Der Planfeststellungsbeschluss des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 29. Juni 2022 zum „Mast- und Seiltausch mit Erhöhung der Übertragungskapazität auf der 110-kV-Freileitung Rheinau-Östringen, Abschnitt 1 – Rheinau-Leimen“ leidet nicht unter verfahrensrechtlichen Fehlern, auf die sich die Stadt Heidelberg (Klägerin) berufen könnte und lässt auch keine materiell-rechtlichen Fehler erkennen, die die Klägerin in ihren Rechten verletzen. Insbesondere leidet er nicht an einem die Klägerin in ihrer kommunalen Planungshoheit verletzenden Abwägungsmangel. Das hat der Verwaltungsgerichtshof (VGH) mit einem heute bekannt gegebenen Urteil vom 15. November 2023 entschieden und die Klage der Stadt Heidelberg abgewiesen.
Die Klägerin wendet sich gegen den auf Antrag der Netze BW GmbH (Beigeladene) auf Grund der §§ 43 ff. EnWG, §§ 72 ff. LVwVfG erlassenen Planfeststellungsbeschluss des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 29. Juni 2022, der einen altersbedingten Mast- und Seiltausch mit Erhöhung der Übertragungskapazität der teilweise seit 1936 bestehenden Hochspannungsleitung vorsieht.
Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, das Vorhaben beeinträchtige ihre städtebaulichen Planungsabsichten im Bereich des sogenannten Patrick-Henry-Village, wo ein neuer Stadtteil entstehen solle. Der Planungshoheit der Stadt sei kein ausreichendes Gewicht beigemessen worden. Ihre Planungsabsichten seien bereits hinreichend verfestigt. Die Alternative der Erdverkabelung sei nicht ausreichend erwogen worden, zumal sie für den in Rede stehenden Bereich eine Kostenübernahme in Aussicht gestellt habe. Auch die naheliegende Alternative einer Zusammenführung mit einer in der Nähe verlaufenden 380-kV-Höchstspannungsleitung sei nicht geprüft worden. Zudem sei die Vorprüfung nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) fehlerhaft erfolgt. Der Planfeststellungsbeschluss verletze ihr Recht auf kommunale Selbstverwaltung aus Art. 28 Abs. 2 GG (zum Gegenstand des Verfahrens siehe auch die Pressemitteilung des VGH vom 2. März 2023 zur Geschäftstätigkeit 2022, unter Punkt 3, „6. Senat“).
Der erstinstanzlich zuständige VGH hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung seines Urteils führt der 6. Senat des VGH aus:
Der Planfeststellungsbeschluss leide nicht unter verfahrensrechtlichen Fehlern, auf die sich die Klägerin berufen könnte; insbesondere sei die entsprechend den Vorgaben des § 7 UVPG durchgeführte UVP-Vorprüfung nicht zu beanstanden. Das Ergebnis, dass von dem Vorhaben keine erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen zu erwarten seien, sei im Sinne des § 5 Abs. 3 Satz 2 UVPG nachvollziehbar. Das Vorhaben werde im Wesentlichen auf der bereits vorhandenen Trasse verwirklicht, sodass anzunehmen sei, dass sich Flora und Fauna über die Jahrzehnte an die Hochspannungsleitung gewöhnt und angepasst hätten. Die zu erwartenden zusätzlichen Beeinträchtigungen entstünden im Wesentlichen durch die Bauarbeiten und seien daher temporärer Natur. Mit Blick auf die Amphibienart Kreuzkröte hätten im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Regierungspräsidiums über das Nichtbestehen der UVP-Pflicht – und im Übrigen auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats – keine Anhaltspunkte dafür bestanden, dass etwaigen Beeinträchtigungen nicht durch sachgerechte Maßnahmen im Rahmen einer ökologischen Baubegleitung begegnet werden könnte. Zudem erscheine die Erhebung der diesbezüglichen Einwendung im vorliegenden Einzelfall im Sinne des § 5 UmwRG als unredlich. Die Klägerin habe im Zuge der Auslegung der Planunterlagen mit Schreiben vom 21. Juli 2020 durch ihr Amt für Umweltschutz, Gewerbeaufsicht und Energie eine Fehlerhaftigkeit der UVP-Vorprüfung in Bezug auf die Kreuzkröten nicht beanstandet, sondern vielmehr selbst geltend gemacht, dass den insoweit in Betracht kommenden Beeinträchtigungen durch eine ökologische Baubegleitung zu begegnen sei, die bereits im Rahmen der UVP-Vorprüfung Berücksichtigung gefunden hatte. Hierzu habe die Beigeladene unter dem 7. Januar 2021 Stellung genommen und ausgeführt, die ökologische Baubegleitung werde sich bezüglich der im Vorfeld und während der Baumaßnahmen zu ergreifenden Maßnahmen zum Schutz von Flora und Fauna mit dem Amt für Umweltschutz, Gewerbeaufsicht und Energie frühzeitig abstimmen. Mit Schreiben ihres Oberbürgermeisters vom 26. März 2021 habe die Klägerin sodann ausdrücklich mitgeteilt, dass sie hinsichtlich des Umwelt- und Artenschutzes mit dem geplanten Umgang mit ihrer Stellungnahme vom 21. Juli 2020 einverstanden sei. Damit habe die Klägerin der vorgesehenen ökologischen Baubegleitung nicht nur ausdrücklich zugestimmt, sondern auch zu erkennen gegeben, dass die mit Blick auf die Kreuzkröte in der Stellungnahme vom 21. Juli 2020 erhobenen Bedenken damit ausgeräumt seien. Wenn sie nunmehr mit ihrer Klage geltend mache, das Schutzgut „Tiere“ sei im Rahmen der UVP-Vorprüfung nicht ausreichend berücksichtigt worden, setze sie sich zu ihrem bisherigen Verhalten in erheblichen Widerspruch.
