Der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat am 24. Januar 2024 auf sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Stuttgart das Hauptverfahren gegen den Gründer von „Querdenken 711“ wegen des Vorwurfs des versuchten Betruges im besonders schweren Fall in 9.450 tateinheitlichen Fällen vor der 10. Großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Stuttgart eröffnet und die Anklage der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 20. März 2023 auch insoweit zur Hauptverhandlung zugelassen. Gleichzeitig hat der Senat den Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 6. Oktober 2023, soweit darin betreffend die Tatvorwürfe der Geldwäsche die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt wurde, bestätigt. Ebenfalls bestätigt wurde die Aufhebung des Haftbefehls.
Anklagevorwurf und bisheriger Verfahrensgang
Die Anklage der Staatsanwaltschaft Stuttgart legt dem Angeklagten zur Last, er habe sich als „Kopf“ der von ihm im Zuge der Proteste gegen Beschränkungen im Rahmen der Bekämpfung der Corona-Pandemie ins Leben gerufenen „Querdenken 711“-Kampagne spätestens im Mai 2020 dazu entschlossen, seine durch vorgängige Protestmaßnahmengewonnene Popularität auch für private Zwecke zu nutzen und sich insbesondere zu seinen Gunsten durch die Spendenbereitschaft seiner Anhänger Einnahmen von einiger Dauer und einigem Umfang zur Bestreitung seines Lebensunterhaltsund zur Mehrung seines Vermögens zu verschaffen. Durch Umsetzung dieses Plans habe er einen Betrag in Höhe von über 1,2 Mio. Euro durch Überweisungen und damit korrespondierende Kontogutschriften vereinnahmt, davon aber lediglich einen Teilbetrag von rund 844.000.- Euro für „Querdenken 711“ verwendet und darüber hinaus die mutmaßlich rechtswidrige Herkunft eingeworbener Gelder verschleiert. Deshalb habe er sich neben Steuerhinterziehung unter anderem auch wegen versuchten Betruges im besonders schweren Fall in 9.450 tateinheitlichen Fällen und Geldwäsche in vier Fällen strafbar gemacht.
Die zuständige 10. Große Wirtschaftsstrafkammer des Landgericht Stuttgarts hatte mit Beschluss vom 6. Oktober 2023 die Anklage der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 20. März 2023 wegen versuchter Steuerhinterziehung in vier Fällen und Steuerhinterziehung zugelassen und das Hauptverfahren insoweit eröffnet. Die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen der gegen den Angeklagten weitergehend erhobenen Tatvorwürfe des versuchten Betruges und der Geldwäsche hatte das Landgericht hingegen abgelehnt. Den gegen den Angeklagten bestehenden Haftbefehl sowie amtsgerichtlich angeordnete Vermögensarreste hatte es aufgehoben.
Zur Begründung der Ablehnung der weitergehenden Eröffnung des Hauptverfahrens hatte das Landgericht in seiner angefochtenen Entscheidung das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts hinsichtlich des Vorwurfs des versuchten Betruges und der Geldwäsche verneint. Es ging im Wesentlichen davon aus, dass eine Beurteilung des hinreichenden Tatverdachts auf der Grundlage des bisherigen Ermittlungsergebnisses im Hinblick auf die in Rede stehenden Betrugstaten (derzeit) nicht möglich sei, weil noch breit angelegte Ermittlungen mit ungewissem Ausgang anstünden.
Entscheidung des Senats
Auf die hiergegen von der Staatsanwaltschaft Stuttgart eingelegte sofortige Beschwerde hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts mit Beschluss vom 24. Januar 2024 die Anklage der Staatsanwaltschaft wegen des angeklagten Vorwurfs des versuchten Betruges zugelassen und das Hauptverfahren insoweit vor der 10. Großen Wirtschaftsstrafkammer eröffnet. Hinsichtlich des Vorwurfs der Geldwäsche hat der Senat das Vorliegen eines für die Eröffnung des Hauptverfahrens notwendigen hinreichenden Tatverdachts dagegen verneint.
Voraussetzung für die Eröffnung des Hauptverfahrens ist gemäß § 203 Strafprozessordnung, dass nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint, d.h. wenn bei vorläufiger Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses die Verurteilung in einer Hauptverhandlung überwiegend wahrscheinlich ist. Dafür bedarf es – anders als für eine Verurteilung – noch keiner Überzeugung des Gerichts von der Schuld.
Nach diesem Maßstab ist der Angeklagte nach der Entscheidung des 1. Strafsenats des versuchten Betruges hinreichend verdächtig und die Anklage auch insoweit zuzulassen. Derzeit noch offene Fragestellungen, die der Klärung in der Beweisaufnahme im Rahmen der nunmehr anstehenden Hauptverhandlung vorbehalten sind, stehen der Annahme eines hinreichenden Tatverdachts nicht entgegen.
Soweit sich das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft gegen die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens wegen des Tatvorwurfs der Geldwäsche richtete, hat der Senat dieses als unbegründet verworfen. Denn der Anklagesatz enthält keine nach Ort, Zeit und Betrag ausreichend konkretisierten Tathandlungen und genügt daher nicht den Anforderungen an seine Umgrenzungs- und Informationsfunktion.
Die ebenfalls angefochtenen Entscheidungen des Landgerichts zu den in das Vermögen des Angeklagten und eines ihm zuzurechnenden Unternehmens angeordneten Arreste wurden aufgehoben. Jedoch wurden die ursprünglich vom Amtsgericht erlassenen Arrestanordnungen durch – dem aktuellen Erkenntnisstand angepasste, insbesondere der Höhe nach reduzierte – Senatsentscheide ersetzt.
Des Weiteren hat das Oberlandesgericht festgestellt, dass bei der aktuell gegebenen Sach- und Aktenlage kein Haftgrund, insbesondere keine Fluchtgefahr, mehr besteht. Deshalb war der gegen die Aufhebung des – außer Vollzug gesetzten – Haftbefehls durch das Landgericht gerichteten Beschwerde der Staatsanwaltschaft kein Erfolg beschieden.
Die 10. Große Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Stuttgart hat nun nach Durchführung einer Hauptverhandlung über den Anklagevorwurf zu entscheiden.
(c) OLG Stuttgart, 26.01.2024