In den mündlichen Verhandlungen am 22. Januar 2025 hatte die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover über die Grenzen der Äußerungs- und Handlungsmöglichkeiten in Sitzungen des Rates der Stadt Hannover zu befinden.

In dem Verfahren 1 A 2765/22 hat die Klägerin die Unterlassung von weiteren Äußerungen des Beklagten bzw. seiner Dezernentinnen und Dezernenten vergleichbar denen des Ersten Stadtrates in der Ratsversammlung am 28. April 2022 begehrt. Dort war unter TOP 3.2 eine Anfrage der Klägerin zum Thema „Abschiebungen ausreisepflichtiger Migranten“ behandelt worden. Der Erste Stadtrat beantworte die Anfrage vorweg mit einer Zurückweisung des dahinterliegenden Menschenbildes und gab an, dass die Anfrage besser nicht hätte gestellt werden sollen. Die Kammer hat die Klage abgewiesen. Der Beklagte muss sich die Äußerung des Ersten Stadtrates zwar im Sinne eines „Organträgerprinzips“ zurechnen lassen. Die Klägerin als Fraktion kann dabei jedoch nicht die gegenüber Parteien geltende Chancengleichheit und das damit korrespondierende Neutralitätsgebot geltend machen. Das ebenfalls angeführte Sachlichkeitsgebot ist hingegen Grenze jedes staatlichen Handelns. Im Verhältnis zwischen Organen bzw. Organteilen kann sich die Klägerin jedoch nur darauf berufen, dass andere Organe die Grenzen des (kommunal-)verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Organtreue überschritten hätten. Die Kammer hat in der Vorbemerkung zur Anfragebeantwortung des Ersten Stadtrates eine auf die vorangegangene Anfrage bezogene und in amtlicher Eigenschaft getätigte Äußerung gesehen, bei der auch ein negativ wertendes Element gegenüber der Klägerin hervortrat. Dadurch hat die Kammer die hohen Anforderungen an ein aus der Organtreue resultierendes Abwehrrecht jedoch noch nicht als erfüllt angesehen, weil die Äußerung nicht den Tatbestand des ungebührlichen Verhaltens erfüllt oder als Formalbeleidigung oder Schmähkritik zu qualifizieren ist oder sich als in ähnlich schwerwiegender Weise unsachlich und ohne Bezug zum Beratungsgegenstand darstellt. 

In dem Verfahren 1 A 2614/23 hat die Klägerin die Feststellung begehrt, dass das Verlassen des Ratssaals durch den Beklagten und einiger Dezernentinnen und Dezernenten in der Ratsversammlung am 22. Dezember 2022 während der Haushaltsrede des Fraktionsvorsitzenden der Klägerin rechtswidrig war. Die Kammer hat die Klage abgewiesen. Die Kammer konnte dabei öffentlich verfügbare Aufnahmen der entsprechenden Ratsversammlung in Augenschein nehmen. Dabei ist deutlich geworden, dass der Beklagte und die Dezernentinnen und Dezernenten wie auch einige Ratsmitglieder im Anschluss an den Begriff „Sozialtouristen“ den Saal verließen und die Abwesenheit der Verwaltungsbeamten nicht nur zufällig mit der Rede des Fraktionsvorsitzenden der Klägerin zusammenfiel. Mit dem Verlassen des Ratssaales haben der Beklagte und die Dezernentinnen und Dezernenten nach Auffassung der Kammer auch unter Zugrundelegung der hohen Anforderungen eines aus der Organtreue resultierenden Abwehrrechts den Rahmen einer sachlichen Auseinandersetzung verlassen. In dieser Situation hätte die Klägerin jedoch angesichts der wechselseitigen Verpflichtungen aus dem Grundsatz der Organtreue die ihr zur Verfügung stehenden kommunal(verfassungs-)rechtlichen Möglichkeiten nutzen können und müssen, anstatt das Verlassen des Ratssaals hinzunehmen und anschließend den Klageweg zu beschreiten. Dabei ist in dermündlichen Verhandlung insbesondere die Möglichkeit der Rüge der Beschlussfähigkeit bei Abwesenheit der Ratsmitglieder diskutiert und die in § 6 der Geschäftsordnung des Rates der Landeshauptstadt Hannover vorgesehene Teilnahme des Beklagten und der Dezernentinnen und Dezernenten an Sitzungen des Rates hervorgehoben worden, die mit einem – jederzeit möglichen – Antrag zur Geschäftsordnung hätteeingefordert werden können. 

Gegen die Urteile kann jeweils die Zulassung der Berufung beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht beantragt werden.

Az. 1 A 2765/22 und 1 A 2614/23

VG Hannover, 22.01.2025

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