Der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat unter seinem Vorsitzenden Dr. Ulrich Groß heute entschieden, dass der Insolvenzverwalter der Wirecard AG und der Wirecard Technologies GmbH von deren früherer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Auskunft über die in deren Handakten befindlichen Unterlagen verlangen kann, soweit diese die Prüfung der Jahresabschlüsse und Konzernabschlüsse der Jahre 2014 bis 2019 betreffen. Darüber hinaus stehe dem Insolvenzverwalter ein Einsichtsrecht in die Handakten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft bezüglich der Prüfung der Jahresabschlüsse und Konzernabschlüsse der Jahre 2014 bis 2019 zu.
Ferner hat der Senat die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft unter Androhung von Ordnungsgeld und Ordnungshaft verurteilt, die Vernichtung der entsprechenden Handakten zu unterlassen. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ist auch verurteilt worden, durch die Beantwortung ausformulierter Fragen des Klägers Auskunft darüber zu erteilen, warum der Konzernabschluss der Wirecard AG für das Jahr 2016 letztendlich uneingeschränkt bestätigt worden ist.
Damit ist die Berufung der beklagten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die erreichen wollte, dass die Klage insgesamt abgewiesen wird, sie also weder Auskunft über den Inhalt ihrer Handakten geben noch diese herausgeben muss, überwiegend zurückgewiesen worden. Erfolg hatte das Rechtsmittel nur insoweit, als der Senat die vom Landgericht ausgeurteilten Auskunfts- und Einsichtspflichten eingeschränkt hat. So wurde etwa bezüglich der Auskunftspflicht ausgeführt, dass hiervon Inhalte der Handakte, die später nicht herauszugeben sind, interne Arbeitspapiere, Aufzeichnungen über persönliche Eindrücke des Beraters, Sammlungen vertraulicher Hintergrundinformationen, Briefwechsel zwischen der Beklagten und den Insolvenzschuldnerinnen, Notizen über Gespräche mit den Mandanten und Schriftstücke, die ein Mandant bereits in Urschrift oder Abschrift besitzt, ausgenommen sind.
Rechtlicher Ausgangspunkt der Entscheidung war, dass Wirtschaftsprüfer nicht nur im öffentlichen Interesse, sondern auch im Interesse der geprüften Gesellschaften tätig werden und damit grundsätzlich im selben Umfang der Auskunfts- und Herausgabepflicht in Bezug auf ihre Handakten unterliegen wie Rechtsanwälte und Steuerberater.
Der Senat hat die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen, weil bislang höchstrichterlich nicht hinreichend geklärt sei, in welchem Umfang Wirtschaftsprüfer gegenüber ihren Auftraggebern auskunftspflichtig sind und ob von ihnen auch noch nach dem Ablauf der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist verlangt werden kann, dass sie ihre Akten nicht vernichten.
Aktenzeichen
OLG Stuttgart – 12 U 216/22
LG Stuttgart – 31 O 125/21 KfH
(c) OLG Stuttgart, 12.12.2023