Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen die zukünftige Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland zu den geplanten Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 2005 und zu einem internationalen Pandemievertrag beziehungsweise gegen den zukünftigen Erlass eines entsprechenden Ratifikationsgesetzes richtet.
Die WHO-Mitgliedstaaten befinden sich in Verhandlungen über den möglichen Abschluss eines internationalen Pandemievertrags, in dem verschiedene Maßnahmen der Pandemieprävention, -vorsorge und -reaktion geregelt werden sollen. In diesem Zusammenhang sollen auch die Internationalen Gesundheitsvorschriften überarbeitet werden. Die Verhandlungen dauern noch an. Die Beschwerdeführerin meint, dass die WHO aufgrund der derzeit verhandelten Regelungen legislative und exekutive Gewalt erhalten solle und hierdurch die Souveränität der Mitgliedstaaten aufgehoben werde.
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Die zukünftige Mitwirkung Deutschlands an dem geplanten Abschluss eines Pandemieabkommens und der geplanten Reform der Internationalen Gesundheitsvorschriften ist kein tauglicher Beschwerdegegenstand. Sie löst keine innerstaatlichen Rechtswirkungen aus, die geeignet wären, die Beschwerdeführerin in ihren Rechten zu verletzen. Da die Verhandlungen auf internationaler Ebene noch andauern, gibt es auch kein Zustimmungsgesetz, das mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden könnte.
Beim Bundesverfassungsgericht sind derzeit mehr als 1.600 weitere, nahezu identische Verfassungsbeschwerden anhängig.
Sachverhalt:
Im Dezember 2021 einigten sich die Mitgliedstaaten der WHO auf den Beginn des Prozesses der Ausarbeitung und Aushandlung eines Übereinkommens, einer Vereinbarung oder eines anderen internationalen Instruments zur Stärkung der Pandemieprävention, -vorsorge und -reaktion. Das für die Durchführung der Verhandlungen eingesetzte zwischenstaatliche Verhandlungsgremium veröffentlichte im Februar 2023 und im Juni 2023 Entwürfe für ein internationales Abkommen als Grundlage für die weiteren Verhandlungen. Nach den Entwürfen sollen insbesondere bei zukünftigen Pandemien Forschungsmaßnahmen sowie die Verteilung von Impfstoffen koordiniert und Informationen unter den Vertragsstaaten rascher ausgetauscht werden. Einzelne mögliche Sanktionen gegen Vertragsstaaten beziehungsweise die Einführung eines Sanktionssystems sind den Entwurfstexten nicht zu entnehmen. Bis Mai 2024 soll ein unterschriftsreifer Vertragstext ausgehandelt sein. In diesem Zusammenhang sollen auch die Internationalen Gesundheitsvorschriften 2005 überarbeitet werden.
Die Beschwerdeführerin rügt im Wesentlichen, dass die WHO aufgrund der derzeit verhandelten Regelungen legislative und exekutive Gewalt erhalten solle und hierdurch die Souveränität der Mitgliedstaaten aufgehoben werde. Die WHO und deren Generaldirektor könnten in selbst ausgerufenen Pandemien und Gesundheitsnotständen verbindliche Anordnungen treffen und Entscheidungen souveräner Staaten über Gesundheitsmaßnahmen außer Kraft setzen. Die geplanten Regelungen des Pandemievertrags und der reformierten Internationalen Gesundheitsvorschriften führten zur Einschränkung von Grund- und Menschenrechten und verletzten das Demokratieprinzip, das Wahlrecht der Beschwerdeführerin und die Verfassungsidentität des Grundgesetzes.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
1. Sie richtet sich nicht gegen einen tauglichen Beschwerdegegenstand.
a) Die Mitwirkung der Bundesregierung an dem Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags auf der internationalen Ebene eignet sich nicht als Beschwerdegegenstand, weil sie noch keine innerstaatlichen Rechtswirkungen auszulösen vermag; derartige Rechtswirkungen werden vielmehr erst durch ein Zustimmungsgesetz bewirkt. Zwar können Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen schon vor ihrem Inkrafttreten vor dem Bundesverfassungsgericht angegriffen werden. Die zu überprüfende Norm muss jedoch bereits erlassen – wenn auch nicht notwendigerweise schon in Kraft getreten – sein. Dies setzt voraus, dass sich Bundestag und Bundesrat abschließend mit dem Gesetz befasst haben, es also nur noch der Ausfertigung durch den Bundespräsidenten und der Verkündung bedarf.
b) Ausgehend hiervon ist die angegriffene zukünftige Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland an dem (erst zukünftig) geplanten Abschluss eines Pandemieabkommens und der zeitgleich geplanten Reform der Internationalen Gesundheitsvorschriften 2005 kein tauglicher Beschwerdegegenstand der Verfassungsbeschwerde. Denn sie löst keine innerstaatlichen Rechtswirkungen aus, die geeignet wären, die Beschwerdeführerin in ihren (Grund)Rechten zu verletzen. Da die Verhandlungen auf der internationalen Ebene noch andauern, liegt folglich schon kein Zustimmungsgesetz vor, welches Gegenstand einer abschließenden Befassung von Bundestag und Bundesrat gewesen ist.
2. Im Übrigen genügt die Verfassungsbeschwerde nicht den gesetzlichen Substantiierungsanforderungen.
Die Begründung der Verfassungsbeschwerde lässt eine mögliche Verletzung von Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten inhaltlich nachvollziehbar nicht erkennen. Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung der Verfassungsidentität und ihres Wahlrechts infolge einer beabsichtigten Hoheitsrechtsübertragung rügt, setzt sie sich nicht detailliert mit den einzelnen Artikeln der Entwurfstexte hinsichtlich möglicher konkreter innerstaatlicher Rechtswirkungen auseinander und zeigt insbesondere nicht auf, dass die derzeitigen Entwurfstexte auf eine mit den Vorgaben des Grundgesetzes unvereinbare Hoheitsrechtsübertragung an die WHO abzielen.
Beschluss vom 15. September 2023
2 BvR 1082/23
(c) BVerfG, 27.09.2023