Der 9. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung am 25. August 2022 in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts und des Schwerbehindertenrechts.
1) 10.00 Uhr – B 9 V 1/21 R – F. H. ./. Landschaftsverband Rheinland
Vorinstanzen:
Sozialgericht Köln – S 28 VG 6/09, 10.03.2015
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen – L 13 VG 64/15, 18.09.2020
Der Kläger hat im Termin die Revision zurückgenommen.
2) 11.15 Uhr – B 9 V 2/21 R – F. H. ./. Landschaftsverband Rheinland
1 Beigeladene
Vorinstanzen:
Sozialgericht Köln – S 28 VG 68/10, 10.03.2015
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen – L 13 VG 65/15, 18.09.2020
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Er hat keinen Anspruch auf Versorgungskrankengeld über den 30.6.2005 hinaus. Eine bestandskräftige Feststellung des geltend gemachten Anspruchs ergibt sich nicht schon aus der Verlautbarung des Beklagten in seinem Bescheid vom 9.2.2009, dass ab dem 13.5.2002 dem Grunde nach Anspruch auf Versorgungskrankengeld bestehe. Vielmehr hat er in diesem Bescheid lediglich die bereits zuvor erfolgte Anerkennung von bestimmten Schädigungsfolgen wiederholt und die generelle Zugehörigkeit des Klägers zum nach § 16 Abs 1 Buchst a BVG grundsätzlich anspruchsberechtigten Personenkreis festgestellt. Die Arbeitsunfähigkeit als zwingende weitere Voraussetzung für die Gewährung von Versorgungskrankengeld – nämlich ob und für welche Zeiträume sie besteht – hat der Beklagte im Kontext der Bescheidbegründung dagegen offen gelassen und erkennbar auch nicht geprüft.
Zu Recht hat der Beklagte danach im Bescheid vom 19.1.2010 den Anspruch des Klägers auf Versorgungskrankengeld ab dem 1.7.2005 vollständig geprüft und endgültig verneint. Denn ein solcher Anspruch bestand jedenfalls deshalb nicht (mehr), weil zu diesem Zeitpunkt bereits ein Dauerzustand eingetreten war in dem Sinne, dass die Arbeitsunfähigkeit in den nächsten 78 Wochen voraussichtlich nicht zu beseitigen ist (§ 18a Abs 7 Satz 2 BVG). Dabei war unschädlich, dass der Beklagte die Feststellung dieses Dauerzustands erst nachträglich und nicht vorher durch gesonderten Bescheid getroffen hat. Denn bis zum Eintritt des Dauerzustands hat der Anspruch auf Versorgungskrankengeld von Beginn an durchgehend vollumfänglich geruht, weil der Kläger wegen desselben schädigenden Ereignisses bereits Verletztengeld aus der Unfallversicherung bezogen hatte (§ 65 Abs 3 Nr 1 BVG).
3) 12.20 Uhr – B 9 V 4/21 R – M. R.-K. ./. Landschaftsverband Rheinland
1 Beigeladene
Vorinstanzen:
Sozialgericht Köln – S 28 VG 39/10, 19.01.2016
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen – L 13 VG 55/16, 26.02.2021
Die Klägerin begehrt Versorgungskrankengeld für die Zeit ab 11.10.2003.
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Sie hat keinen Anspruch auf Versorgungskrankengeld. Die Klägerin war im streitgegenständlichen Zeitraum nicht arbeitsunfähig im Sinne der Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung.
Maßstab für die Beurteilung des Vorliegens von Arbeitsunfähigkeit war ihre Tätigkeit als Dozentin am Berufskolleg. Ausgehend von den bindenden Feststellungen des LSG hat sich die Klägerin spätestens mit der Entfristung dieser Tätigkeit im August 2003 von ihrer früheren Tätigkeit als Filialleiterin gelöst. Die Tätigkeit als Filialleiterin stellte für die Klägerin in ihrer Erwerbsbiografie nur eine vorübergehende Ausnahme dar. Von Beginn der Tätigkeit beim Berufskolleg an wollte sie wieder lehrend und nicht mehr in einem Filialbetrieb tätig sein. Die Arbeits- und Belastungserprobung war aus Sicht der BG mit Einstellung der Zahlung des Verletztengelds beendet. Anhaltspunkte, die dafür sprechen könnten, dass die Klägerin die Dozententätigkeit beim Berufskolleg auch nach der Entfristung lediglich ausprobiert und gerade nicht im Sinn einer tatsächlichen, auf Dauer ausgerichteten Arbeitsleistung ausgeübt hätte, bestehen nicht. Vielmehr mündete die Erprobung noch vor dem hier streitgegenständlichen Zeitraum in eine unbefristete Tätigkeit im Berufskolleg und begann die Klägerin ab 11.10.2003 das berufsbegleitende Studium zur Betriebswirtin für Soziale Einrichtungen, das als geeignete Fortbildungsmöglichkeit gerade für diese Tätigkeit ausgewählt wurde.
Weder in der Tätigkeit als Dozentin am Berufskolleg noch hinsichtlich des berufsbegleitenden Studiums war die Klägerin nach den bindenden Feststellungen des LSG arbeitsunfähig.
4) 13.30 Uhr – B 9 SB 5/20 R – M. S. ./. Land Baden-Württemberg
Vorinstanzen:
Sozialgericht Reutlingen – S 6 SB 3031/17, 25.01.2019
Landessozialgericht Baden-Württemberg – L 6 SB 939/19, 23.01.2020
Die Revision des Klägers war erfolgreich. Der Beklagte war nach dem konkreten Stand des Verwaltungsverfahrens über den Neufeststellungsantrag nicht berechtigt, den Kläger als Bevollmächtigten zurückzuweisen.
Allein die Beantragung der Neufeststellung des GdB und der Zuerkennung der Voraussetzungen von Merkzeichen stellt, wie es der Senat bereits für eine Erstantragstellung entschieden hat, noch keine Rechtsdienstleistung dar. Eine Rechtsdienstleistung ist nach der Legaldefinition in § 2 Abs 1 RDG nur eine Tätigkeit, die eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert. Ebenso wie eine Erstantragstellung erschöpft sich ein Neufeststellungsantrag im Ausfüllen des vorgegebenen Formulars, worin insbesondere Angaben zu Gesundheitsstörungen sowie den behandelnden Ärzten zu machen und dem vorhandene Befundunterlagen beizufügen sind. Zudem muss ein Antragsteller die Ärzte von der Schweigepflicht entbinden. Hierbei handelt es sich um einfache Willenserklärungen und tatsächliche Angaben, die noch keine juristischen Kenntnisse oder rechtliche Prüfung erfordern. Es obliegt der Verwaltung, den Antrag unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsprinzips rechtlich einzuordnen und die Mitteilungen im Antrag auszuwerten. Erst dies erfordert Kenntnisse des SGB IX und der dazu ergangenen Rechtsprechung sowie Erfahrungen im Umgang mit dem Verwaltungsverfahrensrecht. Hingegen setzt die bloße Antragstellung noch keine rechtliche Subsumtion der Umstände des Einzelfalls, insbesondere nicht unter die Voraussetzungen der §§ 44 ff SGB X voraus. Zwar steht es einem Antragsteller frei, vor Antragstellung eine solche rechtliche Prüfung selbst durchzuführen oder von einer anderen Person vornehmen zu lassen. Rechtlich oder tatsächlich notwendig ist sie für die Antragstellung als solche aber nicht.
Quelle: Bundessozialgericht, Terminbericht Nr. 32 vom 26. August 2022