Bundesinnenministerin Nancy Faeser und der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, haben heute den neuen Lagebericht Rechtsextremisten, „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ in Sicherheitsbehörden vorgestellt.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser: „Wir lassen nicht zu, dass unser demokratischer Rechtsstaat von innen heraus von Rechtsextremisten sabotiert wird. Das schulden wir auch der ganz überwiegenden Mehrzahl der Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die fest auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Ihr Ruf darf nicht unter wenigen Extremisten leiden. Wenn die Integrität der Sicherheitsbehörden beschädigt wird, dann ist dies besonders gefährlich für Rechtsstaat und Demokratie. Daher muss jeder Extremismusfall klare Konsequenzen haben. Dafür müssen wir in Bund und Ländern alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen – und dort, wo es nötig ist, die rechtlichen Instrumente nachschärfen. Einen Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesdisziplinargesetzes werde ich noch in diesem Jahr vorlegen. Wir werden Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem öffentlichen Dienst entfernen. Zudem werden wir die Prävention weiter stärken: bei der Personalauswahl, mit Schulungen und mit Ansprechstellen in den Behörden.“
Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz: „Für Rechtsextremisten, ‚Reichsbürger‘ und ‚Selbstverwalter‘ ist kein Platz in Sicherheitsbehörden. Solche Vorfälle erschüttern das Vertrauen in unseren Staat und sind ein Schlag ins Gesicht für diejenigen Beschäftigten, die fest mit beiden Füßen auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen. Der Lagebericht ist Ergebnis einer gelungenen Zusammenarbeit der beteiligten Landes- und Bundesbehörden und bietet eine einheitliche, valide und vergleichbare Datenbasis. Es ist erschreckend, dass bei den Personen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegen, über 60 Prozent Verbindungen in Form von z.B. Chatgruppen oder persönlichen Kontakten zur rechtsextremistischen Szene haben. Dies behalten wir genau im Blick. Umso erfreulicher ist, dass wir das Dunkelfeld weiter aufhellen und eine erhöhte Sensibilisierung für dieses Thema erreichen konnten.“
Der heute vorgestellte Lagebericht ist eine Weiterentwicklung des erstmals im Oktober 2020 vorgestellten Lageberichts. Er führt die quantitative Erhebung fort und legt zusätzlich einen Fokus auf die Analyse möglicher Kennlinien der bearbeiteten Fälle zu einschlägigen rechtsextremistischen Akteuren. Der Bericht umfasst einen Erhebungszeitraum von Juli 2018 bis Juni 2021. In dieser Zeit wurden insgesamt 860 Fälle ausgewertet, davon 176 Fälle bei Bundessicherheitsbehörden und 684 Fälle bei Landessicherheitsbehörden. Zu den Bundessicherheitsbehörden zählen die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt, die Bundestagspolizei, der Zoll, der Bundesnachrichtendienst und die Bundeswehr mit insgesamt 355.100 Beschäftigten.
Bei 327 Bediensteten (38 Prozent der geprüften Fälle) wurden tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung festgestellt. Dabei handelt es sich um 138 Fälle auf Bundes- sowie 189 Fälle auf Landesebene.
Als Konsequenz aus diesen Fällen wurden im Berichtszeitraum 500 arbeits- und disziplinarrechtliche Maßnahmen eingeleitet.
Damit ist die Zahl der Fälle im Vergleich zum ersten Lagebericht angestiegen. Der Anstieg ist zum einen der Aufnahme der Fälle aus dem „Reichsbürger“- und „Selbstverwalter“-Spektrum und der Integration der Fälle aus der Bundeswehr geschuldet. Zum anderen konnte auch das Dunkelfeld weiter aufgehellt werden. Durch die intensivere Zusammenarbeit und die weiterentwickelten Methoden konnten auch Fälle detektiert werden, die dem Verfassungsschutzverbund bislang unbekannt waren. Zudem führt die gesteigerte Sensibilisierung für das Thema zu einer niedrigschwelligeren Aufnahme der Bearbeitung in den Sicherheitsbehörden.
Neu im Lagebericht ist, dass durch die personenscharfe Übermittlung eine genauere Analyse von Kennlinien der betroffenen Bediensteten in die rechtsextremistische und „Reichsbürger“- und „Selbstverwalter“-Szene möglich ist. 201 Bedienstete, bei denen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegen, haben Kennverhältnisse zu insgesamt 765 im Verfassungsschutz bereits bekannten extremistischen Akteuren, wie Personen, Organisationen, aber auch Chatgruppen. Hier ist es besonders wichtig, genau hinzuschauen.
Dem Lagebild liegt ein bundesweit einheitlicher standardisierter Erhebungsprozess zugrunde, an dem sich alle Landesbehörden für Verfassungsschutz, Landespolizeien sowie die Bundessicherheitsbehörden (einschließlich des Militärischen Abschirmdiensts für den Bereich der Bundeswehr) unter Federführung des Bundesamtes für Verfassungsschutz beteiligten. So wurde eine valide und vergleichbare Datenbasis geschaffen. Die Beschäftigungsbehörden meldeten personenscharf Fälle, für die im Erhebungszeitraum arbeits- oder dienstrechtliche Verfahren/Maßnahmen wegen möglicher Bezüge zu diesen Phänomenbereichen eingeleitet wurden. Diese Fälle wurden von den Verfassungsschutzbehörden auf tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung geprüft.
Quelle: Bundesministerium des Innern und für Heimat, Pressemitteilung vom 13. Mai 2022