
„Die Innere Sicherheit und damit unser friedliches Zusammenleben in unserem Land werden in einem bisher nicht bekannten Ausmaß auf den Prüfstand gestellt. Die Gefährdungslage hat sich in allen Phänomenbereichen erneut spürbar verschärft.“ Dieses Fazit zieht Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, der am Freitag den Verfassungsschutzbericht 2024 vorgestellt hat. Für Herrmann besonders besorgniserregend: „Die Botschaften der Extremisten aus allen Bereichen verfangen immer öfter auch bei jüngeren Menschen, oftmals sogar Minderjährigen.“ Die Sozialen Medien seien hier Dreh- und Angelpunkt: „Extremistische Akteure nutzen sie, um ihre Ideologien und Narrative zu verbreiten. Das wirkt wie ein Brandbeschleuniger bei der Verbreitung von Demokratiefeindlichkeit, Hass auf den Staat oder bei der Selbstradikalisierung von potentiellen Gewalttätern.“ Für den Minister ist klar: „Unsere Sicherheitsbehörden müssen – auch angesichts der sich rasant verändernden Weltlage – mit ihren Befugnissen und technischen Möglichkeiten am Puls der Zeit bleiben.“ Der Einsatz der Künstlichen Intelligenz müsse bei der Aufklärung extremistischer Umtriebe oder bei Desinformation im Internet weiter ausgebaut werden. „Zudem müssen wir endlich den Fehlentwicklungen, die den Nährboden für extremistische Propaganda bilden, entschlossen gegensteuern und die wichtigen Themen wie Migrationssteuerung entschieden angehen“, so Herrmann.
Die Gefährdungslage durch Anschläge und Anschlagsversuche mit unterschiedlich stark ausgeprägter islamistischer Tatmotivation ist nach der Lageeinschätzung von Sicherheitsexperten so hoch wie seit Langem nicht mehr. „Kein Zweifel: wir befinden uns in einer neuen Welle von jihadistischen Anschlägen“, sagte Herrmann mit Blick auf die Häufung sowohl rechtzeitig vereitelter Anschlagspläne als auch ausgeführter islamistischer Anschläge in ganz Europa. Der Angriff der Terrororganisation HAMAS im Herbst 2023 habe der islamistischen Szene neuen Auftrieb verschafft. Die Bedrohung geht zum einen von islamistischen Netzwerken, wie dem IS-Ableger ISPK aus. „Die Mehrzahl der Anschläge wurde jedoch von Einzeltätern ohne jegliche Anbindung an islamistische Netzwerke begangen“, so der Minister. Verschärft werde die Gefährdungslage durch Nachahmungstäter. „Dieser Multiplikationseffekt kann besonders bei Personen, die unter psychischen Auffälligkeiten leiden, dazu führen, dass sie sich zur Tat entschließen. Umso wichtiger ist es, mit ressortübergreifenden und zielgruppenspezifischen Maßnahmen zur Prävention und Deradikalisierung möglichst frühzeitig anzusetzen. Wir wollen potenzielle Radikalisierungsprozesse bereits im Keim ersticken.“ Hier spiele die Präventionsstelle Islamismus im Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz (BayLfV) eine wichtige Rolle.
Beim auslandsbezogenen Extremismus liegt der Schwerpunkt der Aktivitäten nach wie vor im andauernden Nahostkonflikt. „Die Auswirkungen werden auch in der Statistik deutlich: „Die Gesamtzahl der „extremistischen Straftaten – ausländische Ideologie“ stieg 2024 auf 112 an – im Vergleich zu 2022 vor dem HAMAS-Angriff eine Steigerung um fast 200 Prozent“, so Herrmann.
In der rechtsextremistischen Szene ist 2024 die Zahl der Szeneangehörigen erneut leicht auf nunmehr 2.740 gestiegen (2023: 2.725). Eine Ursache könne auch hier in dem verschärften Werben um jüngere Anhänger liegen, insbesondere durch Angebote von Sport- und Kampfsportaktivitäten. „Im Gegensatz hierzu ist 2024 die Gesamtzahl rechtsextremistischer Straftaten erneut von 476 im Vorjahr auf nunmehr 407 zurückgegangen“, so der Minister. Gleiches gelte für die Zahl der Gewalttaten: „Während 2023 noch 52 Taten begangen wurden, gingen diese 2024 um 25 Prozent auf 39 Delikte zurück.“ Der Mehrzahl der Gewalt- und sonstigen Straftaten lag eine fremdenfeindliche oder antisemitische Motivation zugrunde.
In der linksextremistischen Szene lagen die Schwerpunktaktivitäten auf Solidaritätsaktionen für inhaftierte Szeneangehörige und der Agitation gegen den von ihr konstatierten „Rechtsruck“ in der Gesellschaft.“ Die Wahlerfolge „rechter“ Parteien führten zu einem gesteigerten Aktivismus gegen den politischen Gegner; schwerpunktmäßig richteten sich die Aktionen aber nach wie vor gegen die AfD. Die Szene setzt nach den Erkenntnissen der Verfassungsschützer zunehmend ungehemmt auf Einschüchterungs- und Gewaltstrategien. Mittlerweile bezichtigt die Szene unterschiedslos aber auch bürgerliche Parteien des „Faschismus“. Anlass dafür sind vor allem die aktuellen politischen Debatten zur Migrationspolitik und der Inneren Sicherheit.
Im letzten Jahr hat sich das der Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter zuzurechnende Personenpotenzial erneut leicht von 5.406 im Vorjahr auf 5.430 erhöht; davon zählen 530 Szeneangehörige zum „harten Kern“. Dabei sind laut Herrmann unverändert 500 Personen dem gewaltorientierten Personenpotenzial zuzurechnen. Insgesamt seien Reichsbürger allerdings deutlich weniger straffällig geworden als in den Vorjahren. „Sowohl bei den Gewalt- als auch bei den sonstigen Delikten sind die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr um rund zwei Drittel zurückgegangen“ (Gewaltdelikte: 2024: 26, 2023: 73; sonstige Delikte 2024: 81, 2023: 233).Wie Herrmann weiter berichtete, war auch im Bereich der Spionage und Cyberabwehr die Lage im vergangenen Jahr äußerst angespannt: „Die Experten stellten hier vor allem Einflussoperationen russischer Akteure fest. Damit soll gezielt Desinformation und Propaganda in Deutschland verbreitet werden.“ Insbesondere die Entwicklung im Cyberraum sei besorgniserregend. Dort seien immer umfangreichere und ausgefeiltere Desinformationskampagnen aufzufinden. Herrmann: „Hierbei geht es regelmäßig darum, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, Misstrauen zu säen und unsere demokratischen Werte infrage zu stellen.“
IM Bayern, 11.04.2025