Die Änderung eines DBA kann nicht zur Verwirklichung des Entstrickungstatbestands nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG führen (sog. passive Entstrickung). Dies hat der 13. Senat des Finanzgerichts Münster mit Urteil vom 10. August 2022 (Az. 13 K 559/19 G,F ) entschieden.
Die Klägerin ist eine im Inland ansässige KG, deren beide Kommanditisten zugleich an einer spanischen Kapitalgesellschaft (S.L.) beteiligt waren. Ein Kommanditist wohnt in Deutschland, der andere in der Schweiz. Die Kommanditanteile waren dem Sonderbetriebsvermögen II der beiden Kommanditisten bei der Klägerin zugeordnet. Die S.L. wies in ihrer Bilanz zum 31. Dezember 2012 unbewegliches Vermögen aus, das ca. 59 % der Bilanzsumme ausmachte. Im Jahr 2012 wurde in das DBA Deutschland – Spanien erstmals eine Regelung aufgenommen, die für Veräußerungsgewinne aus Beteiligungen, deren Aktivvermögen zu mindestens 50 % aus unbeweglichem Vermögen besteht, dem Belegenheitsstaat des unbeweglichen Vermögens ein zusätzliches Besteuerungsrecht zuweist und eine Anrechnung der daraus resultierenden Steuer auf die im Wohnsitzstaat anfallende Einkommensteuer vorsieht. Aus dieser Änderung des DBA leitete das Finanzamt eine passive Entstrickung der in dem Anteil des in der Schweiz ansässigen Kommanditisten ruhenden stillen Reserven zum 1. Januar 2013 ab und unterwarf diese gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG der Besteuerung. Die Klägerin wandte hiergegen ein, dass ihr die Änderung des DBA nicht zugerechnet werden könne. Zudem verstoße eine sofort fällig werdende Einkommensteuer gegen die Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 AEUV. Einen Ausgleichsposten nach § 4g EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung habe die Klägerin mangels Zuordnung zu einer Betriebsstätte nicht bilden können.
Der 13. Senat des Finanzgerichts Münster hat der Klage stattgegeben. Dabei hat er offengelassen, ob das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder Nutzung der Kommanditanteile durch die Änderung des DBA zum 1. Januar 2013 beschränkt oder im Hinblick auf eine drohende zukünftige Steueranrechnung lediglich gefährdet wurde. Jedenfalls sei der Tatbestand der Beschränkung des Besteuerungsrechts im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bereits deshalb nicht erfüllt, weil die Änderung eines DBA nicht der Klägerin bzw. ihren Kommanditisten zuzurechnen sei. Aus der systematischen Stellung dieser Norm, die eine Gleichstellung mit einer Entnahme bewirke, folge, dass eine dem Steuerpflichtigen zurechenbare Handlung zum Ausschluss oder der Beschränkung des Besteuerungsrechts Deutschlands führen müsse. Außerdem habe der Gesetzgeber mit Einführung von § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG keine Fälle der passiven Entstrickung erfassen wollen. Er habe vielmehr die zuvor von der Rechtsprechung entwickelte Theorie der finalen Entnahme, die die Überführung von Einzelwirtschaftsgütern in eine ausländische Betriebsstätte als gewinnwirksame Entnahme behandelt hatte, gesetzlich regeln wollen, also allein Fälle der aktiven Entstrickung. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Gesetzesbegründung zur Neufassung des § 4g Abs. 1 EStG durch das ATAD-Umsetzungsgesetz vom 25. Juni 2021, wonach nunmehr auch die passive Entstrickung erfasst werden solle. Eine solche Erwägung könne nicht auf die ursprüngliche gesetzgeberische Intention zurückwirken. Anderenfalls wäre § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG wegen Verstoßes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit europarechtswidrig. Zur Vermeidung dieses Verstoßes sehe § 4g EStG zwar die Möglichkeit der Bildung eines Ausgleichspostens vor. Die Neuregelung habe jedoch im Streitjahr 2013 noch keine Fälle der passiven Entstrickung erfasst.
Der Senat hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.
Quelle: Finanzgericht Münster, Pressemitteilung vom 2. November 2022