Die 10. Kammer hat mit Urteil vom heutigen Tag eine Klage gegen die Videoüberwachung des Weihnachtsmarktes 2022 abgewiesen.
Vom 22. November bis zum 22. Dezember 2022 fand in der Innenstadt von Hannover ein Weihnachtsmarkt statt. Unter dem 28. Oktober 2022 beantragte die Polizeiinspektion Besondere Dienste die Videoüberwachung des Weihnachtsmarktes gemäß § 32 Abs. 3 Nr. 2 NPOG. Der Weihnachtsmarkt führe zu einem erhöhten Besucherandrang, weshalb mit einem Anstieg der Alltagskriminalität und Gefahren begründender Verhaltensweisen (u.a. aggressives, stark belästigendes Betteln, Störung durch übermäßig alkoholisierte Personen, Verstößen gegen Ordnungsnormen, unerlaubte Sondernutzung) zu rechnen sei. Zudem seien Weihnachtsmärkte seit dem Anschlag auf den Breitscheidplatz in Berlin verstärkt in den Fokus im Zusammenhang mit terroristischer Bedrohung gerückt.
Mit Verfügung vom 14. November 2022 ordnete die Polizeidirektion Hannover die Videoüberwachung an. Die Bildübertragung mit entsprechender Aufzeichnungstechnik erfolgte durch vier fest installierte Videoüberwachungsanlagen für die Bereiche Am Markte, Hanns-Lilje-Platz, Platz der Weltausstellung sowie Ballhofplatz. Maßgeblich gestützt wurde die Anordnung auf die entsprechende Datenschutz-Folgenabwägung vom 17. November 2022. Auf die Videoüberwachung wurde vor Ort und auf der Webseite der Polizeidirektion hingewiesen.
Am 12. Dezember 2022 hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt vor, es fehle an einer statisch belegbaren Analyse, nach der im Erfassungsbereich der Kameras mehr Straftaten als in nichtüberwachten Bereichen begangen würden. Zudem sei fraglich, warum nicht andere Weihnachtsmärkte in Hannover videoüberwacht werden. Auch könne ein terroristischer Anschlag nicht durch eine Videoüberwachung verhindert werden. Schließlich sei die Hinweisbeschilderung unzureichend.
Der vom Kläger am 15. Dezember 2022 eingelegte Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wurde von der 10. Kammer mit Beschluss vom 20. Dezember 2022 (Az. 10 B 5284/22) abgelehnt.
Die 10. Kammer hat heute entschieden, dass die Feststellungsklage zulässig, jedoch unbegründet ist.
Aufgrund der Beendigung des Weihnachtsmarktes kann der Kläger zwar keine Unterlassung der Videoüberwachung mehr erreichen, jedoch ist seine Feststellungsklage gerichtet auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Videoüberwachung aufgrund einer möglichen Wiederholungsgefahr zulässig. Damit hat er ein Feststellungsinteresse ausreichend geltend gemacht.
Die Klage ist indes unbegründet. Zwar hat die Videoüberwachung in sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) eingegriffen. Die Videoüberwachung ist vorliegend durch § 32 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Satz 3 Niedersächsisches Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (NPOG) gerechtfertigt.
Die Rechtsgrundlage des § 32 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Satz 3 NPOG steht mit dem Grundgesetz im Einklang. Hierzu wird auf das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht vom 6. Oktober 2020 (Az. 11 LC 149/16, abrufbar unter https://voris.wolterskluwer-online.de) verwiesen.
Nach § 32 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 NPOG dürfen die Verwaltungsbehörden und die Polizei öffentliche Straßen und Plätze sowie andere öffentlich zugängliche Orte mittels Bildübertragung offen beobachten, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass im zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einer Veranstaltung oder einem sonstigen Ereignis eine Straftat oder nicht geringfügige Ordnungswidrigkeit begangen wird und die Beobachtung im zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit diesem Ereignis zur Verhütung dieser Straftat oder Ordnungswidrigkeit erforderlich ist.
Die Tatbestandsvoraussetzungen liegen in Bezug auf den innerstädtischen Weihnachtsmarkt vor. Die Beklagte hat Auswertungen der polizeilichen Kriminalstatistik vorgelegt, aus denen sich eine erhöhte Gefahr für Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Rahmen des innerstädtischen Weihnachtsmarktes ergibt. Die Beklagte hat zunächst alle Straftaten und Ordnungswidrigkeiten in dem Bereich für die Jahre 2015 bis 2021 erfasst. Anschließend hat sie diese Vorkommnisse nochmals danach gefiltert, ob sie in Verbindung mit der Veranstaltung „Weihnachtsmarkt“ stehen.
Darüber hinaus besteht zumindest die abstrakte Gefahr eines terroristischen Anschlags auf den Weihnachtsmarkt in der Innenstadt in Hannover als besonderer Anziehungspunkt für Besucher. Der Weihnachtsmarkt hat aufgrund seiner Symbolträchtigkeit und Bekanntheit eine besondere Lage. Dabei verhindert die Überwachung u.U. nicht den terroristischen Anschlag an sich; Vorfeldaktivitäten u.a. könnten aber entdeckt werden.
Der Einsatz von Polizeibeamten statt einer Videoüberwachung ist zudem kein milderes Mittel. Zum einen ist bereits zweifelhaft, dass die Steigerung der Polizeipräsenz in einem solchen Maße überhaupt möglich wäre. Zum anderen wäre der Einsatz weniger effektiv aufgrund der zahlreichen hier genutzten technischen Möglichkeiten, u.a. des Zoomens und des Aufzeichnens.
Die Videoüberwachung des innerstädtischen Weihnachtsmarktes ist für die betroffenen Besucher auch hinreichend erkennbar. Zwar sind die Kameras sehr hoch angebracht und damit außerhalb des Sichtfeldes der den Weihnachtsmarkt betretenen Personen; die Beklagte hat aber hinreichende Hinweisschilder angebracht, die es Besuchern ermöglichen, von der Videoüberwachung Kenntnis zu erlangen. Zudem hat die Beklagte die Videoüberwachung durch eine Pressemitteilung publik gemacht. Auf ihrer Webseite konnten sogar die Standorte der Videokameras eingesehen werden.
In Bezug auf den Weihnachtsmarkt 2023 hat die Polizeidirektion in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, dass eine Videoüberwachung in Prüfung sei.
Gegen das Urteil kann die Zulassung der Berufung beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg beantragt werden. Die Entscheidung wird zeitnah in dem kostenfrei zugänglichen Niedersächsischen Vorschriftensystem (https://voris.wolterskluwer-online.de) veröffentlicht werden.
Az. 10 A 5210/2
(c) VG Hannover, 10.10.2023