der Krankenkasse. Eine Prognose bleibt auch dann für abgelaufene Zeiträume verbindlich, wenn die Entwicklung anders verläuft als prognostiziert. Die Änderung der Verhältnisse kann aber Anlass für eine neue zukunftsgerichtete Prognose sein. Erfährt eine Krankenkasse erst später von einer Änderung der Verhältnisse muss sie – wie hier – die Prognose rückblickend auf den Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse anstellen. Maßgebend bleibt ihr Kenntnisstand im Zeitpunkt der der letzten Verwaltungsentscheidung über die im Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse vorliegenden und ermittelbaren Umstände.
Die Beklagte hat hier zutreffend zunächst bei der Klägerin und dem Beigeladenen nachgefragt und ihrer Amtsermittlungspflicht durch Einholung einer Auskunft der Finanzbehörden über die Höhe der Einkünfte der Klägerin und den Zeitpunkt der Ausstellung der Einkommensteuerbescheide genügt. Zutreffend hat die Beklagte nicht geprüft, ob die Auskunft die Prognose rechtfertigte, dass die Klägerin regelmäßiges Einkommen von mehr als einem Siebtel der Bezugsgröße haben werde, sondern ob es die Prognose erlaubte, dass die Klägerin kein solches Einkommen in dieser Höhe haben werde. Dafür gab es im Zeitpunkt des Erlasses des hier angefochtenen Widerspruchsbescheids keine hinreichenden Anhaltspunkte. Es fehlte an einem Vortrag und Belegen von Klägerin oder Beigeladenem zu Umständen, die über die bloßen Einkommensbeträge hinaus zu berücksichtigen waren. Die festgestellte Dauer des Fehlens der Voraussetzungen der Familienversicherung ist ebenfalls nicht zu beanstanden.


3) 12.30 Uhr – B 12 R 7/20 R – C. A. E. e.V. ./. DRV Bund
18 Beigeladene


Vorinstanzen:
Sozialgericht Schwerin – S 7 R 228/11, 06.08.2013
Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern – L 4 R 269/13, 13.06.2019


Die Revision des Klägers hat teilweise Erfolg gehabt. Die angegriffenen Betriebsprüfungsbescheide waren insoweit aufzuheben, als sie hinsichtlich der Beigeladenen zu 15 für die Zeiträume Februar bis September 2004, November bis Dezember 2004 sowie Februar bis Dezember 2005 und hinsichtlich der Beigeladenen zu 18 für die Zeiträume Januar sowie März bis Juli 2004 Beiträge und insoweit Säumniszuschläge festsetzen. Diesen Regelungen steht die Bestandskraft des ebenfalls für den Prüfzeitraum 2002 bis 2005 erlassenen Betriebsprüfungsbescheids vom 9.3.2006 entgegen, der insoweit nach dem für die Auslegung von Verwaltungsakten maßgebenden objektiven Empfängerhorizont die konkret personen- sowie zeitbezogene Beitragspflicht und -höhe abschließend geregelt hat.
Die materielle Bindungswirkung erstreckt sich nicht auf die der Beitragsnachforderung zugrunde liegenden beanstandeten Sachverhalte („Feststellungsgegenstände“). Dem Bescheid vom 9.3.2006 ist nicht zu entnehmen, dass die Beklagte – vorbehaltlich der rechtlichen Zulässigkeit – ihre Prüfung auf Stichproben in Bezug auf konkrete beitragsrelevante Sachverhalte begrenzt hätte. Er lässt allein erkennen, dass die Beitragszahlungen in Bezug auf bestimmte Personen sowie diesen konkret zugeordnete Zeiträume beanstandet worden sind und daraus die Beitragsnachforderung resultiert. Aus der Aufzählung bestimmter Feststellungen im Sinne von Beanstandungen kann nicht ohne weiteres der Schluss gezogen werden, dass ausschließlich diese „Feststellungsgegenstände“ bei den genannten Arbeitnehmern und Zeiträumen geprüft worden seien. Hierbei handelt es sich um reine Begründungselemente ohne eigenständigen Regelungscharakter.
Die materielle Bindungswirkung des Bescheids vom 9.3.2006 erfasst darüber hinaus allerdings weder die übrigen Beigeladenen noch weitere als die dort konkret genannten Zeiträume. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats wird mit Erlass eines personen- und zeitraumbezogenen Verwaltungsakts nicht zugleich die Regelung getroffen, dass darüber hinaus im gesamten Prüfzeitraum „alles in Ordnung“ sei. Daran hält der Senat – wie zuletzt im Urteil vom 19.9.2019 (B 12 R 25/18 R) – auch weiterhin fest.
Soweit die Bestandskraft des Verwaltungsakts vom 9.3.2006 nicht entgegensteht, ist die Festsetzung der Beitragsnachforderung nebst Säumniszuschlägen sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach rechtmäßig. Insbesondere ist die Beitragsnachforderung nicht verjährt. Das LSG hat nach seinen nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei ein bedingt vorsätzliches Vorenthalten von Beiträgen angenommen. Damit gilt die 30-jährige Verjährungsfrist.

Quelle: Bundessozialgericht, Pressemitteilung vom 18. Oktober 2022

Cookie Consent mit Real Cookie Banner