Vermieter fordern teilweise eine Mieterhöhung, die über die Anpassung der Miete aufgrund des Mietspiegels hinausgeht. Sie begründen dies auch mit der gestiegenen Inflation seit Erlass des Mietspiegels („Stichtagszuschlag“). Das Landgericht München I setzte dem jetzt deutliche Grenzen. Es handelt sich um eine Entscheidung von erheblicher Bedeutung für eine Vielzahl von Mietverhältnissen in München.
Mit der Grundsatzentscheidung vom 17.07.2024 (Hinweisbeschluss, Az.: 14 S 3692/24) teilte die 14. Zivilkammer des Landgerichts München I, sog. Mietberufungskammer, erstmals ihre grundsätzliche rechtliche Einschätzung zum sog. Stichtagszuschlag mit. Ein solcher lasse sich jedenfalls nicht mit dem Anstieg des Verbraucherpreisindex (Inflation) begründen.
Dem lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
Die (Berufungs-)Klägerin begehrte die Zustimmung zu einer Mieterhöhung. Sie vertrat insbesondere die Ansicht, es sei in Zeiten hoher Inflation die Berücksichtigung einer Stichtagsdifferenz sachgerecht. Sie forderte deshalb einen Zuschlag zu den Mietwerten des Mietspiegels 2023 wegen einer ungewöhnlichen Steigerung der ortsüblichen Vergleichsmiete, die in der Zeit zwischen der Datenerhebung zum Mietspiegel und dem Zugang des Mieterhöhungsverlangens eingetreten sei.
Der beim Amtsgericht München zur Entscheidung berufene Richter ist dieser Auffassung nicht gefolgt und hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht München I teilte die Auffassung des Erstgerichts.
Die zuständige Kammer beim Landgericht München I hat in ihrer grundlegenden, richtungsweisenden Entscheidung für ganz München insbesondere ausgeführt:
Zwar komme den Gerichten nach einem Urteil des BGH aus dem Jahr 2013 bei Beurteilung eines Mieterhöhungsverlangens in Fällen, in denen zwischen dem Erhebungsstichtag eines Mietspiegels und dem Zugang des Zustimmungsverlangens nachträglich „ungewöhnliche Steigerungen der ortsüblichen Vergleichsmiete“ festzustellen sind, ein weiter Beurteilungsspielraum zu. In dessen Rahmen ist das Tatgericht grundsätzlich auch befugt, einen Stichtagszuschlag vorzunehmen, wenn dies dem Gericht zur Bildung einer sachgerechten Einzelvergleichsmiete angemessen erscheint.
Nach Einschätzung des Landgerichts hat das Erstgericht vorliegend seinen Beurteilungsspielraum eingehalten. Insbesondere habe es eine ungewöhnliche Steigerung der ortsüblichen Vergleichsmiete zutreffend verneint. Dies wurde auch damit begründet, dass ein Anstieg nach dem Index für Nettokaltmieten in Bayern von nur wenig mehr als 3 % keinen außergewöhnlichen Mietanstieg bedeutet.
Das Landgericht München I wies darauf hin, dass sich eine „ungewöhnliche Steigerung der ortsüblichen Vergleichsmiete“ über den Mietspiegel hinaus nicht mit einem Anstieg des Verbrauchpreisindex begründen lässt. Beim Berechnen des Verbraucherpreisindex bzw. der Inflationsrate wird ein sog. Warenkorb verwendet, der rund 700 Güterarten umfasst und sämtliche von privaten Haushalten in Deutschland gekauften Waren und Dienstleistungen repräsentiert. Dem Verbraucherpreisindex könne nach Ansicht der 14. Zivilkammer für den spezifischen Anstieg der Wohnungsmieten und erst recht für die Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete keine belastbare Aussage entnommen werden.
Auch betonte die zuständige Kammer, dass die Einführung einer „Stichtagspraxis“ zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führen, die die bedeutsame Befriedungsfunktion des Mietspiegels gerade in angespannten Mietmärkten gefährden könnte.
Auf den Hinweisbeschluss der 14. Zivilkammer gemäß § 522 Abs. 2 ZPO, wonach die Entscheidung des Erstgerichts zutreffend ist, wurde die Berufung zurückgenommen.
Zum Hintergrund:
Das Thema „Stichtagszuschlag“ ist sehr aktuell. Es wurde bereits über eine Entscheidung des Amtsgerichts München in der Presse berichtet, in der einer auf den Stichtagszuschlag gestützten Klage stattgegeben wurde.
Die 14. Zivilkammer des Landgerichts München I ist u.a. für alle Berufungen gegen Entscheidungen des Amtsgerichts München in Fragen von Mieterhöhungsverlangen allein zuständig.
Beim Amtsgericht München wird die Frage des Stichtagszuschlag von den zuständigen Richterinnen und Richtern unterschiedlich beantwortet. Eine Vielzahl von Berufungen mit der streitgegenständlichen Frage, ob ein Verweis auf den Verbraucherpreisindex ausreichend sei, um einen Stichtagszuschlag zu begründen, sind bereits beim Landgericht München I anhängig.
(c) LG München I, 08.08.2024