Sie berichten über Kriege, organisierte Kriminalität und Proteste und bezahlen mit ihrem Leben: In diesem Jahr sind 54 Journalistinnen und Journalisten wegen ihrer Arbeit getötet worden. Besonders riskant war die Kriegsberichterstattung. So ist die Zahl der in Konfliktregionen getöteten Medienschaffenden 2024 so hoch wie seit fünf Jahren nicht mehr. Die mit Abstand gefährlichste Region war erneut Gaza. Doch auch in anderen Weltregionen standen Reporterinnen und Reporter im Visier. In Pakistan kamen sieben Medienschaffende ums Leben, in Bangladesch wurden fünf Journalisten bei der Berichterstattung über blutige Massenproteste getötet. Das zeigt die Jahresbilanz der Pressefreiheit, die Reporter ohne Grenzen (RSF) am Donnerstag (12.12.) veröffentlicht hat. Weltweit sitzen derzeit 550 Journalistinnen und Journalisten im Gefängnis, sieben Prozent mehr als im Vorjahr. Unter anderem in Israel und Russland ist die Zahl der inhaftierten Medienschaffenden gestiegen.
„Medienschaffende werden getötet, inhaftiert und entführt, und viel zu häufig bleiben diese brutalen Verbrechen straffrei“, sagte RSF-Geschäftsführerin Anja Osterhaus. „Wir müssen diejenigen schützen, die uns informieren. Ihre mutige Arbeit macht menschliches Leid in Kriegen, Korruption und Machtmissbrauch sichtbar.“
Die Zahl der 2024 weltweit getöteten Journalistinnen und Journalisten bleibt auf einem hohen Niveau. Bis zum Stichtag 1.12. kamen 54 Medienschaffende wegen ihrer Arbeit ums Leben. Fast ein Drittel von ihnen wurde in Gaza getötet. Insgesamt kamen dort seit Kriegsbeginn am 7. Oktober 2023 mehr als 145 Medienschaffende ums Leben, darunter mindestens 35 mit klarem Bezug zu ihrer Arbeit. In Israel wurden seit Kriegsbeginn zwei, im Libanon fünf Reporterinnen und Reporter wegen ihrer Arbeit getötet. RSF hat sich vor dem Internationalen Strafgerichtshof dafür eingesetzt, dass Tötungen von Medienschaffenden als mögliche Kriegsverbrechen untersucht werden.
Weltweit kamen in diesem Jahr 31 der 54 getöteten Journalistinnen und Journalisten in Kriegsgebieten ums Leben, so viele wie seit fünf Jahren nicht mehr. Neben Gaza bleibt die Berichterstattung etwa im Sudan und der Ukraine lebensgefährlich. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges im Februar 2022 wurden in der Ukraine mindestens 13 Medienschaffende getötet. Auch in Myanmar hält der Terror gegen Journalistinnen und Journalisten an, seitdem sich das Militär im Februar 2021 zurück an die Macht geputscht hatte. In dem südostasiatischen Land kamen 2024 drei Journalisten ums Leben. Im Februar wurde im Rakhaing-Staat im Westen des Landes die Leiche des Journalisten Myat Thu Tun gefunden. Sein Körper wies Schusswunden und Folterspuren auf.
Auch außerhalb von Kriegsgebieten riskieren Medienschaffende ihr Leben. Mit sieben Getöteten war Pakistan 2024 eines der gefährlichsten Länder. Die Täter kommen oft straffrei davon. Insbesondere Recherchen in Stammesgebieten sind riskant. Das zeigt der Fall des Journalisten Khalil Jibran. Er wurde im Juni in einem Stammesgebiet in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa im Nordwesten des Landes aus dem Hinterhalt erschossen.
In Bangladesch wurden 2024 fünf Journalisten getötet. Sie berichteten über Massendemonstrationen gegen eine Quotenregel für Jobs im öffentlichen Dienst. Die Polizei ging gewaltsam gegen die Proteste vor. Im Juli kam der Journalist Mehedi Hasan ums Leben, als er über Zusammenstöße zwischen Demonstrierenden und Sicherheitskräften in der Hauptstadt Dhaka berichtete. Nach dem Nahen Osten ist Asien in diesem Jahr die Weltregion mit den meisten getöteten Journalistinnen und Journalisten.
Auch Lateinamerika steht im Fokus. Seit Jahren zählt Mexiko zu den gefährlichsten Ländern für Medienschaffende. Mehr als 650 Journalistinnen und Journalisten nehmen an staatlichen Schutzprogrammen teil. Dennoch kamen 2024 wieder fünf Medienschaffende ums Leben, darunter Alejandro Alfredo Martínez Noguez. Er wurde erschossen, als er – vermeintlich sicher – in einem Polizeiauto saß.
550 Journalisten in Haft: Regime sperren unliebsame Journalisten weg
Weltweit saßen zum Stichtag 1.12. mindestens 550 Journalistinnen und Journalisten wegen ihrer Arbeit im Gefängnis, sieben Prozent mehr als im Vorjahr. Der Anstieg geht vor allem auf zwei Länder zurück: In Russland wurden in diesem Jahr acht, in Israel 17 weitere Medienschaffende inhaftiert. Die jüngsten politischen Entwicklungen in Syrien sind nicht mehr in die Jahresbilanz eingeflossen. Dort waren Anfang Dezember 23 Medienschaffende in Haft.
