Saarlands Ministerpräsidentin Anke Rehlinger ist seit 1. November 2024 Präsidentin des Bundesrates. Im Interview spricht sie über ihre Heimat, Wandel-Erfahrungen und was die Politik vom Sport lernen kann. Sie erläutert, wie das Motto der saarländischen Präsidentschaft „Zukunft durch Wandel“ ganz Deutschland Zuversicht geben kann.
Frau Präsidentin, Sie sind seit 2014 Mitglied im Bundesrat. Jetzt stehen Sie an der Spitze des Bundesrates. Welche Ideen haben Sie für Ihre Präsidentschaft?
Das Amt der Präsidentin des Bundesrates ist eine große Ehre für mich, aber auch für das Saarland als Ganzes. Ich will unserem Land Zuversicht geben, das drückt sich auch in unserem Motto „Zukunft durch Wandel“ aus. Wir können vorankommen, vor allem dann, wenn Bund und Länder an einem Strang ziehen. Mir persönlich besonders wichtig ist die Zusammenarbeit mit dem französischen und dem polnischen Senat. Dieses „Weimarer Dreieck“ zu intensivieren, ist mir ein ganz besonderes Anliegen. Wir müssen die proeuropäische Wahl in Polen als Chance für ganz Europa begreifen.
In letzter Zeit wird immer wieder aufgeworfen, dass das Vertrauen in die demokratischen Institutionen schwinde. Welchen Beitrag kann der Bundesrat leisten, um das Vertrauen in den Staat und seine Institutionen zu stärken?
Der Bundesrat ist als Länderkammer ein wesentlicher Teil der Legislative. Ich glaube, dass wir mehr tun können, um die Bedeutung und die Funktionsweise dieser Kammer für unsere Demokratie zu verdeutlichen. Die Länder sind sehr unterschiedlich. Was im Norden richtig ist, kann im Süden falsch sein. Und Bund und Länder sind sehr eng verflochten. Wenn der Bund etwas beschließt, ist es nicht ganz selten, dass die Länder mitfinanzieren müssen – und das wirkt sich direkt vor Ort aus, im Positiven wie im Negativen. Daraus erwächst auch eine besondere Verantwortung der Länder für die Demokratie insgesamt. Deshalb sollte der Bundesrat nicht als Blockadeorgan auftreten, sondern durchaus lautstark Länderinteressen vertreten, aber stets über Parteigrenzen hinweg. Quasi alle demokratischen Parteien sind mittlerweile auf irgendeine Weise Teil des Bundesrates. Das darf nicht zur Kakophonie führen, sondern wir sollten das als Chance sehen, nur danach zu entscheiden, was richtig oder falsch für unser ganzes Land ist.
Sie führen unter den Ländern die einzige Alleinregierung an. Beneiden die anderen Ministerpräsidentinnen und -präsidenten Sie darum?
Für das Saarland ist das sicher gut. Wir können schnell entscheiden und es gibt keinerlei öffentlichen Streit der Regierung. Trotzdem fühle ich mich auch im Saarland in einer Koalition – denn ich verstehe meine Arbeit als die Zusammenarbeit mit den Bürgerinnen und Bürgern. Ich arbeite ja für alle, nicht nur für die, dich mich gewählt haben. Diese Verantwortung hat auch jede andere Landesregierung. Das muss auch der Geist von Bundesratsabstimmungen sein: Was ist richtig oder falsch, wenn man nach dem Gemeinwohl schaut, nach dem Allgemeininteresse?
Das Motto Ihrer Präsidentschaft lautet „Zukunft durch Wandel“. Was steht dahinter?
Der Wandel-Begriff vereint den historischen Erfolg mutiger Ostdeutscher, die mit ihrem Einsatz für Demokratie und Freiheit die SED-Diktatur zu Fall gebracht haben, mit saarländischen Erfahrung von wirtschaftlichem Strukturwandel, aber auch dem Wechsel der Nationen. Das Saarland ist ja, wenn man so will, das älteste der „neuen Bundesländer“, denn wir sind erst 1957 hinzugekommen. Mit „Zukunft durch Wandel“ wollen wir unsere saarländische Transformationserfahrung teilen: Dass nämlich Veränderung, die niemand auf den ersten Blick liebt, immer auch eine Chance ist. Wir werden in Deutschland manches ändern müssen, damit vieles so bleibt, wie wir es lieben. Deutschlands Herausforderungen sind insgesamt groß. Aber wir brauchen keinen Wettbewerb der Miesmacher, sondern ansteckende Zuversicht.
Im Bundesrat werden die Interessen der Länder artikuliert. Wie bringt sich Ihr Land in den Bundesrat ein? Was ist das Besondere am Saarland?
