Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. April 2022 über die Frage entschieden, ob Bewohner einer stationären Pflegeeinrichtung wegen Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen, die im Rahmen der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie hoheitlich angeordnet wurden, zu einer Kürzung des Heimentgelts berechtigt sind.

Sachverhalt:

Die Parteien streiten über rückständige Heimkosten sowie die Räumung und Herausgabe eines Zimmers in einem Seniorenwohnheim.

Die Parteien schlossen im Jahr 2017 einen Vertrag über die Unterbringung und vollstationäre Pflege der Beklagten in einem vom Kläger betriebenen Seniorenwohn- und Pflegeheim. Die Beklagte war in den Pflegegrad 3 eingestuft.

Seit dem 19. März 2020 hielt sie sich nicht mehr in der Pflegeeinrichtung auf, da ihr Sohn sie im Hinblick auf die durch das neuartige SARS-CoV-2-Virus verursachte Pandemie zu sich nach Hause geholt hatte. Das ihr in dem Pflegeheim zugewiesene Zimmer räumte sie allerdings nicht. Für die Monate Mai bis August 2020 erbrachte sie auf das sich inzwischen auf 3.294,49 € belaufende beziehungsweise im August 2020 auf 3.344,07 € angestiegene Monatsentgelt lediglich Zahlungen in Höhe von insgesamt 1.162,18 €. Nachdem die Klägerin die Beklagte vergeblich unter Fristsetzung zur Zahlung aufgefordert hatte, erklärte sie mit Schreiben vom 20. Juli 2020 die Kündigung des Pflegevertrags aus wichtigem Grund zum 31. August 2020.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat die Beklagte zur Räumung und Herausgabe des von ihr weiterhin belegten Zimmers sowie – unter Anrechnung der vertraglich vereinbarten Pauschale von 25 Prozent für ersparte Aufwendungen ab dem vierten Abwesenheitstag – zur Zahlung von 8.877,13 € nebst Zinsen verurteilt. Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg gehabt.

Die Beklagte beabsichtigt, gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts „das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde“ einzulegen, und begehrt dafür gemäß § 78b Abs. 1 ZPO die Bestellung eines Notanwalts, da auf ihre Anfrage keiner der beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte zu einer Vertretung bereit gewesen sei.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der III. Zivilsenat hat den Antrag der Beklagten, ihr einen Notanwalt beizuordnen, abgelehnt.

Die Beiordnung eines Notanwalts für die beabsichtigte Nichtzulassungsbeschwerde scheidet aus, weil ein Revisionszulassungsgrund im Sinne des § 543 Abs. 2 ZPO offensichtlich nicht vorliegt. Die Zulassung der Revision ist insbesondere nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO geboten. Der von der Beklagten geltend gemachte Entgeltkürzungsanspruch besteht unzweifelhaft nicht.

Nach § 7 Abs. 2 des Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzes (WBVG) i.V.m. Nr. 2.1 des Pflegevertrages war die Klägerin verpflichtet, der Beklagten ein bestimmtes Zimmer als Wohnraum zu überlassen sowie die vertraglich vereinbarten Pflege- und Betreuungsleistungen nach dem allgemein anerkannten Stand fachlicher Erkenntnisse zu erbringen. Diese den Schwerpunkt des Pflegevertrags bildenden Kernleistungen konnten trotz pandemiebedingt hoheitlich angeordneter Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen weiterhin in vollem Umfang erbracht werden. Eine Entgeltkürzung gemäß § 10 Abs. 1 WBVG wegen Nicht- oder Schlechtleistung scheidet daher von vornherein aus. Es kommt aber auch keine Herabsetzung des Heimentgelts wegen Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB in Betracht. Durch die Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen hat sich die Geschäftsgrundlage für den zwischen den Parteien bestehenden Pflegevertrag nicht schwerwiegend geändert (siehe zu den Voraussetzungen einer Vertragsanpassung bei einer pandemiebedingten schwerwiegenden Änderung der Geschäftsgrundlage BGH, Urteile vom 12. Januar 2022 – XII ZR 8/21, MDR 2022, 147 Rn. 41 ff; vom 16. Februar 2022 – XII ZR 17/21, ZIP 2022, 532 Rn. 27 ff und vom 2. März 2022 – XII ZR 36/21, juris Rn. 28 ff [jeweils Gewerberaummiete]). Die Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen dienten primär dem Gesundheitsschutz sowohl der (besonders vulnerablen) Heimbewohner als auch der Heimmitarbeiter, ohne den Vertragszweck in Frage zu stellen. Ein Festhalten am unveränderten Vertrag war der Beklagten daher zumutbar, zumal die zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie angeordneten Einschränkungen sozialer Kontakte („Lockdown“) das gesamte gesellschaftlichen Zusammenleben, also auch Nichtheimbewohner, erfassten.

Vorinstanzen:

Landgericht Amberg – Urteil vom 30. März 2021 – 12 O 725/20

Oberlandesgericht Nürnberg – Beschluss vom 11. Oktober 2021 – 4 U 129/21

Quelle: Bundesgerichtshof, Pressemitteilung vom 1. Juni 2022

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