Im Streit um das sogenannte Sicherheitspaket der Bundesregierung begrüßt die Grünen-Innenexpertin Lamya Kaddor die von den Koalitionsfraktionen beschlossenen Änderungen an den Gesetzesvorlagen. So hätten die Grünen etwa bei der geplanten Befugnis von Sicherheitsbehörden zum biometrischen Abgleich mit öffentlich zugänglichen Internetdaten die anfangs zu Recht befürchteten massiven Eingriffe in die Privatsphäre verhindern können, sagte Kaddor der Wochenzeitung „Das Parlament“. Man habe erreicht, „dass die Bundesregierung, bevor die Sicherheitsbehörden von den neuen Befugnisse Gebrauch machen dürfen, zunächst deren verfassungs- und europarechtskonformen Einsatz durch eine Rechtsverordnung vorzeichnen muss“. Darin seien auch zahlreiche Sicherheitsvorkehrungen mit Blick auf die informationelle Selbstbestimmung eingezogen.
Beim Thema Migration habe man immerhin erreicht, dass bei Härtefallsituationen etwa bei Kindern weiterhin Leistungen gewährt werden können, fügte die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion mit Blick auf den vorgesehenen Leistungsausschluss für Asylbewerber, für deren Verfahren nach den sogenannten Dublin-Regeln ein anderer EU-Staat zuständig ist, hinzu. Man wolle ein faires, funktionierendes EU-Asylsystem, das gleichzeitig sicherstellt, dass die Menschenwürde in jedem Fall gewährleistet ist. Auch wenn ihre Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit nicht vollständig ausgeräumt seien, vertraue sie „auf unseren funktionierenden Rechtsstaat, der strittige Fälle klären wird“.
Das Interview im Wortlaut:
Frage: Frau Kaddor, mit dem „Sicherheitspaket“ will die Regierungskoalition nach dem mutmaßlich islamistischen Messerattentat von Solingen sowohl das Waffenrecht verschärfen als auch Islamismus und irreguläre Migration bekämpfen. In den parlamentarischen Beratungen haben die Koalitionsfraktionen dabei noch eine Reihe von Änderungen an den Regierungsvorlagen beschlossen. Warum das?
Kaddor: Die Maßnahmen des Sicherheitspakets sind unter anderem eine Reaktion auf den schrecklichen Terroranschlag in Solingen. Uns ist wichtig, dass solche Terroranschläge mit allen rechtsstaatlichen Mitteln bekämpft werden. Dazu gehören dringend notwendige Investitionen in die innere Sicherheit, aber genauso gute Rechtsgrundlagen und Prävention. Dabei dürfen Menschen oder gar ganze Gruppen nicht unter Generalverdacht geraten. Dies würde einer weiteren Spaltung der Gesellschaft Vorschub leisten und letztlich die Ziele des Gesetzespakets konterkarieren. Sicherheitsbehörden müssen im digitalen Zeitalter ihren Job machen können. Neue Technologien können hier einen Mehrwert bieten, ihr Einsatz muss aber zwingend europarecht- und grundgesetzkonform sein.
Frage: Gab es an diesem Punkt Bedenken?
Kaddor: Die zunächst geplanten Befugnisse für BKA, Bundespolizei und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wurden diesem Anspruch nicht gerecht, sie waren zu weit gefasst, in Teilen diffus und zu unkonkret. In der Anhörung im Innenausschuss konnte die Bundesregierung nicht schlüssig darlegen, wie die neuen Befugnisse konkret umgesetzt werden oder welche Technologien dabei konkret zum Einsatz kommen sollten. Unter hohem Einsatz ist es uns als Grünen-Bundestagsfraktion gelungen, adäquate Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Einsatz fokussieren und mit robusten Monitoringmechanismen ausstatten.
Frage: Welche Änderungen waren Ihnen besonders wichtig?
Kaddor: Uns ist es gelungen, ein Gesetzespaket zu schnüren, das direkte Wirkung entfalten wird. Es hat drei Teile: Migration, Waffenrecht, Befugnisse der Sicherheitsbehörden. Darüber hinaus haben wir uns als Fraktionen auf zwei begleitende Entschließungsanträge verständigt. Einer davon fordert die Bundesregierung auf, die Prävention gerade mit Blick auf islamistische Gefährdungen zu stärken. Im anderen Entschließungsantrag wurden weitere wichtige grundrechtliche Einhegungen und Klarstellungen bei den digitalen Befugnissen vereinbart. Beim Thema Migration konnten wir immerhin erreichen, dass bei Härtefallsituationen etwa bei Kindern weiterhin Leistungen gewährt werden können. Wir wollen ein faires, funktionierendes EU-Asylsystem, das gleichzeitig sicherstellt, dass die Menschenwürde in jedem Fall gewährleistet ist. Auch wenn meine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit nicht vollständig ausgeräumt werden konnten, vertrauen ich auf unseren funktionierenden Rechtsstaat, der strittige Fälle klären wird.
Frage: Was antworten Sie auf die Kritik der Union, dass das jetzt beschlossene Paket nahezu wirkungslos sein wird?
Kaddor: Es ist das Recht der Opposition, die Maßnahmen kritisch zu überprüfen.
Frage: Von anderer Seite wird etwa die Befugnis von Sicherheitsbehörden zum biometrischen Abgleich mit öffentlich zugänglichen Internetdaten als massiver Eingriff in die Privatsphäre kritisiert – zu Recht?
