Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 21. März 2024 über die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 17. November 2022 entschieden, das den Angeklagten unter anderem wegen vielfacher Volksverhetzungen, Störungen des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten, Verunglimpfungen des Andenkens Verstorbener, Verbreitungen von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Beleidigungen, Bedrohungen, versuchter Nötigungen, der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten sowie des Besitzes jugendpornografischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt hatte. Der für Staatsschutzsachen zuständige 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat den Schuldspruch geringfügig geändert und die Revision im Übrigen verworfen.
Nach den von der Strafkammer rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen war der 1968 geborene, umfangreich vorbestrafte Angeklagte seit 1990 arbeitslos und lebte von Sozialleistungen. Außer zu seiner Mutter pflegte er keine sozialen Kontakte, seine Berliner Einzimmerwohnung war vermüllt.
Im Zeitraum von August 2018 bis März 2021 verschickte der Angeklagte in 67 Fällen über das Internet E-Mails, Faxe und SMS unter dem Absender „NSU 2.0“. Die zunächst an Nebenklagevertreter im Münchener NSU-Prozess und später an zahlreiche weitere Empfänger adressierten Schreiben hatten teils nötigende, bedrohende und beleidigende Inhalte, teils volksverhetzende, den öffentlichen Frieden störende oder das Andenken des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke verunglimpfende. In einem Fall veröffentlichte der Angeklagte im Internet einen Tötungsaufruf.
Der Angeklagte gab sich in den Schreiben als Anführer einer größeren Gruppierung aus und verwendete immer wieder nationalsozialistische Parolen, namentlich die Formulierung „Heil Hitler“. Zum Teil schrieb er große Verteiler an, darunter Zeitungsredaktionen, politische Parteien und Behörden. In anderen Fällen adressierte er seine Drohbriefe an individuelle Geschädigte und versah sie mit deren gesperrten Adressen, unveröffentlichten Telefonnummern und weiteren geheim gehaltenen höchstpersönlichen Daten von ihnen und ihren Angehörigen. Das Landgericht hat keine konkreten Feststellungen dazu treffen können, wie der Angeklagte an die Daten gelangte. Zu vier Geschädigten gab es im Tatzeitraum örtlich und zeitlich lokalisierbare, unberechtigte Datenabfragen von Polizeicomputern aus, so im August 2018 von einem Rechner des 1. Polizeireviers in Frankfurt am Main. Die Ermittlungen haben indes weder Verbindungen des Angeklagten zu Polizeikreisen noch Beziehungen zu möglichen Unterstützern oder Hinterleuten ergeben. Nach der Festnahme des Angeklagten am 3. Mai 2021 brach die Tatserie ab.
Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Auf seine Spur waren die Ermittler durch die Analyse seines Sprachstils gelangt, der sich in Internetprofilen wiederfand, die dem Angeklagten zugeordnet werden konnten. Obwohl er eine Reinigungssoftware nutzte, hat die technische Auswertung seiner Computer einen Zugriff auf das Täterpostfach belegt. Außerdem befanden sich auf seinem Rechner sowohl Fragmente der inkriminierten Nachrichten als auch Recherchen zu den bedrohten Geschädigten nebst einer Vielzahl von persönlichen Daten. Die Strafkammer hat sich angesichts dieser und weiterer Indizien die Überzeugung verschafft, dass es der Angeklagte war, der sämtliche Schreiben über einen TOR-Browser verschickte, und dies rechtsfehlerfrei begründet. Das gilt auch für die Würdigung, dass er Alleintäter war. Das Landgericht hat sich allerdings die Überzeugung verschafft, dass der Angeklagte manipulative Fähigkeiten, eine hohe Sprachkompetenz sowie bemerkenswerte juristische Kenntnisse besitzt und es beherrscht, Mitarbeitern der Polizei und anderer Ämter sowie Nachbarn von Geschädigten unter der Vorspiegelung, er sei Staatsanwalt/Verwandter o.ä., am Telefon sensible Daten zu entlocken. Auf seinem Rechner hatte der Angeklagte Telefonnummern von Polizeistationen mit zugehörigen Notizen gespeichert, etwa: „Da auf keinen Fall mehr als StA anrufen!“ Einer seiner Anrufe auf einer Polizeiwache, bei dem sich der Angeklagte als Ehemann einer Geschädigten ausgab, wurde aufgezeichnet.
Auch die rechtliche Würdigung des Landgerichts hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs nahezu vollständig bestätigt. Lediglich in einem Fall hat er den Schuldspruch von einem tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte umgestellt auf einen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Dem hat zugrunde gelegen, dass der Angeklagte die Einsatzkräfte der Polizei mit einer geladenen Schreckschusspistole bedrohte, um sie von seiner Festnahme abzuhalten. Nach der rechtlichen Würdigung des 3. Strafsenats stellte dieses Verhalten eine Drohung mit Gewalt im Sinne von § 113 Abs. 1 StGB und keinen tätlichen Angriff gemäß § 114 Abs. 1 StGB dar. Die für die Tat verhängte Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten hat der Bundesgerichtshof bestehen lassen.
Weitere dem Angeklagten nachteilige Rechtsfehler hat die revisionsrechtliche Überprüfung nicht ergeben. Mit der Entscheidung des 3. Strafsenats ist das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main rechtskräftig.
Vorinstanz:
Landgericht Frankfurt am Main – 5/17 KLs – 6190 Js 216386/21 (24/21) – Urteil vom 17. November 2022
(c) BGH, 27.05.2024