Das Bundesamt für Justiz (BfJ) als deutsche Zentrale Behörde im internationalen Sorgerecht richtete vom 19. bis 21. September zum zweiten Mal in diesem Jahr eine Fachtagung für die in grenzüberschreitenden Sorgerechtskonflikten zuständigen Familienrichterinnen und -richter aus. Die Tagung befasste sich insbesondere mit den seit dem 1. August 2022 zu Anwendung kommenden neuen EU-Regelungen in Ehesachen und auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung.
Frau Veronika Keller-Engels, Präsidentin des BfJ, begrüßte in Augsburg hochkarätige Expertinnen und Experten aus dem In- und Ausland. Die bereits seit 15 Jahren, seit der Gründung des BfJ, ausgerichtete Veranstaltung trägt dazu bei, die Kompetenz bei den spezialisierten Familiengerichten in Fällen grenzüberschreitender Sorgerechtskonflikte zu stärken und die erfolgreiche Umsetzung der internationalen Rechtsinstrumente im internationalen Kindschaftsrecht zu unterstützen.
Schwerpunkt der aktuellen Tagung war die neue Verordnung (EU) 2019/1111 über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen (sog. „Brüssel-IIb-Verordnung“). Die Verordnung kommt zwischen den EU-Mitgliedstaaten (mit Ausnahme Dänemarks) seit dem 1. August 2022 zur Anwendung und hat die bisherige Brüssel-IIa-Verordnung abgelöst.
Die neuen Regelungen bringen erhebliche Änderungen für die familiengerichtliche Praxis mit sich. Diese betreffen insbesondere die grenzüberschreitende Vollstreckung von Beschlüssen auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung. Die signifikanteste Neuerung ist die Abschaffung des Erfordernisses der Vollstreckbarerklärung im Anerkennungsstaat. Vollstreckbare Entscheidungen im Anwendungsbereich der Verordnung können nunmehr ohne das Erfordernis einer vorhergehenden gesonderten Vollstreckbarerklärung in einem anderen Mitgliedstaat unmittelbar vollstreckt werden.
Hierzu sowie zu den angepassten deutschen Durchführungsbestimmungen im Internationalen Familienrechtsverfahrensgesetz (IntFamRVG) trugen Vertreterinnen des Bundesministeriums der Justiz, der slowakische Vertreter bei den Beratungen zur neuen Verordnung sowie eine ehemalige Leiterin der EU-Ratsarbeitsgruppe aus Bulgarien vor. Die aktuelle Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs wurde den Teilnehmenden von einem ehemaligen Rechtsberater der EU-Kommission erläutert.
Eine weitere wesentliche Zielsetzung der neuen Brüssel-IIb-Verordnung ist eine Stärkung der Rolle der Zentralen Behörden in den Mitgliedstaaten. Diese haben die Aufgabe, miteinander zu kooperieren und Unterstützung für Gerichte, Behörden und für Bürgerinnen und Bürger anzubieten, um die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern. Neu werden die grenzüberschreitenden Übermittlungs- und Kommunikationswege noch stärker als bislang über die Zentralen Behörden kanalisiert. Damit sind erweiterte Aufgaben für das BfJ verbunden.
Die Zentralen Behörden leisten praktische Hilfestellung in konkreten Einzelfällen, indem sie z. B. die Ermittlung des Aufenthalts des Kindes unterstützen, die gütliche Einigung zwischen den Trägern der elterlichen Verantwortung fördern, Informationen betreffend die Anerkennung und Vollstreckung bereitstellen, die Kommunikation zwischen Gerichten und Behörden erleichtern oder Informationen in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung einholen und austauschen. Wird ein Kind in einen anderen Vertragsstaat des Haager Kindesentführungsübereinkommens entführt, kann sich der zurückgelassene Elternteil mit dem Antrag an das BfJ wenden, ihn bei der Rückführung des Kindes zu unterstützen.
Weitergehende Informationen zum umfassenden Serviceangebot des BfJ als deutscher Zentralen Behörde im internationalen Sorgerecht können auf der Internetseite des BfJ unter www.bundesjustizamt.de/sorgerecht abgerufen werden.
Quelle: Bundesamt für Justiz, Pressemitteilung vom 28. September 2022