Das Landgericht Stuttgart wollte das Verfahren gegen den Querdenken Initiator Michael Ballweg wegen geringer Schuld einstellen. Da die Staatsanwaltschaft ihre Zustimmung verweigerte geht das Verfahren jedoch wie geplant weiter. Nach Auffassung des Gerichts seien die Betrugs- und Steuerhinterziehungstaten nach bisherigem Stand der Beweisaufnahme nicht nachweisbar.

I. Überblick

Am 12.03.2025 erörterten die erkennenden Berufsrichter, die Schöffen, die Vertreter der Staatsanwaltschaft Stuttgart sowie die Verteidiger des Angeklagten außerhalb der Hauptverhandlung den Verfahrensstand. 

Das rund 70-minütige Gespräch erfolgte auf Anregung der Strafkammer.

Die Vorsitzende Richterin teilte in der heutigen öffentlichen Hauptverhandlung den Inhalt dieses Gesprächs mit.

Demnach sei es nach der bisherigen Beweisaufnahme an 26. Hauptverhandlungstagen die vorläufige Auffassung des Gerichts, dass weder hinsichtlich des Tatvorwurfs des versuchten Betruges in 9.450 Fällen noch hinsichtlich des Großteils der angeklagten versuchten Steuerhinterziehung bzw. vollendeten Steuerhinterziehung die Tatvorwürfe nachweisbar seien.

Daher regte die Strafkammer an, das Verfahren wegen Geringfügigkeit gemäß § 153 Abs. 2 StPO einzustellen. Diese Einstellung hätte unmittelbar erfolgen können.

Hierfür wäre eine Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten erforderlich gewesen.

Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft erklärte, dem Vorschlag der Strafkammer nicht zuzustimmen.

Nach dem gesetzlichen Regelfall wären im Falle einer Verfahrenseinstellung gemäß § 153 StPO die Verfahrenskosten sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten von der Staatskasse zu tragengewesen. Mögliche Ansprüche des Angeklagten nach dem Strafentschädigungsgesetz wären anschließend gesondert zu prüfen gewesen.

II. Weiterer Verfahrensgang

Die Kammer wies im Erörterungsgespräch darauf hin, dass für den Fall, dass keine Zustimmung zur Verfahrenseinstellung erteilte werde, bis auf weiteres verhandelt werde. Die Beweisaufnahme sei trotz der nun mitgeteilten Prognose nicht abgeschlossen. Daher könne der Angeklagte derzeit auch weder freigesprochen noch verurteilt werden.

Folglich begann die Strafkammer unmittelbar nach der Verfahrensunterbrechung noch am Vormittag mit der Vernehmung eines weiteren geladenen Zeugen. 

Die weitere Dauer des Verfahrens sei nach Auffassung der Strafkammer nicht absehbar, weil derzeit noch nicht alles aufgeklärt sei und weitere Zeugen vernommen werden würden. Für das Verfahren sind bislang weitere 25 Hauptverhandlungstage bis zum 02. Oktober angesetzt.

III. Begründung der Strafkammer im Detail

Im Einzelnen begründete die Strafkammer ihre Entscheidung wie folgt:

1. Zum Tatvorwurf des versuchten Betruges in 9.450 Fällen

Nach derzeitiger Auffassung der Strafkammer habe der Angeklagte wohl zu Schenkungen aufgerufen. Allerdings sei zweifelhaft, inwieweit ihm nachgewiesen werden könne, dass er sich dabei vorbehalten habe, eingeworbene Gelder jedenfalls teilweise für sich zu verwenden. Um auf einen solchen inneren geheimen Vorbehalt des Angeklagten schließen zu können, brauche man äußere Tatsachen, die einen solchen Rückschluss ermöglichten. Eine solche äußere Tatsache stelle insbesondere die Verwendung eingeworbener Gelder für private Zwecke dar. Dies sei nach der bisherigen – relativ weit vorangeschrittenen – Beweisaufnahme wohl nicht feststellbar.

Dabei habe die Kammer die Schlussverwendung der nach der Anklage eingeworbenen Schenkungen, die in einem Umfang von 575.929,84 EUR für private Zwecke verwendet worden sein sollen, eingehenduntersucht. Der Nachweis einer privaten Verwendung könne hiernach voraussichtlich nicht geführt werden. Insoweit reiche es nicht aus, festzustellen, dass offen sei, was mit dem Geld geschehen sei. Vielmehr müsse sich die Strafkammer für eine Verurteilung wegen dieses Tatvorwurfs auf Grundlage des Beweisergebnisses eine Überzeugung bilden können, dass der Angeklagte das Geld tatsächlich nicht zweckentsprechend verwendet habe.

Beim größeren Teil dieses Geldbetrags sei nicht feststellbar, wofür das Geld schließlich verwendet worden sei. Dies gelte zum einen für einen Betrag von 272.190,73, den der Angeklagte in Bar vom für Schenkungen eingerichteten Konto abgehoben habe. Auch hinsichtlich der 55 Einzeltransaktionen zu je 1.000 EUR, die der Angeklagte an ein Kryptowährungskonto im Zeitraum vom 3. Mai 2021 bis 21. September 2021 (insgesamt 55.000 EUR) überwiesen habe, sei schlicht nicht aufzuklären, was mit dem Geld passiert ist. Jedenfalls der Betreff der Überweisungen „QD711“ spreche dem ersten Anschein nach gegen eine zweckwidrige Verwendung. Auch hinsichtlich weiterer Zahlungen von insgesamt 54.500 EUR an verschiedene Privatkonten des Angeklagten sei nach dem derzeitigen Stand der Beweisaufnahme das Geld – bis auf eine Einzelbuchung im Zusammenhang mit „Querdenken“-Aktivitäten – wohl auf Kryptokonten weitergeleitet worden. Auch hier wisse man derzeit nicht, wie das Geld weiterverwendet worden sei, oder ob das Geld noch vorhanden sei. Die Aktenlage spreche derzeit dagegen, dass hierzu weitere Aufklärung möglich sei.

