Ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Sicherstellung der Finanzierung der Betreuungsvereine und der Betreuer (20/7352) war Gegenstand einer öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss am Montag, 18. September 2023. Die Vorlage, in der unter anderem eine „bedarfsgerechte, gleichwertige finanzielle Ausstattung mit öffentlichen Mitteln durch alle Länder“ gefordert wird, wurde fast ausnahmslos begrüßt, mehrere Sachverständige bemängelten jedoch eine ungenügende Konkretisierung. Dem Antrag zufolge ist eine bessere Finanzierung auch notwendig, um die Betreuungsstrukturen erhalten zu können. Viele Vereine stünden aktuell vor erheblichen, existenzbedrohenden Problemen, weil die Finanzierung ihrer Aufgaben unzureichend sei und auch wegen gravierender inflationsbedingter Mehrkosten.
Thorsten Becker vom Bundesverband der Berufsbetreuer/innen sprach in seiner Stellungnahme von einer ernsten Lage. Der Vorsitzende der nach seinen Worten größten Interessenvertretung von Betreuern und Betreuungsvereinen, der auf Vorschlag der SPD-Fraktion an der Anhörung teilnahm, sagte, es drohe „großer Flurschaden in der Betreuung“. Diese Entwicklung habe sich schon vor Jahren angekündigt. Betreuungsvereine hätten aufgrund der finanziellen Rahmenbedingungen aufgegeben oder planten dies in absehbarer Zeit. Die schlechten Rahmenbedingungen träfen auf die neuen Anforderungen des Betreuungsrechts, und es fehlten Fachkräfte. Betreuungsvereine und Berufsbetreuer benötigten deshalb eine verlässliche Finanzierungsgrundlage und Planungssicherheit.
Die Sachverständige Anke Gebler-Bock vom Lebenshilfe Betreuungsverein für den Kreis Heinsberg schilderte den Abgeordneten den aufwändigen Betreuungsalltag, um deutlich zu machen, dass eine fachgerechte und angemessene Finanzierung benötigt werde, um auch in Zukunft die Versorgung sicherzustellen und attraktiv zu bleiben. Mit der Anfang des Jahres in Kraft getretenen Reform des Betreuungsrechts ergebe sich ein hoher Mehraufwand im Führen von Betreuungen und in der Querschnittsarbeit. Tarifgebundene Arbeitsplätze könnten sich nicht alle Betreuungsvereine leisten. Dem sollte Abhilfe geschaffen werden. Auch die zusätzlichen Kostensteigerungen durch den Krieg in der Ukraine spiegelten sich enorm im Betreuungsalltag wieder, erklärte Gebler-Bock, die von der Unionsfraktion benannt wurde.
Lydia Hajasch von der Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V., die auf Vorschlag der SPD-Fraktion teilnahm, bezog sich in ihrer Stellungnahme auf zahlreiche Rückmeldungen örtlicher Betreuungsvereine aus fast allen Bundesländern. Sie bestätigte die Aussagen von Gebler-Bock und erklärte, die Kostensteigerungen der letzten Jahre hätten dazu geführt, dass sich viele Betreuungsvereine vor dem Aus befinden oder sich bereits aufgelöst haben. Schon vor der Betreuungsrechtsreform habe es Kostensteigerungen gegeben, die bei der Anpassung der Vergütung im Jahr 2019 nicht berücksichtigt worden seien. Von der angekündigten Vergütungssteigerung in Höhe von 17 Prozent seien tatsächlich lediglich 12,3 Prozent angekommen. Ein noch verheerenderes Bild zeige sich bei der Landes- und Kommunalförderung der Betreuungsvereine.
