Der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz hält Kritikern eines Verbotsverfahrens gegen die AfD vor, die Bedrohung durch die in Teilen als rechtsextrem eingestuften Partei zu verharmlosen. „Bis in die Eliten hinein scheinen viele in unserem Land zu unterschätzen, welche Gefahr von der AfD ausgeht“, sagte der frühere Ostbeauftragte der Bundesregierung der Wochenzeitung „Das Parlament“ (www.das-parlament.de Erscheinungstag 12. Februar).

Obwohl der Bundestag einen von ihm und 123 weiteren Abgeordneten unterzeichneten Gruppenantrag für die Einleitung eine Verbotsverfahrens in seiner planmäßig letzten Sitzung vor der Bundestagswahl in dieser Woche nicht mehr abschließend beraten hat, zeigte sich Wanderwitz weiter optimistisch: „Ein dramatisches Wahlergebnis könnte Bewegung in die Sache bringen.“ Die Unterstützer des Antrags planten, das Ziel eines AfD-Verbots nach der Wahl im neuen Bundestag weiter zu verfolgen, kündigte Wanderwitz an. Er selbst jedoch wird sich aus der Politik zurückziehen.

Im Interview äußerte sich der 49-Jährige zu den Umständen: Ein „gewichtiger Grund“ für seine Entscheidung, nicht mehr für den Bundestag zu kandidieren, sei, dass „der Umgang in und mit der Politik in den letzten Jahren brutal geworden ist“, sagte Wanderwitz, der dem Bundestag insgesamt 23 Jahre angehörte. „Shitstorms, Beleidigungen bis hin zu Morddrohungen gehören heute zum politischen Alltag. Das kostet immer mehr Kraft.“

Der Abgeordnete mahnte zu mehr überfraktionellem Zusammenhalt: „Demokraten sollten enger zusammenstehen und sich mehr mit den Feinden der Demokratie auseinandersetzen als mit sich selbst“, so Wanderwitz.

Das Interview im Wortlaut:

Das Parlament: Herr Wanderwitz, Ende Januar hat der Bundestag einen von Ihnen mitinitiierten Gruppenantrag für ein AfD-Verbotsverfahren beraten. Die Debatte fiel ausgerechnet in die Woche, in der er auch einen Antrag der Union zur Verschärfung der Migrationspolitik angenommen hat – zum ersten Mal mithilfe von AfD-Stimmen. Wie haben Sie diese Konstellation empfunden?

Marco Wanderwitz: Bedrückend. Wir hatten uns Unterstützung davon erhofft, den Antrag in der Sitzungswoche zu debattieren, in der auch der Opfer des Nationalsozialismus, anlässlich des 80. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz am 27. Januar, gedacht werden sollte. Stattdessen kam es zu dieser Verknüpfung.

Das Parlament: Dass die Union Stimmen der AfD in Kauf nahm, hat zuletzt Tausende Menschen auf die Straße getrieben. Sehen Sie darin Rückenwind für Ihren Verbots-Antrag?

Marco Wanderwitz: Jein. Die Proteste richten sich ja nicht nur gegen den Rechtsextremismus, sondern auch gegen meine Partei. Die Gefahr, dass der Antrag nur mit AfD-Stimmen durchkommt, bestand von Anfang an – deswegen habe ich bewusst an der Abstimmung nicht teilgenommen. Dass aber Demokraten bei schwierigen Themen keine Kompromisse finden, ist das eigentliche Übel. Früher oder später zerreißt das unser Land, wenn sich nichts ändert.

Das Parlament: Auch ein Verbotsverfahren ist umstritten: Am übernächsten Sonntag ist Wahl und über Ihren Antrag, ebenso wie einen Gruppenantrag aus den Reihen der Grünen dazu, hat der Bundestag auch in seiner letzten Sitzung nicht abgestimmt. Kamen die Initiativen zu spät?

Marco Wanderwitz: Natürlich hatten wir einen anderen Zeitplan, den wir aufgrund der vorgezogenen Neuwahlen erheblich straffen mussten. Wir hatten mit mehr Zeit gerechnet – und mit der Neubewertung der AfD durch das Bundesamt für Verfassungsschutz…

Das Parlament: …die AfD wird seit 2021 durch den Verfassungsschutz als Verdachtsfall beobachtet. Eine verfassungsschutzrechtliche Neubewertung hatte dessen damaliger Präsident Thomas Haldenwang für 2024 angekündigt, aber dann aufgrund der Wahl mit Verweis auf die Verpflichtung zur staatlichen Neutralität in Zeiten des Wahlkampfs verschoben…

Marco Wanderwitz: Aus meiner Sicht war das ein fataler Fehler. Wenn der Verfassungsschutz neue Erkenntnisse zur AfD hat, muss er sie vorlegen.

Das Parlament: Kritiker Ihres Antrags sind skeptisch, ob sich der AfD ohne neue Erkenntnisse eine aktiv-kämpferische Verfassungsfeindlichkeit nachweisen lässt. Eine Gruppe von Grünenpolitikern dringt deshalb darauf, mit einem Gutachten die Erfolgschancen eines Verbotsverfahrens auszuloten. Haben sie da einen Punkt?

