Die Porsche SE hatte ab dem Jahr 2005 ihre Beteiligung an der Volkswagen AG ausgebaut und versucht, diese zu übernehmen. Nachdem sie am 26. Oktober 2008 ihre Absicht mitgeteilt hatte, diese Beteiligung bei stimmigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Laufe des Jahres 2009 auf über 75 Prozent zu erhöhen, stieg der Kurs der Volkswagen-Stammaktie zeitweilig auf das fünffache seines vorherigen Wertes. Anleger, die auf fallende Kurse gesetzt hatten, erlitten hierdurch – nach ihrem Vortrag – Schäden in Höhe von mehreren Milliarden Euro. Ersatz hierfür haben sie zuletzt vor dem Landgericht Hannover eingeklagt. Das Landgericht hat diese Verfahren ausgesetzt und dem Oberlandesgericht Celle verschiedene Vorfragen zur Entscheidung vorgelegt. Diese Feststellungsziele hat der 1. Kartellsenat des Oberlandesgerichts Celle mit Beschluss vom heutigen Tag überwiegend zurückgewiesen und damit den Beklagten – der Porsche SE und der Volkswagen AG – recht gegeben (Az.: 13 Kap 1/16).
Die Kläger stützen ihre Ansprüche zum einen darauf, dass Porsche und Volkswagen den Kapitalmarkt spätestens ab März 2008 genauer über die Übernahmeabsicht und den Abschluss von Aktienoptionen zur Absicherung und Finanzierung der beabsichtigten Übernahme hätten aufklären müssen. Die Voraussetzungen dieser Ansprüche liegen nach der Entscheidung des Senats nicht vor. Porsche hatte mitgeteilt, seinen Anteil an Volkswagen im Laufe des Jahres 2008 auf über 50 % aufstocken zu wollen. Soweit Porsche die Absicht dementiert hatte, insgesamt mehr als 75 % der Aktien erwerben und einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag schließen zu wollen, hatte es dies damit erklärt, dass dem die „Realitäten in der Aktionärsstruktur“ entgegenstünden. Tatsächlich hätte ein Erwerb von 75 % der Aktien aufgrund von Besonderheiten des sog. VW-Gesetzes den Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages nicht ermöglicht. Auch war die Finanzierung eines derart weitgehenden Anteilserwerbs noch nicht gesichert. Vor diesem Hintergrund war es nach der Entscheidung des Senats zumindest nicht grob unrichtig und nicht verwerflich, dass Porsche mögliche weitergehenden Ziele nicht veröffentlicht hatte.
Der Senat hat dabei eine Vielzahl weiterer Gesichtspunkte berücksichtigt: Porsche hatte seine Beteiligung an Volkswagen im Einklang mit den gesetzlichen Meldepflichten veröffentlicht. Die von Porsche abgeschlossenen Aktienoptionen, die weitere Aktienkäufe absichern und finanzieren sollten, waren nach damaliger Rechtslage nicht offen zu legen. Dem Kapitalmarkt war aber ohnehin bekannt, dass Porsche solche Optionen in einem großen Umfang besaß. Es war auch bekannt, dass Porsche die dargestellte Sonderregelung des VW-Gesetzes politisch bekämpfte. Hieraus schlussfolgerte u.a. die Wirtschaftspresse auch ohne eine ausdrückliche Bestätigung, dass Porsche seinen Anteil an Volkswagen auf deutlich mehr als 50 % ausbauen wolle.
Die Kläger stützen ihre Ersatzansprüche weiter darauf, dass Porsche schließlich am 26. Oktober 2008 seine Übernahme- und Beherrschungsabsicht mitgeteilt hatte. Sie sind der Auffassung, dass Porsche zu diesem Zeitpunkt keine Möglichkeit mehr gesehen hätte, diese Absichten umzusetzen. Die Mitteilung habe allein dem Zweck gedient, den Kurs der Volkswagen-Aktie explodieren zu lassen, weil ansonsten die Insolvenz gedroht hätte. Auch diese Pressemitteilung war nach der Entscheidung des Senats nicht unrichtig und nicht verwerflich. Die in der Mitteilung dargestellten Umstände trafen zu. Anhaltspunkte für eine konkret drohende Insolvenz lagen nach der Auffassung des Senats nicht vor. Auch sonst habe Porsche nicht annehmen müssen, dass die beabsichtigte Übernahme nach damaligem Stand gescheitert gewesen sei. Porsche hatte die Mitteilung ausdrücklich unter den Vorbehalt passender wirtschaftlicher Rahmenbedingungen gestellt. Tatsächlich hatte Porsche den mitgeteilten Übernahmeplan in der Folgezeit weiter verfolgt und erst nach einem Vorstandswechsel Mitte 2009 aufgegeben, nachdem sich auch Aussichten auf eine Änderung des VW-Gesetzes zerschlagen hatten.
Volkswagen haftet nach der Entscheidung des Senats bereits deshalb nicht, weil sein Vorstand keine Kenntnis von den Übernahmeplänen hatte und sämtliche Aufsichtsratsmitglieder, die diese Kenntnis aus ihrer Tätigkeit bei Porsche hatten, zur Verschwiegenheit verpflichtet waren.
Der Musterentscheid kann von den Klägern innerhalb eines Monats nach seiner Zustellung mit der Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof angegriffen werden.
Quelle: Oberlandesgericht Celle, Pressemitteilung vom 30. September 2022