Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) erhebt heute gemeinsam mit einer deutschen Pädagogin Verfassungsbeschwerde gegen ihren Ausschluss als Schöffin, weil sie als Muslima ein Kopftuch trägt. Das Amtsgericht (AG) Dortmund hatte im Mai entschieden, die Beschwerdeführerin von der Schöff*innen-Liste zu streichen. Sie sei für die Ausübung des Amts dauerhaft unfähig. Grundlage für den Beschluss ist das nordrhein-westfälische Justizneutralitätsgesetz, das ehrenamtlichen Richter*innen das Tragen religiöser Symbole und Kleidungsstücke in der Gerichtsverhandlung und damit auch das Tragen eines Kopftuchs verbietet. Aus Sicht der GFF sind die Streichung von der Schöff*innenliste und die zugrundgelegte Vorschrift des Justizneutralitätsgesetzes verfassungswidrig.
Schöff*innen repräsentieren die Gesellschaft im Gerichtssaal und treten in ihrem Ehrenamt als Richter*innen ohne Robe auf. Der pauschale Ausschluss greift massiv in die Grundrechte der Betroffenen ein. „Die Entscheidung des Amtsgerichts Dortmund darf so nicht stehenbleiben. Das Kopftuchverbot für ehrenamtliche Richter*innen verletzt die Betroffene in ihrer Religionsfreiheit und ist diskriminierend. Kopftuchtragende muslimische Frauen sind Teil unserer Gesellschaft und sollten durch Schöff*innen repräsentiert werden“, kritisiert die Juristin und Verfahrenskoordinatorin bei der GFF Soraia Da Costa Batista.
Die Beschwerdeführerin wurde 2023 in Nordrhein-Westfalen für den Zeitraum 2024 bis 2028 als Jugendschöffin gewählt, um gemeinsam mit Berufsrichter*innen in Jugendstrafverfahren zu entscheiden. Nachdem sie mitteilte, dass sie aus religiösen Gründen auch während der Hauptverhandlungen ihr Kopftuch nicht ablegen könne, stellte das AG Dortmund trotz der Eignung der Beschwerdeführerin für das Schöff*innenamt einen Antrag auf Amtsenthebung beim Oberlandesgericht (OLG) Hamm. Das OLG lehnte die Amtsenthebung ab, weil die Religionsausübung keine „gröbliche Amtspflichtverletzung“ sei. Das Gericht erklärte aber, dass Schöff*innen während einer Verhandlung keine religiösen Symbole tragen dürfen und sie durch das Tragen eines Kopftuchs für die Amtsausübung unfähig seien. Begründet wird die Regelung im Justizneutralitätsgesetz mit dem staatlichen Neutralitätsgebot. Das zuständige AG Dortmund folgte der Auffassung des OLG und strich die Beschwerdeführerin von der Schöff*innen-Liste. Damit ist für sie die Ausübung dieses Ehrenamts unmöglich.
„Ich arbeite seit vielen Jahren in Projekten mit Jugendlichen und Erwachsenen, um unsere Demokratie und den Rechtsstaat zu stärken. Als die Wahl für das Amt als Jugendschöffin auf mich fiel, habe ich mich gefreut, meine Erfahrungen einbringen zu können. Es trifft mich schwer, dass mir diese Möglichkeit nur wegen meines Kopftuchs verwehrt wird“, betont die Beschwerdeführerin. Sie wird vor dem Bundesverfassungsgericht von Prof.‘in Dr. Anna Katharina Mangold von der Europa-Universität Flensburg vertreten. Mangold erklärt: „Das Schöff*innenamt baut auf demokratische Vielfalt. Der diskriminierende Ausschluss engagierter Menschen wegen ihrer sichtbaren Religionsausübung greift dieses Fundament an.“
Schöff*innen sind ein wichtiges Bindeglied zwischen Staat und Gesellschaft und bringen möglichst repräsentative, plurale Perspektiven in das Gericht ein. Ein pauschaler Ausschluss widerspricht diesem gesetzlich verankerten Ziel.
(c) GFF, 05.07.2024