Der zweite Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts hat am 12. und 14. Dezember in vier Verfahren erstmals seit der im September 2022 in Iran erstarkten Protestbewegung über die asylrechtliche Situation iranischer Staatsangehöriger entschieden.
Die Berufung einer im Jahr 2016 nach Deutschland eingereisten iranischen Frau war erfolgreich (Az. 2 LB 8/22). Der Senat geht davon aus, dass Frauen, bei denen ein identitätsprägendes Bekenntnis zu „westlichen“ Werten bestehe, aufgrund derer sie sich nicht diesen Werten widersprechenden Vorschriften des iranischen Staates unterwerfen wollen, eine Anpassung in Iran nicht zugemutet werden könne und daher Schutz zu gewähren sei. Zu dem davon betroffenen Verhalten zähle kein Kopftuch zu tragen und sich insbesondere für die Gleichheit der Geschlechter einzusetzen oder sonstige regimekritische Handlungen zu begehen, die eine Verfolgungsgefahr auslösten. Im Einzelfall der Klägerin ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass ihre Zuwendung zu einem „westlichen“ Lebensstil auf einer derartigen identitätsprägenden Überzeugung beruhte. Eine Verfolgungsgefahr folge zudem daraus, dass die Klägerin sich hervorgehoben exilpolitisch betätigt habe. Ein Foto, das sie bei einer Demonstration zum Jahrestag des Todes von Jina Mahsa Amini zeige, sei mit ihrem Namen in einer namhaften überregionalen Tageszeitung veröffentlicht worden und im Internet leicht auffindbar.
In einem anderen Fall (Az. 2 LB 9/22) ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass der „westliche“ Lebensstil der dortigen Klägerin, nicht auf einer identitätsprägenden Überzeugung beruhe. Allein der Umstand, dass die Klägerin kein Kopftuch trage, hier arbeite und an Demonstrationen teilgenommen habe, sei dafür nicht ausreichend. Die Konversion der Familie zum Christentum beruhe zudem nicht auf einer ernsthaften identitätsprägenden Glaubensüberzeugung.
Nach Auswertung der Erkenntnismittel über die Lage in Iran begründen bei einer Rückkehr dorthin – nach Auffassung des Senats – folgende Umstände nicht mit der für eine Schutzgewährung erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit eine Gefahr der Verfolgung: ein längerer Aufenthalt im westlichen Ausland, eine Asylantragstellung im Ausland, die illegale Ausreise, eine reine Formalkonversion zum Christentum durch Taufe, eine bloße Demonstrationsteilnahme in Deutschland ohne weitere hinzutretende Umstände.
Für Angehörige der Ahwazi (eine arabische Bevölkerungsgruppe in Iran mit ca. 4 Mio. Angehörigen) liege keine Gruppenverfolgung durch den iranischen Staat vor. Trotz zahlreicher faktischerDiskriminierungen und Einschränkungen würden diese eine verfolgungsrelevante Schwelle nicht überschreiten. Das Einsetzen für die Belange der Ahwazi könne aber von Iran als regimekritisch bewertet werden. Vor diesem Hintergrund hat der Senat der Berufung des Klägers in dem Verfahren 2 LB 7/22 stattgegeben. Der Senat kam zu der Überzeugung, dass dem Kläger aufgrund seiner namentlichen Nennung als Mitorganisator einer Demonstration in Deutschland auf einer Internetseite eines Vereins, der sich für Menschenrechte der Ahwazi einsetzt, in Iran die Gefahr einer Verfolgung drohe.
Die Berufung eines weiteren iranischen Staatsangehörigen war ebenfalls erfolgreich (Az. 2 LB 2/23). Dieser hatte bereits zuvor erfolglos ein Asylverfahren in der Bundesrepublik durchlaufen und 2020 einen Folgeantrag gestellt, da seines Erachtens neue relevante Umstände eingetreten waren. Nach Auffassung des Senats habe der Kläger einen Anspruch auf inhaltliche Prüfung seines Antrags. Der Senat betonte, dass ein Folgeantrag nicht schon aufgrund der allgemein veränderten Lage in Iran zulässig sei, sondern weil der Kläger im Berufungsverfahren substantiiert – seine Person betreffenden – neuen Sachverhalt vorgetragen habe, nach dem eine Schutzgewährung in einem Folgeverfahren möglich sei. Dass er diese Nachfluchttatbestände selbst geschaffen habe (vgl. § 28 Abs. 2 AsylG), sei bei der inhaltlichen Prüfung – nicht jedoch bei der Zulässigkeit – des Asylfolgeantrags zu berücksichtigen.
Die Revision wurde in allen Verfahren nicht zugelassen.
(c) OVG Schleswig-Holstein, 18.,12.2023