Bei den übrigen Beträgen hätten sich Anhaltspunkte für eine Verwendung im Zusammenhang mit Querdenken ergeben. Dies gelte etwa für etliche Überweisungen des Angeklagten an Privatpersonen in Höhe von 48.239,11 EUR. Auch bei der m. GmbH, der Firma des Angeklagten, sei nicht ausschließbar, dass diese für Querdenken-711 tätig gewesen sei. Daher könne auch aus den an sie erfolgten zehn Überweisungen in Höhe von insgesamt 131.000 EUR nicht auf einen Vorsatz des Angeklagten für eine private Verwendung der eingeworbenen Gelder geschlossen werden. Schließlich hätten sich nach der Beweisaufnahme Anhaltspunkte ergeben, dass die vom Angeklagten eingerichtete „Familienstiftung“ auch der Schaffung einer gemeinnützigen Gesellschaftsstruktur für Querdenken-711 dienen sollte, weshalb auch die an diese erfolgte Überweisung von 15.000,- Euro nicht nachweisbar privatnützig sei.

2. Zum Tatvorwurf der versuchten Steuerhinterziehung bzw. der vollendeten Steuerhinterziehung:

Nach vorläufiger rechtlicher Auffassung handele es sich bei den von dem Angeklagten eingeworbenen Schenkungen zunächst nicht um gewerbliche Einkünfte. Die Organisation von Demonstrationen oder gesellschaftlicher Protest stelle keine Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr dar, was aber für das Vorliegen eines Gewerbes notwendig sei. Daran ändere auch nichts, dass der Angeklagte auf Anregung seines Steuerberaters zunächst trotzdem ein Gewerbe anmeldete, welches er später rückwirkend abgemeldet habe. Auch die für ein Gewerbe erforderliche Gewinnerzielungsabsicht sei bislang nicht nachweisbar.

Letztlich könne dies offen bleiben, wenn, wie nach dem bisherigen Verlauf der Beweisaufnahme zu erwarten, dem Angeklagten nicht nachgewiesen werden könne, dass er vorsätzlich habe Steuernhinterziehen wollen. Demnach habe er darauf vertrauen dürfen, dass die notwendigen Steuererklärungen von seinem langjährigen Steuerberater abgegeben werden würden. Hierdurch könne ihm auch nicht der strafbare Vorwurf einer leichtfertigen Steuerverkürzung gemäß § 378 AO gemacht werden.

Die Strafkammer sei vorläufig der Auffassung, dass der Angeklagte die Steuererklärungen über seinen Steuerberater wohl hätte fristgerecht abgeben können. Insoweit stütze sie sich auf die Angaben eines Steuerfahnders, wonach bei dem damaligen Steuerberater des Angeklagten ein Entwurf der Einkommensteuererklärung für 2020 mit bereits aktuellen Zahlen aufgefunden werden konnte. Für die Steuererklärungen der m. GmbH habe es nach bisherigem Erkenntnisstand bereits eine Freigabeerklärung des Angeklagten gegeben, die die Körperschafts-, Gewerbe- und Umsatzsteuer erfasst habe. Nicht zuletzt weil der Steuerberater durch den Angeklagten nicht von seiner Schweigepflicht entbunden worden sei und deshalb nicht habe vernommen werden können, könnten die Ursachen, warum die Abgabe einer Einkommenssteuererklärung trotzdem nicht rechtzeitig erfolgt sei, nicht aufgeklärt werden. Aufgrund der Freigabeerklärungen für die m. GmbH und den im Grunde fertigen Entwurf der Einkommensteuererklärung,habe für den Angeklagten aus seiner Sicht in den ersten Wochen seiner Inhaftierung bis zum Ablauf der Abgabefrist auch kein Anlass bestanden, sich mit dem Steuerberater zu beraten.

Lediglich soweit der Angeklagte mutmaßlich private Umsätze oder solche mit Bezug zu Querdenken-711 möglicherweise zu Unrecht über die m. GmbH verbucht und entsprechende Umsatzsteuervoranmeldungenabgegeben habe, könnte er Steuern hinterzogen haben. Hierbei handele es sich jedoch um allenfalls einen Betrag von 2.112,18 Euro. Hier wäre für einen entsprechenden Tatnachweis allerdings noch eine längere Beweisaufnahme erforderlich.

§ 153 Strafprozessordnung: Absehen von der Verfolgung bei Geringfügigkeit

(1) Hat das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand, so kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Der Zustimmung des Gerichtes bedarf es nicht bei einem Vergehen, das nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht ist und bei dem die durch die Tat verursachten Folgen gering sind.

(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren einstellen. Der Zustimmung des Angeschuldigten bedarf es nicht, wenn die Hauptverhandlung aus den in § 205 angeführten Gründen nicht durchgeführt werden kann oder in den Fällen des § 231 Abs. 2 und der §§ 232 und 233 in seiner Abwesenheit durchgeführt wird. Die Entscheidung ergeht durch Beschluss. Der Beschluss ist nicht anfechtbar.

LG Stuttgart, 18.03.2025