Das Vorhaben der Koalitionsfraktionen, im Straßenverkehr einen einheitlich geltenden gesetzlichen THC-Grenzwert von 3,5 ng/ml Tetrahydrocannabinol (THC) im Blutserum einzuführen, ist bei den zu einer öffentlichen Anhörung des Verkehrsausschusses am Montag geladenen Sachverständigen überwiegend auf Zustimmung getroffen. Kritik daran gab es unter anderem von der Deutschen Polizeigewerkschaft. Die im Entwurf von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP für ein „Sechstes Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und weiterer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften“ (20/11370) enthaltene Beibehaltung des aktuell geltenden Grenzwertes von 1 ng/ml für Fahranfänger wurde hingegen von allen Expertinnen und Experten begrüßt.
ADAC-Verkehrspräsident Gerhard Hillebrand hält den Grenzwert von 3,5 ng/ml für plausibel. Es gebe bisher keine Anhaltspunkte dafür, dass die Interessen der Verkehrssicherheit dadurch beeinträchtigt würden. Der alte Grenzwert von 1 ng/ml habe insbesondere bei Gewohnheitskonsumenten zu viele „falsch positive“ Ergebnisse gebracht, weil festgestellt worden sei, „dass zwar Cannabis nachweisbar ist, eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit jedoch nicht mehr gegeben ist“.
Zur Vermeidung unangemessener Sanktionen sei eine Erhöhung des THC-Grenzwertes notwendig, befand Stefan Tönnes, Leiter der Abteilung Forensische Toxikologie am Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Frankfurt/M. und Vorsitzender der Grenzwertkommission. Der von der interdisziplinären Expertengruppe für die Festlegung eines THC-Grenzwertes im Straßenverkehr vorgeschlagene Grenzwert von 3,5 ng/ml sei ausreichend und so niedrig, „dass das mögliche Vorliegen verkehrssicherheitsrelevanter Beeinträchtigungen im Sinne eines abstrakten Gefährdungsdeliktes erfasst und sanktioniert wird“.
Ingo Koßmann, Leiter der Abteilung Verhalten und Sicherheit im Verkehr bei der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), begrüßte es, dass die Berechnung des Cannabis-Grenzwertes der Expertenkommission bereits bei ersten Leistungseinbußen ansetze. Bei 3,5 ng/ml THC im Blutserum sei eine Konzentration gegeben, ab der eine mögliche Beeinträchtigung einer verkehrssicherheitsrelevanten Teilleistung beginnen könne. Sie liege aber noch weit unterhalb der Schwelle von 7 ng/ml THC im Blutserum, ab welcher von einem allgemeinen Unfallrisiko ausgegangen werden könne.
Frank Mußhoff, Geschäftsführer der Forensisch Toxikologischen Centrum GmbH München (FTC), hält die Erhöhung eines THC-Grenzwertes im Straßenverkehr zeitgleich mit einer Teillegalisierung für schädlich, „da es zu einer Bagatellisierung der Wirkung kommt“. Wolle man eine Gefährdung ausschließen, müsse man sich beim Grenzwert an dem „ungewöhnten isolierten Konsumenten“ orientieren, statt an regelmäßigen Gewohnheitskonsumenten, sagte er.
Polizeirat Marco Schäler, Geschäftsführer der Kommission Verkehr bei der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), verwies unter anderem auf Probleme bei der Umsetzung der Regelung, die sich aus den unterschiedlichen THC-Grenzwerten (1,0 ng/ml und 3,5 ng/ml) im Straßenverkehrsrecht ergäben. Mit Blick auf die empfohlene Verwendung von kostenintensiven Speicheltests und der Erforderlichkeit von zwei unterschiedlichen Testversionen entstünden nicht unerhebliche Kosten für die Länder. Der aktuelle Grenzwert für THC in Höhe von 1,0 ng/ml sei maßvoll und hochvalide. Vor diesem Hintergrund habe sich auch der polizeiliche Vertreter in der vom BMDV eingesetzten Expertengruppe gegen eine Anhebung des THC-Grenzwertes ausgesprochen, heißt es in der Stellungnahme der DPolG.
Fabian Steinmetz, Senior-Toxikologe bei Delphic HSE und Mitglied im Expertennetzwerk Schildower Kreis, kritisierte eine Ungleichbehandlung von Cannabis und Alkohol. Steinmetz plädierte für einen THC-Grenzwert von 10 ng/ml als Pendant zur 0,5 Promille-Grenze bei Alkohol.
Die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Anja Käfer-Rohrbach, betonte die große Bedeutung eines gesetzlichen festgeschriebenen Grenzwertes für die Versicherungswirtschaft. Ob die 3,5 ng/ml THC im Blutserum richtig gewählt seien, wollte sie nicht bewerten. Richtig ist es aus ihrer Sicht aber, bei der Risikogruppe der Fahranfänger – ähnlich wie bei Alkohol – auch bei Cannabis einen „Null-THC“ Wert vorzugeben.
Eine Erhöhung des Grenzwertes auf 3,5 ng/ml werde die Zahl der falsch Positiven reduzieren, ohne die Verkehrssicherheit relevant zu reduzieren, befand Lorenz Böllinger, Mitglied im Expertennetzwerk Schildower Kreis. Er stelle daher einen Schritt in die richtige Richtung dar.
(c) HiB Nr. 362, 03.06.2024