Vorschläge für neue Regelungen zum Maßregelrecht, zur Ersatzfreiheitsstrafe und zur Berücksichtigung geschlechtsspezifischer und gegen die sexuelle Orientierung gerichteter Tatmotive
Das Bundesministerium der Justiz hat heute den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Überarbeitung des Sanktionenrechts – Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt veröffentlicht.
Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann erklärt allgemein zum Anspruch des Gesetzes:
„Die neue Bundesregierung steht für einen Neustart in der Strafrechtspolitik. Geht der Staat mit Straftätern richtig um? Passen unsere Straftatbestände alle noch in die Zeit? Diese Fragen wurden in den letzten Jahren vernachlässigt. Außer höheren Strafen und neuen Strafvorschriften ist der Politik zu wenig eingefallen. Diese Einseitigkeit wollen wir hinter uns lassen – zugunsten einer zeitgemäßen Strafrechtspolitik. Die Abschaffung des § 219a StGB war ein bedeutsamer erster Schritt. Doch darauf ruhen wir uns nicht aus. Mit der Neuregelung des strafrechtlichen Sanktionenrechts setzen wir Reformen um, die von Expertinnen und Experten seit vielen Jahren gefordert werden. Wir stärken so Resozialisierung und Prävention; zugleich entlasten wir den Staat und seine Einrichtungen.“
Der vorgelegte Gesetzentwurf sieht verschiedene Änderungen vor:
I. Reform des Maßregelrechts
Im Maßregelrecht werden die Anordnungsvoraussetzungen für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 des Strafgesetzbuches (StGB) in mehrfacher Hinsicht enger gefasst. Die Änderungen verfolgen vor allem das Ziel, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wieder stärker auf die verurteilten Personen zu konzentrieren, die aufgrund ihres übermäßigen Rauschmittelkonsums und der daraus resultierenden Gefahr, erhebliche rechtswidrige Taten zu begehen, tatsächlich der Behandlung in einer solchen Einrichtung bedürfen. Damit soll zugleich der seit vielen Jahren zu beobachtende Anstieg der Zahl der untergebrachten Personen möglichst gebremst werden.
Die Anforderungen an den erforderlichen „Hang“ zum übermäßigen Rauschmittelkonsum, an den Zusammenhang zwischen Hang und Straffälligkeit und an die Erfolgsaussicht einer Behandlung werden zu diesem Zweck erhöht. Der regelmäßige Zeitpunkt für eine Reststrafenaussetzung wird, auch für die Berechnung eines etwaigen Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe, an den bei der reinen Strafvollstreckung üblichen Zweidrittelzeitpunkt angepasst (§ 67 Absatz 2 und 5 StGB-E). In der Strafprozessordnung (StPO) wird klarstellend die sofortige Vollziehbarkeit für Entscheidungen nach § 67d Absatz 5 Satz 1 StGB normiert, mit denen die Behandlung wegen Erfolglosigkeit für erledigt erklärt wird (§ 463 Absatz 6 Satz 3 StPO-E).
Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann erklärt hierzu:
„In den letzten Jahren hat die Zahl der Menschen drastisch zugenommen, die nach einer strafgerichtlichen Verurteilung in einer Entziehungsanstalt untergebracht sind. Die Situation ist nicht länger tragbar: Nicht alle untergebrachte Personen sind in den Kliniken richtig aufgehoben. Viele Kliniken sind überlastet. Ziel unserer Reform: Die Behandlung muss sich wieder auf diejenigen Personen konzentrieren, die wirklich behandlungsbedürftig und -fähig sind. Das liegt im Interesse aller betroffenen Personen und unseres Gemeinwesens.“
II. Ersatzfreiheitsstrafen
Der Umrechnungsmaßstab von einer Geldstrafe in eine Ersatzfreiheitstrafe in § 43 StGB wird so geändert, dass zukünftig zwei Tagessätze Geldstrafe einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe entsprechen. Bislang entspricht ein Tagessatz Geldstrafe einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe. Diese Änderung verfolgt das Ziel, die Dauer der tatsächlich vollstreckten Ersatzfreiheitsstrafen zu halbieren, da deren Vollzug in der Regel keinen Beitrag zur Resozialisierung der Betroffenen leisten kann. Zugleich kann so die mit der Vollstreckung verbundene Strafbelastung stärker an die der ursprünglich verhängten Geldstrafe ausgerichtet werden, weil ein Tag Freiheitsstrafe deutlich schwerer wiegt als die Einbuße eines Tageseinkommens. Die Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafe kann und soll es der verurteilten Person auch erleichtern, deren Vollstreckung ganz zu vermeiden. Zusätzlich sollen vollstreckungsrechtliche Ergänzungen dazu beitragen, dass die verurteilte Person stärker bei der Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafe unterstützt wird.
Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann erklärt hierzu:
„Die Ersatzfreiheitsstrafe ist ein notwendiges Übel, aber sie ist dringend reformbedürftig. Zu viele Menschen müssen erhebliche Freiheitsstrafen verbüßen, weil die eigentlich gegen sie verhängte Geldstrafe nicht vollstreckt werden kann. Das ist unter dem Gesichtspunkt der Resozialisierung fragwürdig. Außerdem verursacht es erhebliche Kosten. Mit unserem Gesetz halbieren wir die Ersatzfreiheitsstrafen. Außerdem machen wir für die Betroffenen die Chance greifbarer, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe durch Ableistung gemeinnütziger Arbeit ganz abzuwenden. Das ist ein wichtiger Beitrag zu einem humanen und effektiven Strafrecht.“
III. Erweiterung der Strafzumessungsnorm § 46 StGB
§ 46 Absatz 2 StGB nennt Umstände, die bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sind. Menschenverachtende Beweggründe und Ziele sind danach besonders zu berücksichtigen. Beispielhaft genannt hierfür werden rassistische, fremdenfeindliche und antisemitische Beweggründe und Ziele. In diese Liste sollen nunmehr ausdrücklich auch „geschlechtsspezifische“ sowie „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Tatmotive aufgenommen werden. Der Begriff „geschlechtsspezifisch“ soll dabei nicht nur die unmittelbar auf Hass gegen Menschen eines bestimmten Geschlechts beruhenden Beweggründe erfassen, sondern auch die Fälle einbeziehen, in denen die Tat handlungsleitend von Vorstellungen geschlechtsbezogener Ungleichwertigkeit geprägt ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Täter gegenüber seiner Partnerin oder Ex-Partnerin mit Gewalt einen vermeintlichen patriarchalischen Herrschafts- und Besitzanspruch durchsetzen will. Die ausdrückliche Nennung der „gegen die sexuelle Orientierung gerichteten“ Tatmotive betont die Notwendigkeit einer angemessenen Strafzumessung für alle Taten, die sich gegen LSBTI-Personen richten.
Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann erklärt hierzu:
„Geschlechtsspezifische Gewalt muss als solche benannt und mit der notwendigen Strenge bestraft werden. Um dies sicherzustellen, werden wir das Strafgesetzbuch ergänzen. Wir werden betonen und bekräftigen, dass „geschlechtsspezifische“ Motive bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sind. Auch in unserem Land ist das Ausmaß gerade frauenfeindlicher Gewalt erschütternd. Jeden Tag erfahren Frauen Gewalt durch Männer – weil sie sich männlichem Herrschaftswahn widersetzen. Kein Mann darf sich anmaßen, über das Leben einer anderen Frau zu bestimmen. Die Anpassung gilt auch für Taten, die sich etwa gegen die trans- oder intergeschlechtliche Identität von Menschen richten. Und auch „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Tatmotive werden wir ausdrücklich im Gesetz benennen. Wer Menschen wegen ihrer geschlechtlichen Identität oder sexuellen Orientierung angreift, handelt ebenfalls unserer Werteordnung in besonders eklatanter Weise zuwider.“
IV. Auflagen und Weisungen
Die Möglichkeit einer Therapieweisung im Rahmen der Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56c StGB), der Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59a StGB) und des Absehens von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen (§ 153a StPO) wird ausdrücklich normiert; bei der Verwarnung mit Strafvorbehalt wird zusätzlich die Möglichkeit einer Anweisung geschaffen, sonst gemeinnützige Leistungen zu erbringen (Arbeitsauflage).
Der Entwurf wurde an Länder und Verbände verschickt und auf unserer Homepage veröffentlicht. Die interessierten Kreise haben nun Gelegenheit, bis zum 24. August 2022 Stellung zu nehmen. Die Stellungnahmen werden auf der Internetseite des BMJ veröffentlicht werden.
Quelle: Bundesministerium der Justiz, Pressemitteilung vom 19. Juli 2022