Fast die Hälfte der weltweit inhaftierten Journalistinnen und Journalisten sitzt in den Gefängnissen von nur vier Ländern: In China einschließlich Hongkong (124), Myanmar (61), Israel (41) und Belarus (40). Jahr für Jahr behauptet China seinen Status als das Land, in dem die meisten Medienschaffenden weggesperrt werden. Ein international bekannter Fall ist die Journalistin Zhang Zhan. Sie wurde im August 2024 erneut festgenommen, weil sie angeblich einen Streit angefangen und Ärger provoziert haben soll – ein Vorwurf, mit dem das Regime häufig Kritikerinnen und Kritiker einsperrt. Dafür drohen ihr bis zu fünf Jahre Haft. Zhang saß bereits vier Jahre im Gefängnis. Sie war 2020 verurteilt worden, weil sie kritisch über den Beginn der Covid-19-Pandemie in Wuhan berichtet hatte.
In Hongkong verurteilte ein Gericht im September die beiden ehemaligen Chefredakteure der Nachrichtenseite Stand News, Chung Pui-kuen und Patrick Lam, wegen angeblicher Verbreitung von aufrührerischen Artikeln zu 21 und zu elf Monaten Haft. Es ist das erste Urteil dieser Art seit der Übergabe Hongkongs an China 1997. Israel hat seit Beginn des Gaza-Krieges die Verwaltungshaft systematisiert: Die Armee darf Personen inhaftieren, ohne sie über die konkreten Vorwürfe informieren zu müssen. In Myanmar verurteilte ein Militärgericht im Januar die Dokumentarfilmerin Shin Daewe zu lebenslanger Haft, weil sie gegen ein Anti-Terrorgesetz verstoßen haben soll. Weltweit machen Frauen mehr als 14 Prozent aller inhaftierten Medienschaffenden aus.
Doch es gibt auch gute Nachrichten: Im August etwa wurden Evan Gershkovich und Alsu Kurmasheva im Zuge eines Gefangenenaustausches aus russischer Haft entlassen. Auch für Julian Assange endete 2024 das juristische Tauziehen. Der WikiLeaks-Gründer hat sich nach fünf Jahren Haft in London mit der US-amerikanischen Justiz auf einen Deal geeinigt. Doch für einige Medienschaffenden gehen die Schikanen auch nach ihrer Freilassung weiter. Die beiden iranischen Journalistinnen Nilufar Hamedi und Elahe Mohammadi wurden im Januar nach 15 Monaten Haft gegen Kaution vorübergehend freigelassen. Weil sie auf Fotos jedoch ohne den im Iran verpflichtenden Hidschab zu sehen sind, droht ihnen erneut Haft.
Im Nahen Osten sind die meisten Journalisten entführt
Weltweit sind derzeit mindestens 55 Medienschaffende in fünf Ländern entführt: In Syrien (38), im Irak (9), im Jemen (5), in Mali (2) und in Mexiko (1). In Syrien wurde ein Großteil vom sogenannten Islamischen Staat während des Bürgerkrieges gefangengenommen. Auch heute, zehn Jahre später, hat RSF weiterhin keine Informationen über ihren Verbleib. Stichtag der Erhebung der Jahresbilanz war der 1. Dezember – wie sich die neue politische Situation auf ihr Schicksal auswirken wird, ist noch ungewiss. Zwei der 55 Medienschaffenden wurden in diesem Jahr entführt, beide im Jemen. Unter ihnen ist der freie Journalist Mohammed al-Mayahi. Im September nahmen ihn die Huthis in der Stadt Sanaa als Geisel, kurz nachdem er einen kritischen Artikel über die Rebellengruppe veröffentlicht hatte.
Die beiden im vergangenen Jahr in Mali entführten Journalisten Saleck Ag Jiddou und Moustapha Koné sind bis heute in Gefangenschaft. Sie waren im November 2023 von einer bewaffneten Gruppe entführt worden, die ein Lösegeld für ihre Freilassung fordert.
Fast 100 Journalisten verschwunden
In diesem Jahr sind vier Medienschaffende verschwunden. Sie recherchierten in Burkina Faso, Nicaragua, Russland und Syrien. Die syrische Journalistin Hanin Gebran verschwand im Juni. Nach Informationen von RSF stand sie im Visier des Geheimdienstes. Am 8. Dezember erfuhr die Organisation von ihrer Freilassung.
Weltweit werden 95 Journalistinnen und Journalisten in 34 Ländern vermisst. Mehr als ein Viertel von ihnen verschwand in den vergangenen zehn Jahren. Das höchste Risiko haben Medienschaffende in Mexiko: 30 Prozent der Fälle konzentrieren sich auf das zentralamerikanische Land.
In der seit 1995 veröffentlichten Jahresbilanz der Pressefreiheit dokumentiert RSF die Zahlen der schwersten Übergriffe auf Medienschaffende weltweit im zu Ende gehenden Jahr. Das betrifft neben professionellen Journalistinnen und Journalisten auch Medienmitarbeitende wie Kamerafrauen oder Tontechniker sowie Bürgerjournalistinnen und -journalisten, die gerade in Ländern mit autoritären Regimen und in Kriegsländern eine wichtige Rolle bei der Recherche und Verbreitung relevanter Nachrichten und Informationen spielen. Die Jahresbilanz berücksichtigt nur Fälle, in denen RSF nach sorgfältiger Prüfung davon überzeugt ist, dass die Genannten in direktem Zusammenhang mit ihrer journalistischen Tätigkeit Opfer von Gewalt, Angriffen oder Unterdrückung geworden sind. Das erklärt mögliche Unterschiede zwischen diesen Zahlen und denen anderer Organisationen. Alle Zahlen beziehen sich auf den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 1. Dezember 2024 oder sind Momentaufnahmen zum Stichtag 1. Dezember 2024.
RSF, 11.12.2024