Der unter anderem für Schadensersatzansprüche aus unerlaubten Handlungen, die den Vorwurf einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei einem Kraftfahrzeug mit Dieselmotor zum Gegenstand haben, zuständige VII. Zivilsenat hat in vier gleichzeitig verhandelten Sachen über Schadensersatzansprüche gegen die AUDI AG im Zusammenhang mit der sogenannten „Umschaltlogik“ beim Motortyp EA 189 entschieden und hierbei die stattgebenden Entscheidungen der Vorinstanzen jeweils bestätigt.
Sachverhalt:
In den vier Verfahren nahmen die jeweiligen Klageparteien die beklagte Fahrzeugherstellerin auf Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.
Der Kläger im Verfahren VII ZR 238/20 erwarb im April 2014 einen von der Beklagten hergestellten Pkw Audi Q5 2.0 TDI als Gebrauchtwagen zum Preis von 20.500 €. Die Klägerin im Verfahren VII ZR 243/20 erwarb im März 2014 einen von der Beklagten hergestellten Pkw Audi A3 1.6 TDI als Gebrauchtwagen zum Preis von 12.000 €. Der Kläger im Verfahren VII ZR 257/20 erwarb im November 2014 einen von der Beklagten hergestellten Pkw Audi A5 Sportback 2.0 TDI als Gebrauchtwagen zum Preis von 29.970 €. Der Kläger im Verfahren VII ZR 38/21 erwarb im Juni 2009 ein von der Beklagten hergestelltes Neufahrzeug Audi A4 2.0 TDI zum Preis von 30.526,80 €.
Die vier Fahrzeuge sind jeweils mit einem von der Volkswagen AG hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet. Dieser verfügte über eine Software, die den Stickoxidausstoß im Prüfstand verringerte. Die Motorsteuerung war so programmiert, dass bei Messung der Schadstoffemissionen auf einem Prüfstand diese Situation erkannt wird. Nach Bekanntwerden der „Umschaltlogik“ verpflichtete das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) die Beklagte zur Entfernung der als unzulässige Abschalteinrichtung qualifizierten Software und dazu, geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen. Daraufhin wurde ein Software-Update entwickelt, welches auf das Fahrzeug der jeweiligen Klagepartei aufgespielt wurde.
Bisheriger Prozessverlauf:
Die in der Hauptsache zuletzt jeweils auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs gerichteten Klagen hatten in den Vorinstanzen überwiegend Erfolg.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der Bundesgerichtshof hat mit seinen vier heute verkündeten Urteilen die Revisionen der Beklagten zurückgewiesen.
Das Berufungsgericht hat im Ergebnis in allen vier Fällen einen Schadensersatzanspruch der jeweiligen Klagepartei aus § 826 BGB zu Recht angenommen. Es hat in tatrichterlicher Würdigung rechtsfehlerfrei festgestellt, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten im Sinne von § 31 BGB die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat. Die Beklagte handelte sittenwidrig, indem sie Fahrzeuge mit dem von der Volkswagen AG gelieferten Motor EA 189, darunter die streitgegenständlichen Fahrzeuge, in den Verkehr brachte, obwohl nach den tatrichterlichen Feststellungen wenigstens eine verantwortlich für sie handelnde Person wusste, dass der Motor mit einer auf arglistige Täuschung des KBA abzielenden Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet war.
Zwar kann das sittenwidrige Verhalten eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters einer juristischen Person entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht mittels einer Zurechnung fremden Wissens entsprechend § 166 BGB begründet werden (Anschluss an BGH, Urteil vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19, NJW 2021, 1669; Urteil vom 28. Juni 2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250). Auch scheidet vorliegend die vom Berufungsgericht angenommene Haftung wegen einer angeblich unzulässigen Organisation des Typgenehmigungsverfahrens aus. Ebenso wenig tragfähig sind die berufungsgerichtlichen Erwägungen, die Beklagte sei verpflichtet und in der Lage gewesen, den Motor EA 189 eigenständig auf Gesetzesverstöße zu überprüfen und zu diesem Zweck Auskünfte der Volkswagen AG einzuholen. Etwaige Versäumnisse der Beklagten in dieser Hinsicht könnten grundsätzlich nicht den für eine Haftung aus § 826 BGB erforderlichen Vorsatz, sondern lediglich einen Fahrlässigkeitsvorwurf begründen.
Das Berufungsgericht hat jedoch in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise selbständig tragend die freie tatrichterliche Überzeugung gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewonnen, dass wenigstens ein an der Entscheidung über den Einsatz des Motors EA 189 in Fahrzeugen der Beklagten beteiligter Repräsentant der Beklagten im Sinne des § 31 BGB von der – evident unzulässigen (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19 Rn. 17, VersR 2021, 388) – „Umschaltlogik“ gewusst habe.
Gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist es grundsätzlich Sache des Tatrichters, unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist. Das Revisionsgericht kann insoweit nur prüfen, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt. Rechtsfehler in diesem Sinne hat die Revision jeweils nicht aufgezeigt.
Quelle: Bundesgerichtshof, Pressemitteilung vom 25. November 2021