Das Besondere am Saarland ist vor allem die einzigartige Geschichte, die uns zu selbstbewussten Europäern gemacht hat. Ich hab es schon gesagt, das Saarland ist erst seit 1957 Mitglied des Bundesrates. Und ich glaube, diese Geschichte prägt das Saarland bis heute, auch im Bundesrat: Selbstbewusst und unabhängig. Wir hatten sogar mal eine eigene Olympia-Mannschaft 1952 in Helsinki. Und das saarländische Fußballteam hat mit einer Niederlage gegen die Bundesrepublik 1954 erst den Weg geebnet für das Wunder von Bern.
Sie sind auch Vorsitzende der Deutsch-Französischen Freundschaftsgruppe des Bundesrates und des französischen Senats. Überhaupt hat das Saarland enge Verbindungen zu Frankreich. Inwiefern wird dies Ihre Präsidentschaft prägen?
Das Saarland ist ein sehr gutes Scharnier zwischen Deutschland und Frankreich. Wir sind wirtschaftlich, kulturell und gesellschaftlich wohl das französischste aller Bundesländer. Das „Saarvoir Vivre“ kann man bei uns in den Straßen und auf den Plätzen und in allen gesellschaftlichen Bereichen erleben. Deutschland und Frankreich müssen wieder der starke Motor der europäischen Idee werden. Wenn es uns gelingt, über den Bundesrat dazu etwas beizutragen und diesen Impuls zu verstärken, dann würde mich das sehr freuen.
In Ihrer Halbzeitbilanz als Regierungschefin verweisen Sie auf über 1.000 Termine in 30 Monaten, die Sie absolvierten. Mit der Bundesratspräsidentschaft kommen weitere Verpflichtungen hinzu. Wie gehen Sie das an?
Und das waren nur die öffentlichen, dazu kommen ja noch all die Sitzungen und Gespräche, die zum Regierung gehören. Ich habe viel Energie und wenn ich etwas bewegen kann, lädt das meine Akkus gleich wieder auf. Natürlich stehen für mich die Aufgaben als Regierungschefin im Land weiterhin absolut im Fokus, aber die Bundesratspräsidentschaft bietet ja auch für das Saarland eine große Chance. Ich freue mich darauf!
Als Sie im Jahr 2022 Ministerpräsidentin wurden, berichteten viele Zeitungen gerne über Ihre sportlichen Rekorde im Kugelstoßen und Diskuswerfen. Halten Sie diese noch und hilft der Sport Ihnen, einen klaren Kopf zu bewahren?
Die Rekorde stehen noch und ich erinnere mich gerne an die Zeit. Ich versuche auch heute noch, wenn es die Zeit zulässt, mit meinen Vereinskameradinnen bei Amateur-Meisterschaften anzutreten – mittlerweile allerdings in der Seniorinnenklasse, das klingt grausam. Der Sport hält unsere Gesellschaft zusammen und ist ein wichtiger sozialer Faktor. Und auch die Politik kann einiges vom Sport lernen. Dass zu jedem Erfolg eine lange Zeit harter Arbeit und Disziplin gehört. Und dass Fairness und kollegialer Umgang miteinander dem Wettbewerb auf dem Platz nicht schaden.
Erstmals in der Geschichte des Bundesrates, sprich nach 75 Jahren, übergab eine Frau die Präsidentschaft an eine andere Frau. Haben wir damit die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau erreicht?
Und ich bin auch erst die vierte Frau in diesem Amt. Das ist schon erschreckend. Wir müssen dahin kommen, dass Fragen der Repräsentanz von Frauen – egal ob in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft – gar nicht mehr erwähnenswert sind, weil sie einfach selbstverständlich sind. Wenn man sich die Entwicklung in den letzten Jahren anschaut: Wir sind sicherlich auf dem richtigen Weg, aber noch lange nicht am Ziel.
Welche Termine als Bundesratspräsidentin stehen bei Ihnen als erstes an?
Ich freue mich auf viele spannende Begegnungen und den Austausch mit ganz unterschiedlichen Gruppen. Was uns gleich zu Beginn sehr ehrt, ist, dass der saarländische Landesjugendchor aufgrund unserer Präsidentschaft den Gedenkakt zum Volkstrauertag im Bundestag musikalisch begleiten darf. Überhaupt wollen wir in unserer Präsidentschaft möglichst viele Saarländerinnen und Saarländer mitnehmen und ansprechen, unser Land mit zu vertreten und diese Präsidentschaft so zu einem saarländischen Gemeinschaftserlebnis machen.