„Das 75-jährige Verfassungsjubiläum, das wir in diesem Jahr feiern, ist ein Grund zu Stolz und Freude. Die Landesverfassung und der Verfassungsgerichtshof als ihr „Hüter“ haben sich in den vergangenen siebeneinhalb Jahrzehnten als wirkmächtige Garanten für den sozialen Frieden, die Freiheit und den Wohlstand erwiesen, in dem wir alle leben. Anlass, sich auf Erreichtem auszuruhen, besteht aber nicht. Eine Verfassung ist immer nur so stark, wie die Gesellschaft, die sie trägt. Angesichts alter und neuer Bedrohungen von innen und von außen sollten wir das Verfassungsjubiläum daher auch und vor allem nutzen, um uns der verfassungsmäßigen Grundlagen unseres Gemeinwesens und unserer gemeinsamen Werte zu vergewissern“ erklärte Justizminister Herbert Mertin anlässlich des Festakts 75 Jahre Landesverfassung und Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz im Mainzer Schloss.
Die Verfassung für Rheinland-Pfalz ist – nach der hessischen und der bayerischen – die drittälteste vorgrundgesetzliche Landesverfassung. Sie wurde heute vor 75 Jahren – am 25. April 1947 – von der Beratenden Landesversammlung verabschiedet und am 18. Mai 1947 durch Volksabstimmung angenommen. Hierdurch entstand zugleich der Verfassungsgerichtshof. Zu dessen erstem Präsidenten wurde kraft seines Amtes als Präsident des Landesverwaltungsgerichts Ernst Biesten, der schon an der Entstehung der Landesverfassung maßgeblich beteiligt gewesen war.
„Zur Zeit der Entstehung unserer Landesverfassung in den Jahren 1946 und 1947 war Rheinland-Pfalz noch ein Agrarland, von manchen augenzwinkernd als das „Land der Reben und Rüben“ bezeichnet, das noch durch christlich-religiöse Anschauungen und konfessionelle Zugehörigkeiten geprägt war. Heute finden sich vielerorts – neben Weinbau und Landwirtschaft – hochmoderne und sehr innovative Industrien, etwa Pharmaindustrie und mittlerweile auch Biotechnologie, die es in und durch die Corona-Krise zu weltweiter Bekanntheit gebracht hat. In den größeren Städten, aber auch in den ländlichen Gegenden haben sich liberalere gesellschaftliche Milieus gebildet und sich von alten, teilweise rigiden Wertvorstellungen und sozialen Regelwerken gelöst. Mit diesen teilweise sprunghaften Entwicklungen hat unsere klug konzipierte Landesverfassung stets Schritt gehalten, ohne dass ihr wesentlicher Kern dabei verloren gegangen wäre. Einen wesentlichen Beitrag hierzu hat der Verfassungsgerichtshof geleistet, der unsere Verfassung in seiner Rechtsprechung immer wieder mit Augenmaß aktualisiert und so „mit Leben“ gefüllt hat“, hob Mertin des Weiteren hervor.
„Der Druck auf Demokratie und Rechtsstaat nimmt jedoch in den letzten Jahren zu. Von innen durch Hass und Hetze in sozialen Netzwerken, durch Polarisierung und Populismus, Politikverdrossenheit und krude Verschwörungstheorien, die unsere Gesellschaft spalten. Und von außen durch autoritäre Herrschaftssysteme, die nicht mehr nur in einen offenen, aber friedlichen Wettstreit mit dem westlichen Gesellschaftsmodell treten, sondern unseren Grundüberzeugungen von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat mittlerweile – im wahrsten und bittersten Sinne des Wortes – den Krieg erklärt haben. Hier ist es nun an uns als Gesellschaft, uns zu Landesverfassung und ihren Werten zu bekennen, für sie einzustehen und sie als wichtiges Fundament unseres Zusammenlebens in Rheinland-Pfalz zu erhalten. Dann bin ich mir sicher, dass die Aussage Art. 1 Abs. 1 Satz 1 unserer Verfassung – „Der Mensch ist frei“ – auch in weiteren 25, 50 oder 75 Jahren gelebte Verfassungswirklichkeit in unserer schönen Heimat Rheinland-Pfalz sein wird“, führte Mertin abschließend aus.
Nach diesen einführenden Worten durch Justizminister Herbert Mertin hielt Prof. Dr. Peter M. Huber, Richter des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, einen Impulsvortrag. Dieser gab den Auftakt zu einer spannenden Podiumsdiskussion mit Prof. Dr. Lars Brocker, Präsident des Verfassungsgerichtshofs, und Frau Prof. Dr. Elke Gurlit, Inhaberin des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrechts, Rechtsvergleichung und Europarecht an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Das Schlusswort hatte der Mitveranstalter Prof. Dr. Lars Brocker.
Die Veranstaltung wurde musikalisch umrahmt vom dem Duo „harfpipe“: Clara Dicke an der Harfe und Bernd Nickaes am Saxophon.
Quelle: Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz, Pressemitteilung vom 25. April 2022