Anlässlich zweier Verfassungsbeschwerden, die in dieser Woche vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verhandelt werden, betont der Deutsche Anwaltverein (DAV) die Notwendigkeit einer angemessenen Gefangenenvergütung. Um dem Resozialisierungsanspruch gerecht zu werden, müssen Inhaftierte ein Arbeitsentgelt erhalten, das mehr als nur eine symbolische Anerkennung ist. Mit der Vergütung müssen auch etwaige Wiedergutmachungsleistungen, Unterhaltszahlungen oder Schuldenabbau möglich sein. Auch der Altersarmut ist vorzubeugen. Der DAV regt die Bildung einer Kommission zur Ermittlung einer gerechten Entlohnung an.
Zwei Verfassungsbeschwerden zum Thema Gefangenenvergütung werden diesen Mittwoch und Donnerstag vor dem BVerfG verhandelt. Sie richten sich gegen die zu geringe Höhe des Entgelts für Arbeitsleistungen während der Haftzeit. Aktuell liegt der mittlere Tagessatz der Gefangenenvergütung bei 14,21 Euro in den alten Bundesländern und bei 13,61 Euro in den neuen Bundesländern. Ausgehend von einem 8-Stunden-Tag entspricht das einem Stundenlohn von 1,77 bzw. 1,70 Euro.
„Es geht nicht darum, hier den gesetzlichen Mindestlohn zu fordern“, stellt Rechtsanwalt Swen Walentowski, Leiter Politische Kommunikation und Medien des DAV, klar. „Denn natürlich werden Unterkunft und Grundverpflegung von der Justiz gestellt.“ Deswegen seien Gefangene auch grundsätzlich zur Arbeit während ihrer Haftzeit verpflichtet. „Es muss den Inhaftierten verdeutlicht werden, dass sich Arbeit lohnt, das folgt schon aus dem Resozialisierungsgebot. Dieses verlangt nach mehr als einem Entgelt, das gerade ausreicht für Dinge des täglichen Bedarfs aus den Gefangenenshops.“ Zumal diese Produkte, wie Zigaretten, Schokolade oder Rasierer, in der JVA deutlich teurer seien als draußen.
Der deutsche Strafvollzug beruht auf dem Prinzip der Resozialisierung: Ehemaligen Strafgefangenen muss es nach ihrer Entlassung möglich sein, ein straffreies Leben zu führen. Dafür muss sich ehrliche Arbeit buchstäblich lohnen – faktisch und nach der Überzeugung der Betroffenen. Beides ist nach Auffassung des DAV bei den aktuellen Sätzen zweifelhaft.
Schuldenspirale und Altersarmut vermeiden
Die Welt steht nicht still während der Inhaftierung: Viele Gefangene haben Familien, für die Unterhaltsverpflichtungen bestehen. Oft gibt es Schulden, die nach der Haftentlassung womöglich zur nächsten Straffälligkeit verleiten können. „Solche normalen finanziellen Verpflichtungen, aber auch tatbezogene Wiedergutmachungen wie Schadensersatz oder Schmerzensgeld sollten mit dem leistbar sein, was Gefangene sich erarbeiten“, betont Walentowski. Hinzu kommt, dass Inhaftierte ihr Überbrückungsgeld selbst ansparen müssen, also das, was sie nach der Entlassung benötigen, bevor ein Antrag auf Sozialleistungen beschieden ist.
Neben der Vergütung werden keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt. Gerade in puncto Rente ist bei langjährigen Inhaftierten die Altersarmut damit vorprogrammiert. Nach Ansicht des DAV muss dies dringend überdacht werden.
Wertschätzung der Erwerbsarbeit
Der DAV sieht hier dringenden Handlungsbedarf – und einen Prüfauftrag, etwa durch eine Kommission: Wie sähe eine gerechte Entlohnung aus, Unterbringung und Verpflegung angerechnet, um den Übergang in ein Leben in Freiheit zu ermöglichen? Wieviel monetäre Anerkennung muss ein Häftling für seine Arbeit erhalten, um ihm langfristig den Wert einer regulären Erwerbstätigkeit zu vermitteln?
Eine größere Wertschätzung von Arbeit hinter Gittern käme am Ende beiden Seiten zugute: Für die Inhaftierten vergrößert sich die Chance einer wirklichen Resozialisierung. Und der Staat würde dem Eindruck entgegenwirken, es gehe hier um billige Arbeitskräfte.
Bei Fremdaufträgen durch Firmen würden Tariflöhne bezahlt, von denen die Inhaftierten nichts haben. „Die Inhaftierten erwirtschafteten schon 2011 einen Umsatz von 150 Millionen Euro,“ so Walentowski. Ein Teil solle auch bei denen ankommen, die die Arbeit erledigten.
Quelle: Deutscher Anwaltverein e.V., Pressemitteilung vom 25. April 2022