Solange noch ein grundsätzlich unterhaltsverpflichteter leiblicher Elternteil eines Pflegekindes lebt, scheidet ein Anspruch darauf aus.
Dies hat das Landessozialgericht (LSG) im Urteil vom 14.06.2022 entschieden (L 14 R 693/20).
Der Kläger kam nach der Geburt zu Pflegeeltern. Seine leiblichen Eltern leben noch. Nach dem Tod des Pflegevaters gewährte ihm der beklagte Rentenversicherungsträger eine Halbwaisenrente. Nach dem Tod der Pflegemutter beantragte er eine Vollwaisenrente. Der gegen den Ablehnungsbescheid der Beklagten gerichteten Klage gab das SG Düsseldorf statt.
Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG nun das Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Vollwaisenrente. Dieser setze nach dem Wortlaut des § 48 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI voraus, dass das Kind keinen Elternteil mehr habe, der – ungeachtet der wirtschaftlichen Verhältnisse – unterhaltspflichtig sei. In diesem Sinne sei der Kläger kein Vollwaise, da seine dem Grunde nach unterhaltspflichtigen leiblichen Eltern noch lebten. Da Pflegekinder gegenüber Pflegeeltern nicht unterhaltsberechtigt seien, stelle § 48 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI sie zwar mit leiblichen Kindern (und Adoptivkindern) insoweit gleich, als dass sie grundsätzlich Waisenrente nach dem Tod von Pflegeeltern(teilen) beanspruchen könnten. Die davon losgelöste Frage, wann ein Kind den Status einer Halbwaise und wann denjenigen einer Vollwaise habe, beantworte sich hingegen ausschließlich nach den Vorgaben des § 48 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 SGB VI und daher nur mit Blick auf die unterhaltspflichtigen leiblichen Eltern. Zwar könne ein Kind mehr als zwei Elternteile im Sinne des § 48 SGB VI haben (z.B. leibliche Eltern und Pflegeeltern), jedoch nur dann Vollwaise sein, wenn kein unterhaltspflichtiger Elternteil mehr vorhanden sei. Es entspreche erkennbar nicht dem gesetzgeberischen Willen, dass Pflegekinder nach Versterben beider Pflegeelternteile sowohl ein Anspruch auf Vollwaisenrente als auch grundsätzlich ein Unterhaltsanspruch gegen die leiblichen Eltern zustehe und sie somit doppelt abgesichert seien, während leibliche Kinder, die in der Herkunftsfamilie gelebt haben, nur dann Anspruch auf Vollwaisenrente haben, wenn ihnen die Möglichkeit genommen sei, einen Unterhaltsanspruch dem Grunde nach gegen einen unterhaltspflichtigen Elternteil geltend zu machen, weil beide dem Grunde nach unterhaltspflichtigen Elternteile verstorben seien.
Quelle: Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Pressemitteilung vom 20. September 2022