Das Vorhaben sei gerechtfertigt. Es diene sowohl der Versorgungs- als auch der Anlagensicherheit. Die Beigeladene habe plausibel dargelegt, dass mittelfristig mit einem Lastzuwachs zu rechnen sei, der eine Verstärkung der Leitungskapazität erforderlich mache. Zudem hätten die teilweise noch aus den 1930er Jahren stammenden Masten das Ende ihrer technischen Lebensdauer erreicht.
Eine Verletzung zwingenden materiellen Rechts durch den angegriffenen Planfeststellungsbeschluss sei nicht ersichtlich. Insbesondere sei das in § 43h EnWG verankerte Erdverkabelungsgebot hier nicht einschlägig, weil es sich nicht um eine neue Trasse im Sinne dieser Vorschrift handele. Zudem würde nach der vorgelegten Grobkostenkalkulation der gesetzlich normierte Kostenfaktor bei einer Erdverkabelung deutlich überschritten.
Schließlich leide der Planfeststellungsbeschluss nicht an relevanten Abwägungsfehlern. Die Abwägungsentscheidung, den Trassenverlauf im Bereich des Patrick-Henry-Village beizubehalten, sei nicht zu beanstanden. Andere Trassenvarianten, insbesondere eine Zusammenführung mit der in der Nähe verlaufenden 380-kV-Höchstspannungsfreileitung, hätten sich nicht als vorzugswürdig aufdrängen müssen. Das Regierungspräsidium habe sich in dem Planfeststellungsbeschluss ausführlich mit verschiedenen Trassen- und Ausbauvarianten auseinandergesetzt und auch eingehend die Alternative einer (Teil-)Erdverkabelung im Bereich des Patrick-Henry-Village erwogen. Hierbei habe es sehr wohl erkannt, dass eine (Teil-)Erdverkabelung der Klägerin eine freiere Gestaltung des künftigen Stadtteils ermöglichen würde und dass das planfestgestellte Vorhaben die kommunale Planungshoheit aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG beeinträchtige, da es als Freileitung den künftigen Siedlungsbereich durchfahre und aufgrund einzuhaltender Abstände und Grenzwerte Einschränkungen für die weitere Planung mit sich bringe. Dem habe das Regierungspräsidium jedoch in rechtlich nicht zu beanstandender Weise diejenigen Aspekte gegenübergestellt, die derzeit gegen eine (Teil-)Erdverkabelung im Bereich des Patrick-Henry-Village sprächen, und schließlich eine Gewichtung der jeweiligen Belange vorgenommen, die keinen Abwägungsfehlern unterliege. Hierbei habe das Regierungspräsidium dem Interesse der Beigeladenen an einer zeitnahen und kostengünstigen Umsetzung des Planvorhabens den Vorrang vor dem Interesse der Klägerin an einer möglichst umfassenden Ausübung ihrer Planungshoheit einräumen dürfen. Insbesondere habe es berücksichtigen dürfen, dass sich die Planungsabsichten der Klägerin in Bezug auf das Patrick-Henry-Village noch nicht ausreichend verfestigt bzw. konkretisiert hätten. Das planfestgestellte Vorhaben habe spätestens mit der Auslegung der Planungsunterlagen beginnend am 8. Juni 2020 den erforderlichen Grad der Konkretisierung und Verfestigung erreicht. Demgegenüber habe die gemeindliche Planung für das Patrick-Henry-Village diesen Grad der Konkretisierung und Verfestigung bis heute nicht erlangt. Bei der Abwägung könne auch nicht außer Acht gelassen werden, dass die Planungsmöglichkeiten der Klägerin nicht erst durch das planfestgestellte Vorhaben, sondern bereits durch die Bestandsleitung beschränkt würden. Sie hätte daher ihrerseits die seit Jahrzehnten bestehende 110-kV-Freileitung bei ihren Planungen berücksichtigen müssen.
Die Revision wurde nicht zugelassen. Gegen die Nichtzulassung der Revision kann binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingelegt werden (Az.: 6 S 1667/22).
(c) VGH Mannheim, 21.12.2023