Marco Wanderwitz: Nein. Wir sind überzeugt, dass genug Fleisch am Knochen ist, um ein Verbotsverfahren zu führen. Allein das Material aus öffentlichen Quellen bietet genügend Anlass, die Verfassungsfeindlichkeit der AfD durch das Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen. Unsere Demokratie kennt zum Glück, anders als andere liberale westliche Demokratien, das Parteiverbotsverfahren als ein Instrument der wehrhaften Demokratie. Wir müssen das scharfe Schwert nur endlich aus dem Waffenschrank holen.

Das Parlament: Viele befürchten jedoch, dass ein Verfahren erhebliche Teile der Bevölkerung weiter von der Demokratie entfremden könne – ein hoher Preis für ein langes und möglicherweise erfolgloses Verfahren.

Marco Wanderwitz: Ich will die Bedenken nicht wegwischen. Aber mit Blick auf die Zustimmungswerte für die AfD oberhalb von 20 Prozent frage ich mich doch, ob sich diese Befürchtungen nicht längst bewahrheitet haben. Bis in die Eliten hinein scheinen aber viele in unserem Land noch zu unterschätzen, welche Gefahr von der AfD ausgeht.

Das Parlament: Nun droht Ihr Antrag Opfer des Diskontinuitätsprinzips im Bundestag zu werden: Wird nicht bis zum Ende der Legislaturperiode abgestimmt, ist er automatisch erledigt.

Marco Wanderwitz: Das Risiko war einkalkuliert; wir wollten es trotzdem versuchen. Nach der monatelangen Vorarbeit sollte unser Antrag mindestens eine Drucksachennummer bekommen und im Plenum debattiert werden. Noch gibt es eine Restchance, der Diskontinuität zu entgehen. Ein dramatisches Wahlergebnis etwa könnte Bewegung in die Sache bringen. Wenn nicht, wird es eine der ersten Amtshandlungen der Unterzeichner sein, den Antrag neu vorzulegen, wenn sie wieder in den Bundestag gewählt werden.

Das Parlament: Diesen Kampf werden nicht bis zuletzt mitkämpfen, denn für den neuen Bundestag kandidieren sie nicht mehr. Ihren Rückzug haben sie auch damit begründet, ihre Familie und sich selbst „körperlich und seelisch schützen“ zu müssen. Hätten Sie, als sie Sie 2002 das erste Mal als 26-Jähriger in den Bundestag einzogen, es für möglich gehalten, aus diesem Grund zu gehen?

Marco Wanderwitz: Nein, damals war noch vieles anders. Für meine Entscheidung gibt es mehrere Gründe. Aber ein gewichtiger Grund ist, dass der Umgang in und mit der Politik in den letzten Jahren brutal geworden ist. Shitstorms, Beleidigungen bis hin zu Morddrohungen gehören zum politischen Alltag. Das kostet immer mehr Kraft.

Das Parlament: Sie sind nicht der Einzige, der der Politik deswegen den Rücken kehrt. Auch Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas (CDU), der SPD-Abgeordnete Karamba Diaby oder die Grünen-Politikerin Tessa Ganserer kandidieren nicht wieder. So mancher übernimmt schon allein aus Angst vor Anfeindungen kein Amt mehr in der ersten Reihe, wie eine neue Studie zeigt. Für die Demokratie ein Warnzeichen. Wie reagieren?

Marco Wanderwitz: Demokraten sollten vor allem enger zusammenstehen und sich mehr mit den Feinden der Demokratie auseinandersetzen als mit sich selbst. Wahlkampf kann man durchaus führen, ohne sich zum Beispiel am Blame-Game der AfD gegen die Grünen zu beteiligen. Demokraten sollten so etwas nicht unterstützen.

Das Parlament: Keinen Hehl haben Sie daraus gemacht, dass es Ihnen wiederum zuletzt an Unterstützung gefehlt hat. Als Ostbeauftragter der Bundesregierung unter Angela Merkel waren Sie einer der ersten, der öffentlich deutliche Worte für die mangelnde Abgrenzung zur AfD gefunden hat. Ihre Äußerung von den „diktatursozialisierten“ Ostdeutschen, die teilweise für die Demokratie verloren seien, hat Ihnen 2021 Applaus, in der eigenen Partei aber vor allem viel Kritik eingebracht. Haben Sie rückblickend mit Ihren Worten das erreicht, was sie sich vorgestellt hatten?

Marco Wanderwitz: Nein. Ich hatte mir eine Debatte über den Zustand unserer Demokratie und vor allem über das im Osten Deutschlands gering ausgeprägte Vertrauen in diese Staatsform und ihre Institutionen gewünscht. Doch das hat nicht funktioniert – zu stark war das Bestreben, solche Unterschiede besser nicht zu thematisieren.

Das Parlament: Welches Gefühl überwiegt beim Abschied vom Bundestag?
So lange Politik machen zu können, teils auch als Regierungsmitglied, war ein großes Geschenk. Doch die Entscheidung zu gehen, habe ich bisher noch keinen Tag bereut. Einen Wunsch aber habe ich: Irgendwann den Bundestag besuchen zu können, ohne im Plenum AfD-Rednern zuhören zu müssen.

Das Interview führte Sandra Schmid

Deutscher Bundestag, 12.02.2025

Cookie Consent mit Real Cookie Banner