Der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat heute unter dem Vorsitz von Dr. Claus Belling in einem Staatsschutzverfahren gegen ein Mitglied der „DHKP-C“ („Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-front“) ein Urteil verkündet. Der 44-jährige Angeklagte, ein türkischer Staatsangehöriger, wurde wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.

Feststellungen des Senats zu den Taten

Bei der DHKP-C handelt es sich um eine 1992 gegründete, seit 1998 in Deutschland verbotene und im Jahr 2002 von der Europäischen Union als terroristisch eingestufte türkische Organisation. Laut Parteiprogramm hat sie sich zum Ziel gesetzt, das verfassungsmäßige Regierungssystem in der Türkei im Wege eines revolutionären Umsturzes gewaltsam zu beseitigen und durch ein marxistisch-leninistisches Regime unter ihrer Kontrolle zu ersetzen. Die DHKP-C verfügt neben einem politischen Arm („Revolutionäre Volksbefreiungspartei“ – DHKP) auch über einen militärisch-propagandistischen Arm („Revolutionäre Volksbefreiungsfront“ – DHKC). Die DHKP-C verübte in der Vergangenheit in der Türkei zahlreiche Anschläge mit Toten und Verletzten, die vorwiegend gegen Repräsentanten des türkischen Staates, Angehörige türkischer Justizbehörden und der türkischen Armee und auch gegen angebliche „Verräter“ gerichtet waren. Ihren bewaffneten Kampf hat die DHKP-C bis heute nicht aufgegeben; der jüngste Anschlag auf ein Gerichtsgebäude im Istanbuler Stadtteil Caglayan, in dem die DHKP-C bereits im Jahr 2015 einen Staatsanwalt als Geisel genommen hatte, der später seinen im Rahmen der Geiselnahme erlittenen Verletzungen erlegen war, wurde am 6. Februar 2024 begangen. In Deutschland und anderen Ländern Europas hat sie eine organisationsintern als „Rückfront“ bezeichnete unselbständige Teilorganisationsstruktur etabliert, die fest hierarchisch gegliedert ist. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes verfügt die DHKP-C in Deutschland über etwa 650 Anhänger.

Der Angeklagte war jedenfalls von Anfang 2014 bis zu seiner Festnahme am 9. Februar 2023 als Mitglied in die (Rückfront der) DHKP-C eingebunden, zunächst als örtlicher Funktionär der DHKP-C im Gebiets-Komitee Mannheim und jedenfalls seit Mitte 2016 als Verantwortlicher dieses Gebiets-Komitees und war unter anderem damit befasst, die dem DHKP-C-Gebiet Mannheim obliegenden Aufgaben zu erledigen. Das bedeutete im Wesentlichen, die Anmeldung und Organisation von (zahlreichen) Propaganda-Veranstaltungen und die Teilnahme an diesen Veranstaltungen – mitunter auch außerhalb des DHKP-C-Gebietes Mannheim –, Organisation von und Teilnahme an vereinigungsinternen Veranstaltungen im örtlichen (Tarn-)Verein sowie Schulungsarbeit, welche eng mit der Nachwuchs­gewinnung verbunden ist, zu betreiben. Darüber hinaus leistete der Angeklagte Finanzierungshilfe für die Vereinigung, etwa durch den Verkauf von Konzertkarten und sog. Solidaritätstickets für Auftritte der eng mit der DHKP-C verbundenen linksgerichteten Musikgruppe „Grup Yorum“. Zudem überwies er Gelder zur Unterstützung von in Haft befindlichen Mitgliedern der DHKP-C im In- und Ausland im deutlich vierstelligen Bereich. Die Unterstützung von inhaftierten Gesinnungs­genossen wird innerhalb der DHKP-C als eine überaus wichtige Aufgabe der Organisation gesehen.

Der Senat hat bei der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten insbesondere berücksichtigt, dass er seine Kadertätigkeit über einen Zeitraum von über neun Jahren ausübte. Strafmildernd wertete der Senat neben der mit über 16 Monaten langen Dauer der Untersuchungshaft mit den gesetzlich vorgegebenen besonders belastenden Haftbedingungen vor allem, dass der Angeklagte nicht vorbestraft ist.

Weitere Informationen zum Verfahren

Dem Urteil waren 48 Verhandlungstage seit dem 19. September 2023 vorausge­gangen. Im Rahmen der Beweisaufnahme hatte der Senat insgesamt 34 Zeugen vernommen sowie zahlreiche Dokumente und über 100 abgehörte Telefon­gespräche eingeführt.

Der Senat ordnete die Fortdauer der Untersuchungshaft an. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Dem Angeklagten und der Generalstaatsanwaltschaft stehen gegen das Urteil das Rechtsmittel der Revision zum Bundesgerichtshof offen, die binnen einer Woche nach Verkündung des Urteils eingelegt werden muss.

Aktenzeichen

6 St 33 OJs 15/22

33 OJs 15/22 – Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart

(c) OLG Stuttgart, 20.06.2024

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