Der Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur erleichterten Durchsetzung der Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut“ (20/13258) ist bei einer Sachverständigenanhörung des Rechtsausschusses am Montag auf massive Kritik gestoßen. Der Entwurf sieht einen Auskunftsanspruch im Kulturgutschutzgesetz gegenüber Verkäufern und Händlern von Kulturgütern vor, die während der nationalsozialistischen Diktatur zwischen 1933 und 1945 verfolgungsbedingt entzogen wurden. So soll es den ursprünglichen Eigentümern beziehungsweise deren Erben ermöglicht werden, Auskünfte über die betreffenden Werke zu erhalten.

Des Weiteren sollen Eigentümer von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut ihren Herausgabeanspruch nach Paragraf 985 BGB gerichtlich geltend machen können, „ohne dass die Klage bereits deswegen abgewiesen wird, weil der Herausgabeanspruch verjährt ist“. Zudem soll das Leistungsverweigerungsrecht bei Verjährung des Herausgabeanspruchs von Kulturgut modifiziert werden. Zur Verweigerung der Leistung soll berechtigt sein, „wer den Besitz in gutem Glauben erworben hat“. Im Rahmen der Prüfung der Begründetheit des Herausgabeanspruchs wird also laut Entwurf „insbesondere die Frage der Ersitzung durch die Besitzer zu klären sein“.

Das Festhalten am Leistungsverweigerungsrecht im Falle des gutgläubigen Erwerbs nach mindestens zehnjährigem Besitz laut Paragraf 937 BGB (Ersitzung) war schließlich der Hauptkritikpunkt der Sachverständigen. So gut wie alle NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgüter seien längst ersessen, hieß es. Rechtmäßige Eigentümer könnten ihren Anspruch auf Restitution daher kaum durchsetzen.

Aus Sicht von Christina Berking von der Interessengemeinschaft Deutscher Kunsthandel verhindert das Gesetz Restitution. Mit ihm falle Deutschland weit hinter die derzeitige Restitutionspraxis zurück. Gut funktionierende Strukturen und Prozesse würden zerstört, weil der Kunsthandel aus seiner Vermittlerrolle gedrängt werde, sagte sie. Das Gesetz habe keinen Sinn, befand Berking. Es existiere so gut wie kein Anwendungsbereich, weil es den gutgläubigen Erwerb gebe und in solchen Fällen die Opfer vor dem Landgericht Frankfurt nicht die Herausgabe verlangen könnten. 

Daniel Botmann vom Zentralrat der Juden in Deutschland nannte den Entwurf ungeeignet. Er gehe ins Leere. Die Frage der Ersitzung nach Paragraf 937 BGB werde nicht beantwortet. In der Realität führe dies dazu, „dass der Eigentümer seinen Anspruch auf Restitution kaum durchsetzen kann“, sagte Botmann. Heutige Besitzer müssten lediglich darlegen, „dass sie keine Kenntnis über den NS-bedingten Entzug des Erwerbs hatten“. Es sei davon auszugehen, dass in den allermeisten Fällen so ein gutgläubiger Erwerb bestätigt oder von vornherein davon ausgegangen werde. 

Aus Sicht des auf Restitution spezialisierten Rechtsanwalts Hannes Hartung bleibt die Reform auf halbem Weg stehen. Möchte man die Rechtstellung der Opfer der Schoah und ihrer Rechtsnachfolger verbessern, müsse die Ersitzung für NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut im Ganzen zuverlässig ausgeschlossen werden, sagte er. Anderenfalls würden fast alle Klagen auch am neuen Gerichtsstand in Frankfurt am Main nicht mehr an der Verjährung, sondern an der Ersitzung scheitern. 

Der Entwurf werde die Rückgabe nicht erleichtern, sagte Professor Benjamin Lahusen vom Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Neuere Rechtsgeschichte an der Europa-Universität Viadrina. Die Frage einer Verjährung stelle sich schließlich erst, wenn es einen Anspruch gibt. Dieser werde durch die Ersitzung verhindert. Es sei misslich, politische Tatkraft zu suggerieren, aber nichts einzulösen, sagte Lahusen. Die große Lösung sei ein Restitutionsgesetz, befand er. Die kleinere Lösung könne die Änderung des Paragrafen 951 BGB mit der Folge eines Bereicherungsanspruches „auch bei der Ersitzung“ sein. Der aktuelle Entwurf biete hingegen gar keine Lösung. 

Dem Eigentümer oder dessen Nachfahren wird es nach Einschätzung von Rüdiger Mahlo von der Claims Conference, über 80 Jahre nach erlittener Verfolgung, meist unmöglich sein, dem Besitzer nach den allgemeinen Beweisregeln der Zivilprozessordnung (ZPO) Bösgläubigkeit bei Erwerb und Besitz des Kulturguts nachzuweisen. Es reiche, wenn der Besitzer erklärt, das Objekt ererbt oder im Kunsthandel gekauft zu haben und darauf hinweist, dass ihm dabei von Experten nichts über die Herkunft gesagt wurde. Damit gelte das Objekt als ersessen. Insofern handle es sich bei dem Gesetz eher um eine Regelung „zur erleichterten Durchsetzung der Eigentumssicherung an NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut“. Um dem Eigentümer eine Durchsetzung seines Anspruchs auf Restitution zu ermöglichen, müsste aus Sicht von Mahlo der gutgläubige Erwerb und Besitz für NS-bedingt verlorenes Kulturgut ausgeschlossen werden.

Ole Nettels, Research Fellow im Forschungsprojekt „Restatement of Restitution Rules for Nazi-Confiscated Art“ am Institut für deutsches und internationales Zivilprozessrecht und Konfliktmanagement der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, hält das Gesetz ebenfalls nicht für geeignet, Restitutionsansprüche leichter durchzusetzen. Zwar könne die Regelung zur Verjährung „Teil einer Lösung sein“. Da aber an der Beweislast des Eigentümers gegenüber dem Besitzer nicht gerüttelt werde, könne dieser sein Eigentum nur schwer nachweisen. 

Als sinnlos bezeichnete Rechtsanwalt Peter Raue den Entwurf. Hier liege ein Etikettenschwindel vor, sagte er. Das immer wieder geforderte Restitutionsgesetz sieht Raue nur dann als realistisch an, wenn dabei eine Entschädigung für gutgläubige Erwerber angeboten werde. Dafür müsse aber die öffentliche Hand „Geld in die Hand nehmen“. 

Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, sprach sich dafür aus, beim Thema Auskunftsanspruch den Kunsthandel besser einzubinden. Dass der Gesetzentwurf auf diese Chance verzichte, sei ihm unverständlich, sagte Zimmermann. Dringend änderungsbedürftig ist aus seiner Sicht, dass, sofern ein Kulturgut durch eine Privatperson an den Eigentümer zurückgegeben wird, der Eigentümer erhaltene staatliche Schadensersatzleistungen an den Bund zurückzahlen muss. „Das halte ich für zutiefst unmoralisch“, sagte er.

HiB Nr. 829, 02.12.2024

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