Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat jetzt gemeinsam mit Reporter ohne Grenzen (RSF) und zwei Journalisten Verfassungsbeschwerde gegen das heimliche Abhören des Pressetelefons der Protestgruppe Letzte Generation erhoben. Beschwerdeführer sind die beiden von der Abhörmaßnahme betroffenen Journalisten Jörg Poppendieck (rbb) und Jan Heidtmann (SZ). Ihre vorangegangene Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts München hatte das Landgericht München I im Juli verworfen und die mehrmonatige Abhörmaßnahme für verhältnismäßig erklärt.
Die Verfassungsbeschwerde von RSF und der GFF zielt darauf ab, die grundrechtlichen Grenzen für das Abhören von Pressetelefonen durch das Bundesverfassungsgericht klären zu lassen und Rechtssicherheit für Journalist*innen zu schaffen. Es geht außerdem um die Frage, ob Ermittlungsrichter*innen grundrechtliche Abwägungen bereits bei der Anordnung von Ermittlungsmaßnahmen ausdrücklich in den Beschluss aufnehmen müssen oder die Gründe erst nachträglich nennen können.
„Wenn der Staat systematisch Gespräche der Presse mit politischen Gruppen abhört, greift das empfindlich in die Pressefreiheit ein. Steht die Gruppe mit ihren Aktionen so stark in der Öffentlichkeit wie die Letzte Generation, ist dieser Eingriff unnötig und unverhältnismäßig: Es gibt nichts, was nicht sowieso bekannt wäre“, betont Benjamin Lück, Jurist und Verfahrenskoordinator bei der GFF. „Auch über kontroverse Protestformen an der Grenze der Legalität müssen Journalist*innen frei recherchieren und berichten können.“
„Die Abhöraktion der Generalstaatsanwaltschaft München gegenüber der Letzten Generation war völlig überzogen und verletzt die Pressefreiheit. Da die Gerichte in München dieses Vorgehen trotzdem legitimiert haben, bleibt uns nur der Weg vors Bundesverfassungsgericht“, sagt Jan Heidtmann, Journalist und Beschwerdeführer.
Die Verfassungsbeschwerde von GFF und RSF kritisiert, dass das Amtsgericht München in der Überwachungsanordnung keinerlei grundrechtliche Abwägung festgehalten und die Pressefreiheit mit keinem Wort erwähnt hatte, obwohl absehbar war, dass auf dem abgehörten Anschluss eine Vielzahl von Journalist*innen anrufen würde.
„Ermittlungsrichter*innen müssen die betroffenen Grundrechte direkt bei ihren Entscheidungen berücksichtigen und das Abwägungsergebnis sofort dokumentieren. Diese Abwägung erst nachzuschieben, wenn die Maßnahme längst erfolgt ist, reicht nicht aus“, kritisiert Rechtsanwältin Nicola Bier. „Gerichte müssen Maßnahmen der Ermittlungsbehörden in jedem Fall grundrechtlich prüfen – nicht nur wenn sie von Betroffenen angegriffen werden.“
Die Generalstaatsanwaltschaft München hatte das Pressetelefon der Letzten Generation von Oktober 2022 bis April 2023 heimlich überwacht. Anlass waren die Ermittlungen gegen mehrere Aktivist*innen wegen des Vorwurfs der Bildung einer „kriminellen Vereinigung“. Dieser Straftatbestand (§ 129 StGB) steht in der Kritik, viel zu vage formuliert zu sein und vor allem als „Türöffner“ für sehr weitreichende, invasive Eingriffe genutzt zu werden. Auch auf die Maßnahmen gegen die Letzte Generation trifft diese Kritik zu: Die den Aktivist*innen vorgeworfenen strafbaren Nötigungen im Straßenverkehr rechtfertigen kein monatelanges heimliches Abhören vertraulicher Pressegespräche mit der Gruppe.
Gleichzeitig mit RSF, GFF und den beiden Beschwerdeführern erhebt auch der Bayerische Journalisten-Verband (BJV) mit einem seiner Mitglieder, vertreten von der Kanzlei Jun, Verfassungsbeschwerde gegen die Abhörmaßnahmen.
Die Verfassungsbeschwerde der GFF fügt sich ein in eine ganze Reihe von Klagen gegen unverhältnismäßige Ermittlungsmaßnahmen, die die Pressefreiheit verkennen und verletzen, wie zuletzt das Vorgehen gegen die Durchsuchung des freien Senders Radio Dreyeckland.
(c) GFF, 11.09.2024