Die Zahl der Insolvenzen von Personen- und Kapitalgesellschaften in Deutschland liegt laut IWH-Insolvenztrend im April bei 1 367 (vgl. Abbildung 1). Damit wird der jüngste Rekordwert, der im März gemessen wurde, nochmals um 5% übertroffen. Der aktuelle Wert liegt zudem 47% höher als im April 2023 und 40% über dem April-Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019, also vor der Corona-Pandemie. Auch in zahlreichen Branchen wurden Höchststände erreicht, darunter insbesondere im Bausektor, im Handel, im Dienstleistungsbereich, aber auch in kleineren Branchen wie Information und Kommunikation.
Schließungen großer Arbeitgeber können zu hohen und dauerhaften Einkommens- und Lohnverlusten bei den betroffenen Beschäftigten führen. Die Zahl der von Großinsolvenzen betroffenen Jobs liefert zudem eine gute Annäherung der Gesamtzahl der von Insolvenz betroffenen Arbeitsplätze. Die Analyse des IWH zeigt, dass in den größten 10% der Unternehmen, deren Insolvenz im April gemeldet wurde, ca. 34 000 Arbeitsplätze betroffen waren. Die Zahl der betroffenen Beschäftigten in den größten 10% der Unternehmen ist dreimal so hoch wie im Vormonat, doppelt so hoch wie im Vorjahresmonat und liegt bei 360% eines durchschnittlichen Aprils vor der Corona-Pandemie (vgl. Abbildung 2). Seit Beginn der Erhebung am IWH 2016 lag die Zahl der betroffenen Jobs nur im Juli 2020 höher.
Ein Grund für die hohe Zahl der betroffenen Jobs liegt in der abermaligen Insolvenz von Galeria Karstadt Kaufhof, für die am 1. April 2024 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Mittlerweile ist klar, dass die Gruppe von neuen Investoren weitergeführt wird und der weit überwiegende Teil der von dieser Insolvenz betroffenen Beschäftigten den Arbeitsplatz behalten wird. Allerdings lag die Gesamtzahl der von Insolvenz betroffenen Jobs im April aufgrund der Pleiten zahlreicher größerer Mittelständler deutlich höher als in einem durchschnittlichen April, selbst wenn man Galeria Karstadt Kaufhof herausrechnet. Mit über 2 000 betroffenen Jobs, aber ohne Großinsolvenz, war insbesondere der Bausektor stärker betroffen als üblich.
Das IWH erhebt Frühindikatoren, die dem Insolvenzgeschehen um etwa zwei bis drei Monate vorlaufen. Im April lagen die Werte so niedrig wie seit sechs Monaten nicht mehr. Steffen Müller, Leiter der IWH-Abteilung Strukturwandel und Produktivität sowie der dort angesiedelten Insolvenzforschung, erwartet ab Mai sinkende Insolvenzzahlen. „Während die derzeit noch außergewöhnlich hohe Zahl an Insolvenzen besorgniserregend wirkt, zeigen die Frühindikatoren klar in Richtung Entspannung“, sagt Müller. „Die Werte der Frühindikatoren sind seit drei Monaten kontinuierlich zurückgegangen. Ich gehe davon aus, dass die Insolvenzzahlen bereits ab Mai, spätestens jedoch ab Juni wieder sinken.“
IWH-Insolvenztrend: Hintergrund, Daten, Methodik
Deutlich schneller als die amtliche Statistik liefert der IWH-Insolvenztrend des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) jeden Monat einen belastbaren Befund zum bundesweiten Insolvenzgeschehen für Personen- und Kapitalgesellschaften. Die Ergebnisse weisen nur geringfügige Abweichungen von den amtlichen Zahlen auf, die mit etwa zwei Monaten Zeitverzug eine umfassende Einschätzung der Lage erlauben (vgl. Abbildung 3). Der IWH-Insolvenztrend ist deshalb ein verlässlicher Frühindikator. Für seine Analysen wertet das IWH die aktuellen Insolvenzbekanntmachungen der deutschen Registergerichte aus und verknüpft sie mit Bilanzkennzahlen betroffener Unternehmen. Dank seiner langjährigen Expertise, gebündelt in der IWH-Insolvenzforschungsstelle, gehört das Institut bundesweit zu den führenden Einrichtungen auf diesem Themengebiet.
Die im IWH-Insolvenztrend gemeldeten Insolvenzen für Kapital- und Personengesellschaften umfassen in der Regel mehr als 90% der von Unternehmensinsolvenz betroffenen Arbeitsplätze und 95% der Forderungen. Damit bilden diese Zahlen verlässlich die direkten volkswirtschaftlichen Konsequenzen des Insolvenzgeschehens ab. Auch die amtliche Statistik weist monatlich vorläufige Insolvenzzahlen aus. Diese beziehen sich jedoch auf alle Regelinsolvenzen. Regelinsolvenzen umfassen neben den im IWH-Insolvenztrend erfassten Personen- und Kapitalgesellschaften auch die gesamtwirtschaftlich wenig relevante Gruppe der Kleinstunternehmen. Zudem werden auch bestimmte natürliche Personen wie Selbstständige oder ehemals selbstständig Tätige mit unüberschaubaren Vermögensverhältnissen sowie privat haftende Gesellschafter und Einzelunternehmer gemeldet. Die Zahl der Personen- und Kapitalgesellschaften macht weniger als die Hälfte der Regelinsolvenzen aus. Die prozentualen monatlichen Veränderungen bei den Regelinsolvenzen können sich deutlich von denen der Personen- und Kapitalgesellschaften unterscheiden.
(c) IWH, 07.05.2024