Der Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur weiteren Digitalisierung der Zwangsvollstreckung“ (20/11310) war am Mittwoch, 25. September 2024, Gegenstand einer öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss. Die sechs eingeladenen Sachverständigen hielten die geplanten Änderungen für sinnvoll, mahnten aber weitere Digitalisierungsschritte an.
Wilfried Bernhardt vom Deutschen EDV-Gerichtstag, dem Forum für die digitale Innovation im Recht, begrüßte das Bemühen, mit dem Gesetzentwurf weitere für die Zwangsvollstreckung erhebliche Rechtshandlungen für eine Digitalisierung zu öffnen. Angesichts der massiv gestiegenen Zahl der Anträge und Aufträge in hybrider Form bei den Vollstreckungsorganen würden mit den vorgeschlagenen Regelungen die Möglichkeiten der reinen elektronischen Kommunikation mit den Gerichtsvollziehern und Gerichten in Vollstreckungsangelegenheiten verbessert. Dennoch bleibe die Digitalisierung des Zwangsvollstreckungswesens weit hinter den Möglichkeiten zurück. Wie die anderen Sachverständigen sprach sich Bernhardt für den Aufbau einer elektronischen Datenbank beziehungsweise eines Titelregisters aus. Dies sei „anspruchsvoll, aber kein Hexenwerk“.
Matthias Boek, Bundesvorsitzender des Deutschen Gerichtsvollzieher Bundes (DGVB), bezeichnete den Entwurf als eine kleine Etappe im Marathon der Digitalisierung der Justiz. Der DGVB unterstütze das Ziel des Entwurfs, das Papierformerfordernis und damit die noch immer auftretenden Medienbrüche weiter zu minimieren. Die Reduzierung hybrider Aufträge werde ausdrücklich begrüßt. Diese Regelung könne nur eine Übergangslösung darstellen. Bis zur absolut notwendigen Schaffung eines elektronischen Titelregisters könne damit aber die Zwangsvollstreckung weiter beschleunigt werden. Erforderlich sei auch, alle Rechtsdienstleister zum Empfang von elektronischen Nachrichten zu verpflichten.
Aus Sicht von Philipp Bruhn, Vorsitzender der Vollstreckungskommission beim Bund Deutscher Rechtspfleger, sind die geplanten Neuregelungen sachgerecht und derzeit unverzichtbar, es sollte jedoch dringend an einer langfristigen Lösung hinsichtlich der digitalen Zwangsvollstreckung gearbeitet werden. Langfristig sollte zur Behebung der Problematik hybrider Anträge und Aufträge eine digitale Lösung angestrebt werden, die vor allem aus Gründen des Schuldnerschutzes ein hohes Niveau an Fälschungs- und Manipulationsschutz gewährleisten kann, so Bruhn in seiner schriftlichen Stellungnahme. Eine solche Lösung könnte in der Schaffung einer elektronischen Datenbank für die Zwangsvollstreckung bestehen.
Lutz Krüger von der Bundesrechtsanwaltskammer ging auf die praktische Umsetzung der vorgeschlagenen Regelungen für die Anwälte ein. Angesichts des Fachkräftemangels sei die Digitalisierung viel wichtiger als jemals zuvor. Der Gesetzentwurf sei daher der erste Schritt in die richtige Richtung. Weitere müssten folgen. Die hybride Antragsstellung sei für die Rechtsanwälte in der Praxis bislang ein enormer Zeitverlust. Der nächste Schritt müsste aus Sicht der Anwälte die Schaffung eines Titelverzeichnisses sein, wie auch von den anderen Sachverständigen gefordert. „Ohne das kommen wir nicht weiter“, sagte Krüger. Zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs in der Zwangsvollstreckung ist es Krüger zufolge sinnvoll, in den Verfahrensabläufen Registrierte Inkassounternehmen den Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten gleichzustellen.
Hartmut Rensen, Richter am Bundesgerichtshof, schloss sich in seinen Ausführungen den anderen Sachverständigen an. Aus seiner Sicht werde mit den vorgeschlagenen Regelungen ein doppelter Medienbruch erzeugt. Das könne nicht das Ende der Maßnahmen sein. Eine Datei werde in Papierform umgewandelt und dann wieder zurück umgewandelt, was zu Manipulationsmöglichkeiten führe. Aus der Sicht eines BGH-Richters führten verschiedene im Entwurf vorgeschlagenen Änderungen zu klärungswürdigen Rechtsfragen. Bei anderen wünsche er sich einen klareren Wortlaut, sagte Rensen. Solche Unklarheiten sollten vermieden werden. Änderungen seien leicht möglich, ohne die Regelungen im Kern zu verändern.
Auch die Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen (BDIU), Andrea Schweer, begrüßte den Gesetzentwurf. Viele Unternehmen hätten „ganze Lagerhallen voller Titel“. Die Potentiale der Digitalisierung in diesem Bereich seien „gigantisch“. Der Gesetzentwurf ziele daher aus Sicht der Inkassobranche in die richtige Richtung. Besonders werde begrüßt, dass die Wertgrenze für den elektronischen Vollstreckungsantrag wegfalle. Für die Praxis sei außerdem sehr wichtig, dass in Zukunft sämtliche Vollmachten entweder versichert oder auf elektronischem Wege nachgewiesen werden könnten. Die Digitalisierung der Zwangsvollstreckung bleibe aber Stückwerk, so Schweer, so lange es kein zentrales digitales Vollstreckungsregister gebe.
Die Sachverständigen Boek und Bruhn wurden auf Vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu der öffentlichen Anhörung eingeladen, Krüger auf Vorschlag der SPD-Fraktion, Bernhardt und Rensen auf Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion und Schweer auf Vorschlag der FDP-Fraktion.
Mit dem Gesetz soll die Anzahl der Aufträge und Anträge in hybrider Form bei den Vollstreckungsorganen reduziert werden. Der Entwurf sieht Änderungen in der Zivilprozessordnung (Paragrafen 754a und 829a) vor, nach denen es umfangreicher als bisher erlaubt werden soll, anstatt der vollstreckbaren Ausfertigung und anderer Schriftstücke in Papierform elektronische Kopien davon an das Vollstreckungsorgan zu übermitteln.
Wie es in dem Gesetzentwurf heißt, hat sich die Anzahl der Aufträge und Anträge in hybrider Form bei den Vollstreckungsorganen seit dem 1. Januar 2022 stark erhöht: Einerseits seien seitdem Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts verpflichtet, Vollstreckungsaufträge an Gerichtsvollzieher und Anträge an Vollstreckungsgerichte als elektronische Dokumente zu übermitteln. Andererseits werde die vollstreckbare Ausfertigung, die die Grundlage für die Vollstreckung ist, ausschließlich in Papierform erteilt und müsse grundsätzlich auch in Papierform vorgelegt werden. Dies führe dazu, dass die Ausfertigung dem Vollstreckungsauftrag beim Gerichtsvollzieher beziehungsweise dem Antrag beim Vollstreckungsgericht erst zugeordnet werden muss. Die Zuordnung koste Zeit und berge die Gefahr des Verlusts der Ausfertigung. Des Weiteren sollen unter anderem Unklarheiten hinsichtlich des elektronischen Rechtsverkehrs mit dem Gerichtsvollzieher beseitigt und die Anforderungen an sogenannte Geldempfangsvollmachten geregelt werden.
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