Kaddor: Ja, anfangs geschah das zu Recht – wir Grüne konnten nun aber genau solche massiven Eingriffe verhindern. Ursprünglich blieb unklar, welche Befugnisse überhaupt möglich sein und welche Programme konkret zum Einsatz kommen sollten. Wir konnten erreichen, dass die Bundesregierung, bevor die Sicherheitsbehörden von den neuen Befugnisse Gebrauch machen dürfen, zunächst deren verfassungs- und europarechtskonformen Einsatz durch eine Rechtsverordnung vorzeichnen muss. Darin sind auch zahlreiche Sicherheitsvorkehrungen mit Blick auf die informationelle Selbstbestimmung eingezogen.
Frage: Zum Beispiel?
Kaddor: Wir beschränken die neuen Befugnisse von BKA und Bundespolizei auf die Verfolgung oder Verhinderung schwerster Straftaten wie Mord und Totschlag, schwerer Raub oder die Bildung einer terroristischen Vereinigung. Ferner haben wir die Kontrollrechte der Bundesdatenschutzbeauftragten über die künftig eingesetzten Systeme deutlich verbessert. Und nicht zu vergessen, die Beauftragte ist auch bei der Erstellung der Rechtsverordnungen zwingend zu beteiligen. Wir haben eine Evaluation der Maßnahmen im Gesetz verankert. Diese erfolgt natürlich nicht durch die Ministerien selbst, sondern durch eine fachunabhängige wissenschaftliche Einrichtung. Ich nenne das einen wichtigen Beitrag zu einer evidenzbasierten Sicherheitspolitik. Damit nicht genug: Gesetzlich verboten wird ein nachträglicher biometrischer Abgleich mit Internetdaten bei Personen, von denen keine Gefahr ausgeht – etwa Zeugen und Opfer, bei denen kein schutzwürdiges Interesse entgegensteht. Last but not least, bleibt ein Abgleich mit echtzeitübermittelten Bilddateien wie Livestreams ausgeschlossen.
Frage: Von der Linken ist die Befürchtung zu hören, die Befugnis zu anlasslosen Kontrollen in Messerverbotszonen könne zu mehr Fällen des eigentlich verbotenen „Racial Profiling“ führen, also verdachtsunabhängige Kontrollen von Menschen allein aufgrund ihres Erscheinungsbildes…
Kaddor: Die Sorgen hegen wir selbst. Deshalb sind anlasslose Kontrollen auf die Waffenverbotszonen beschränkt. Sie können also nicht allgemein auf den sonstigen öffentlichen Raum ausgeweitet werden. Abgesehen davon stellt der Gesetzestext klar, dass die durchgeführten Maßnahmen rechtsstaatlichen Grundsätzen wie eben dem Diskriminierungsverbot entsprechen müssen.
Auch setzen gerade wir uns dafür ein, Polizistinnen und Polizisten für die Problematik des Racial Profiling in Aus- und Fortbildung zu sensibilisieren. Wir verhandeln für die Novelle des Bundespolizeigesetzes verschiedene Maßnahmen, die die Transparenz und das Vertrauen in die Beamten verbessern sollen. Denken Sie an die Kontrollquittung. In diesem Zusammenhang möchte ich die Einsetzung unseres Bundespolizeibeauftragten Uli Grötsch in diesem Jahr unterstreichen. Diese Maßnahmen flankieren die sorgfältig geschaffene Eingriffsgrundlagen der Polizei und wirken in ihrer Gesamtheit bewusster und unbewusster Diskriminierung entgegen.
Frage: Nach dem Anschlag von Solingen hat die Grünen-Fraktion gefordert, die „Zeitenwende“ auch in der Innenpolitik umzusetzen. Was ist darunter zu verstehen?
Kaddor: Angesichts der multiplen, gleichzeitigen Bedrohungen dieser Zeit müssen wir den Menschen in unserem Land ein neues Sicherheitsversprechen machen. Im militärischen Bereich wurde die „Zeitenwende“ nicht nur ausgerufen, sondern auch mit entsprechenden finanziellen Mitteln unterfüttert. Das muss fortgeschrieben werden. Innere und äußere Sicherheit sind doch längst miteinander verwoben. Für die Innenpolitik aber wurde die Zeitenwende bisher nicht nachvollzogen. Mit Blick auf die anhaltenden Defizite in der Wehrhaftigkeit unserer Demokratie muss das schnellstmöglich geschehen. Nötig ist, ein integriertes Sicherheitsverständnis zu entwickeln und zu verfolgen.
Frage: Im Sicherheitspaket der „Ampel“ ist auch die „Verstetigung von Beratung und Maßnahmen zur Islamismusprävention“ vorsehen. Welche Maßnahmen halten sie hier für vordringlich?
Kaddor: Der Einsatz für Prävention und Deradikalisierung muss als elementare Säule harter Sicherheitspolitik verstanden werden. Es ist daher sehr gut, dass die Task Force Islamismusprävention jetzt eingesetzt ist. Über diesen Beschluss der Bundesregierung hinaus konnten wir dem Bundesinnenministerium und den anderen Fraktionen in dem Entschließungsantrag noch einige Zugeständnisse, konkrete Projekte und Handlungsschwerpunkte abringen. Konkret legen wir einen Schwerpunkt auf die Prävention von Online-Radikalisierung und werfen unseren Blick auf entsprechende Gegenmaßnahmen. Zentral war für uns dabei, die enorm wichtige Arbeit aus der Zivilgesellschaft heraus zu betonen und im Rahmen der vorhandenen Haushaltsmittel zu stärken. Leider war es nicht möglich, im Zuge des Ganzen das Demokratiefördergesetz, das zentrale Elemente der Stärkung der Zivilgesellschaft beinhaltet, deutlich zu adressieren. Daher gilt es jetzt eben, dieses Gesetz, das ja einen Kabinettsbeschluss darstellt, mit Nachdruck separat anzugehen.
(c) Deutscher Bundestag, 18.10.2024