Der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter dem Vorsitz des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. Wolfgang Reder hat mit seinem heutigen Urteil die Klage zweier japanischer, in den USA ansässiger Fondsgesellschaften wegen Schadensersatzansprüchen im Zusammenhang mit dem sog. VW-Abgasskandal zurückgewiesen.


Die beiden Klägerinnen sind Fondsgesellschaften der US-amerikanischen E.-Gruppe. Die beklagte Porsche Automobil Holding SE („Porsche SE“) ist als Holdinggesellschaft mit rund 52 % der Stimmrechte an der VW AG beteiligt; diese Beteiligung stellt ihr einziges substanzielles Investment dar. Die Klägerinnen erwarben in den Jahren 2013 bis 2015 Vorzugsaktien der Beklagten. Sie nehmen die Porsche SE im Zusammenhang mit dem Abgasskandal auf Schadensersatz in Anspruch, insbesondere wegen der Verletzung kapitalmarktrechtlicher Publizitätspflichten. Die Klägerinnen machen insgesamt rund 160 Mio. € Kursdifferenz-schaden geltend (26,72 € Schaden pro Vorzugsaktie bei rund 4 bzw. 2 Mio. erworbenen Vorzugsaktien). Das Landgericht Stuttgart hatte die beklagte Porsche SE erstinstanzlich wegen unterlassener bzw. verspäteter Ad-hoc-Mitteilungen im Zusammenhang mit der am 22.09.2015 publizierten Abgasproblematik bei VW-Dieselfahrzeugen zu Schadensersatzzahlungen in Höhe von insgesamt rund 44 Millionen Euro verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Dagegen richten sich die Klägerinnen und die beklagte Porsche SE mit ihren jeweiligen Berufungen.

Mit einem Beschluss vom 29.10.2019 (vgl. PM vom 29.10.2019) hatte der Berufungssenat das Verfahren im Hinblick auf zwei Kapitalanleger-Musterverfahren des OLG Stuttgart und des OLG Braunschweig ausgesetzt. Der Bundesgerichtshof hat diese Entscheidung mit einem Beschluss vom 16.06.2020 (II ZB 30/19) aufgehoben und die Fortsetzung des vorliegenden Verfahrens angeordnet.


Nach der ersten mündlichen Verhandlung vom 12.09.2019 hat die Porsche SE ergänzend die sog. Aktivlegitimation der Klägerinnen, d.h. die Befugnis zur Geltendmachung ihrer Ansprüche, beanstandet und weiter zur Schadensfeststellung vorgetragen. Nach dem Berufungssenat können diese nur die beiden Klägerinnen betreffenden Aspekte nicht Gegen-stand des beim OLG Stuttgart parallel geführten Kapitalanleger-Musterverfahrens 20 Kap 2/17 sein. Eine Aussetzung des vorliegenden Verfahrens nach § 8 Abs. 1 Kapital-anleger-Musterverfahrensgesetz wäre deshalb nur möglich, wenn es jetzt nur noch um die Feststellungsziele im alle Anleger betreffenden Verfahren OLG Stuttgart 20 Kap 2/17 als Rechtsfragen und die hierfür notwendigen Tatsachenfeststellungen ginge, was aber nicht der Fall sei.


Das Berufungsgericht sah die Klägerinnen als aktivlegitimiert an und verwies auf die insoweit bindenden tatbestandlichen Feststellungen des Landgerichts. Danach seien die Klägerinnen Inhaberinnen der zuvor erworbenen Finanzinstrumente – hier Aktien, die durch einen Zwischenverwahrer in registrierter Form nach US-amerikanischem Recht verwahrt werden – bei Bekanntwerden der Insiderinformation und damit zur Geltendmachung der Schadensersatzansprüche gemäß § 37b Abs. 1 Nr. 1 Wertpapierhandelsgesetz a.F. befugt.


In der Sache seien die Zahlungs- und Schadensfeststellungsanträge der Fondsgesellschaften unbegründet. Der eingeklagte Kursdifferenzschaden durch die Käufe von Vorzugsaktien der Porsche SE sei zu verneinen. Den Klägerinnen stehen nach dem OLG daher keine entsprechenden Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte zu. Zusätzlich und verknüpft mit den Käufen von Vorzugsaktien der Porsche SE hätten die Klägerinnen Leerverkäufe von VW-Vorzugsaktien getätigt. Bei dem Kursdifferenzschaden durch die Käufe von (aus Klägersicht verhältnismäßig unterbewerteter) Vorzugsaktien der Beklagten seien die Vorteile aus den gleichzeitig getätigten Leerverkäufen von Vorzugsaktien der VW AG anzurechnen. Dies führe zum Wegfall eines möglichen Kursdifferenzschadens, da die Fondsgesellschaften ihre Klage auf Pflichtverletzungen der Beklagten stützen, die ihre Grundlage in der Beteiligung der Beklagten an der VW-AG hätten und den VW Abgasskandal beträfen.

Gerade solche Risiken seien aber gezielt durch die Leerverkäufe von VW Vorzugsaktien abgesichert gewesen, zumal die nach Bekanntwerden der Dieselproblematik aufgetretenen Kursverluste bei VW-Aktien wegen der Leerverkäufe zu Gewinnen geführt hätten, die die Verluste bei den Vorzugsaktien der Porsche SE kompensiert hätten (Pair Trade).


Das Oberlandesgericht hat die Revision zum Bundesgerichtshof nicht zugelassen, eine Nichtzulassungsbeschwerde ist jedoch möglich.


Aktenzeichen:
LG Stuttgart -22 O 348/16- Urteil vom 12.09.2018
OLG Stuttgart: -1 U 205/18 – Urteil vom 12.04.2022

Quelle: Oberlandesgericht Stuttgart, Pressemitteilung vom 12. April 2022

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