Die sogenannte geschäftsmäßige Suizidhilfe soll nach Willen einer fraktionsübergreifenden Gruppe von Abgeordneten neu geregelt werden. Die bisherige Regelung in Paragraf 217 des Strafgesetzbuches (StGB) war vom Bundesverfassungsgericht Anfang 2020 für nichtig erklärt worden. Ein von 85 Abgeordneten aller Fraktionen mit Ausnahme der AfD gezeichneter Gesetzentwurf (20/904) sieht vor, dass die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ grundsätzlich strafbar sein soll. Als Strafandrohung ist eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe vorgesehen. Unter bestimmten Voraussetzungen soll die geschäftsmäßige Unterstützung allerdings nicht rechtswidrig sein. Zudem soll ein Werbeverbot für die Hilfe zur Selbsttötung neu eingeführt werden.
Zur Begründung führen die Abgeordneten an, dass nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes die geschäftsmäßige Suizidhilfe, „eine auf wiederholte Hilfe zur Selbsttötung angelegte Tätigkeit von Organisationen, Vereinen und Einzelpersonen“, im Grundsatz wieder straffrei und „ohne Regelung zum Schutz der Freiverantwortlichkeit“ möglich sei. Nach Auffassung der Abgeordneten ist es indes „die Pflicht des Staates, die Autonomie Suizidwilliger und darüber auch das hohe Rechtsgut Leben zu schützen“. Daher dürfe und müsse der Gesetzgeber „gesellschaftlichen Entwicklungen wirksam entgegentreten, die als Pressionen wirken können und das Ausschlagen von Suizidangeboten rechtfertigungsbedürftig von Seiten Dritter erscheinen lassen“, führen die Abgeordneten aus. Das grundsätzliche Verbot der geschäftsmäßigen Selbsttötung begründen die Abgeordneten mit der Notwendigkeit „für den wirksamen generalpräventiven Schutz der Freiverantwortlichkeit der Entscheidung zu Selbsttötung“. Ausnahmen sollen danach nur „in den klaren Grenzen eines konkreten Schutzkonzeptes“ möglich sein. Zudem soll mit den Regelungen „einer gesellschaftlichen Normalisierung der Selbsttötung entgegengewirkt werden“.
Nicht rechtswidrig soll laut Entwurf die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe dann sein, wenn die suizidwillige Person „volljährig und einsichtsfähig“ ist, sich mindestens zweimal von einer Fachärztin beziehungsweise einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie hat untersuchen lassen und mindestens ein „individuell angepasstes, umfassendes und ergebnisoffenes Beratungsgespräch“ absolviert hat.
Die fachärztliche Untersuchung soll laut Entwurf dazu dienen, zu klären, ob zum einen psychische Erkrankungen vorliegen, die die „autonome Entscheidungsfindung“ beeinträchtigen, und zum anderen, ob „das Sterbeverlangen freiwilliger, ernsthafter und dauerhafter Natur ist“. Zwischen den mindestens zwei Untersuchungsterminen sollen mindestens drei Monate Abstand liegen. Der Entwurf sieht in Ausnahmefällen vor, dass von einer zweiten Untersuchung Abstand genommen werden kann, wenn diese der suizidwilligen Person nicht zumutbar ist. Dies könne etwa „bei Vorliegen einer nicht heilbaren, fortschreitenden und weit fortgeschrittenen Erkrankung bei einer zugleich begrenzten Lebenserwartung“ der Fall sein und wenn die untersuchende Ärztin beziehungsweise der untersuchende Arzt der Überzeugung ist, dass „von einer weiteren Untersuchung offensichtlich keine weitere Erkenntnis zur Freiwilligkeit, Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit des Sterbeverlangens zu erwarten ist“.
Das Beratungsgespräch soll laut Vorstellung der Abgeordneten unter anderem die „Aufklärung über den mentalen und physischen Zustand“ und „mögliche psychologische und physische Auswirkungen eines fehlgeschlagenen Selbsttötungsversuches sowie soziale Folgen einer durchgeführten Selbsttötung“ beinhalten. Das Beratungsgespräch soll demnach bei einem Arzt beziehungsweise einer Ärztin, einer Psychotherapeutin beziehungsweise einem Psychotherapeuten, einer psychosozialen Beratungsstelle, einer Suchtberatung oder einer Schuldnerberatung stattfinden.
Laut Entwurf soll zwischen der abschließenden Untersuchung und der Selbsttötung eine „Wartefrist von mindestens zwei Wochen“ liegen. Die Selbsttötung muss demnach zudem innerhalb von zwei Monaten nach der letzten fachärztlichen Untersuchung erfolgen.
Der Entwurf sieht zudem einen neuen Paragraf 217a („Werbung für die Hilfe zur Selbsttötung“) vor. Demnach soll mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bestraft werden, wer „seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise“ für eine eigene oder fremde Unterstützung oder entsprechende Mittel, Gegenstände oder Verfahren zur Suizidhilfe wirbt. Ausgenommen davon sind unter anderem Ärzte und Ärztinnen beziehungsweise bestimmte Beratungsstellen, die auf Personen oder Einrichtungen hinweisen, die Hilfe zur Selbsttötung leisten sowie diese Einrichtungen und Personen selbst, wenn sie auf „die Tatsache hinweisen, dass sie Hilfe zur Selbsttötung“ leisten.
Eine weitere Änderung ist in Paragraf 13 des Betäubungsmittelgesetzes vorgesehen. Damit werde „die Möglichkeit geschaffen, die Anwendung eines Betäubungsmittels zum Zwecke der Lebensbeendigung, im Falle einer nachgewiesenen freiverantwortlichen Selbsttötungsentscheidung, als betäubungsmittelrechtlich “begründet„ anzuerkennen“, führen die Abgeordneten aus.
Mit dem Gesetzentwurf reagieren die Abgeordneten auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Februar 2020 (2 BvR 2347/15). Mit dem Urteil hatten die Karlsruher Richter das bisherige Verbot der geschäftsmäßigen Suizidhilfe in Paragraf 217 des Strafgesetzbuches für mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig erklärt. Die Norm hatte vorgesehen, dass die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ ohne Ausnahme strafbar sein sollte. Der Bundestag hatte das Verbot der geschäftsmäßigen Suizidhilfe am 6. November 2015 beschlossen.
Die Debatte zur Sterbehilfe im Bundestag: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/sterbehilfe-529962
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts: https://www.bundesverfassungsgericht.de/e/rs20200226_2bvr234715.html
Quelle: Deutscher Bundestag, HiB Nr. 98 vom 10. März 2022