Thomas Künneke vom Berliner Verein Kellerkinder sagte, die neue menschenrechtliche Zielsetzung der Betreuungsrechtsreform benötige einen intensiven Kontakt zwischen Betreuenden und Betreuten. Diese zusätzliche Zeit, um den tatsächlichen Willen einer betreuten Person zu erkunden und zu unterstützen, müsse sich bei der Berufs- und Vereinsbetreuung in einer höheren Vergütungspauschale beziehungsweise in einem höheren Stundenkontingent wiederfinden. Künneke brachte auch eine Verringerung des Bedarfs an rechtlicher Betreuung ins Spiel. Laut einer Regierungsstudie benötigten 5 bis 15 Prozent der zu Betreuenden bei einer angemessenen Unterstützung durch andere Hilfen keine Betreuung. Dies seien bis zu 200.000 betreute Personen, die aus Sicht seiner Organisation in ihren Persönlichkeitsrechten eingeschränkt würden, obwohl dies nicht notwendig wäre. Es sollte ein Anreiz für Berufsbetreuer und -betreuerinnen geschaffen werden, der eine vorzeitige Beendigung einer Betreuung ermöglicht, sagte Künneke, der von der Unionsfraktion benannt wurde.
Hülya Özkan, die ein Betreuungsbüro in Bielefeld führt, berichtete den Abgeordneten aus ihrer Praxis. Der Antrag sei gut, komme aber zu spät, weil das System rechtlicher Betreuung bereits kollabiere, sagte Özkan, die auf Vorschlag der Linksfraktion eingeladen wurde. Kolleginnen hätten bereits ihre Büros geschlossen, weil sich die freiberufliche Tätigkeit nicht mehr lohne. Die Betreuungsbehörden hätten Probleme, Betreuerinnen mit freien Kapazitäten oder überhaupt neue Betreuerinnen zu finden. „Wir Betreuerinnen leisten mehr Arbeit, obwohl wir weniger verdienen“, sagte Özkan. Mit der Erhöhung des Schonvermögens zum 1. Januar 2023 habe ihr Büro weniger Einkommen. Die Kostensteigerungen durch die Inflation, die Energie- und Sachkosten sowie die Erhöhung des Mindestlohns hätten zu weiteren Einbußen geführt. Um diese zu kompensieren, sei sie gezwungen, mehr Betreuungsfälle anzunehmen. Unter diesen Umständen könne die Qualität der rechtlichen Betreuung nicht wie vom Gesetz gewünscht gewährleistet werden.
Svetlana Sonnenberg vom Bundesverband freier Berufsbetreuer (BVfB) kritisierte den Unionsantrag in ihrer schriftlichen Stellungnahme als „einseitig“. Der BVfB vertrete die Interessen der selbständig tätigen Berufsbetreuer in Deutschland. Nach einer Schätzung des Institutes fuür Sozialforschung und Gesellschaftspolitik seien 81,3 Prozent der Berufsbetreuer freiberuflich tätig. Lediglich rund 17,5 Prozent der Berufsbetreuer arbeiteten als Angestellte eines Betreuungsvereins. Vor diesem Hintergrund sei es bemerkenswert, dass in dem Antrag nur auf die Situation der Betreuungsvereine und der ehrenamtlichen Betreuer eingegangen und die weitaus größere Gruppe von Berufsbetreuern schlichtweg ignoriert werde. In dem Antrag werde die wirtschaftliche Situation der Betreuungsvereine allgemein beklagt und nicht eindeutig zwischen der Finanzierung der Betreuertätigkeit und der Finanzierung der Querschnittsarbeit differenziert, sagte Sonnenberg, die auf Vorschlag der FDP-Fraktion eingeladen wurde.
Bettina Stevener-Peters von der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe erklärte in ihrer schriftlichen Stellungnahm, es sei „klar zu konstatieren, dass die Betreuungslandschaft in Deutschland seit Jahren unterfinanziert ist“. Auch der durch die Betreuungsrechtreform 2023 verursachte Mehraufwand, fuür den keine Vergütung vorgesehen sei, stelle für viele Betreuungsvereine sowie für selbstständige Berufsbetreuer und -betreuerinnen eine existenzielle Bedrohung dar. Stevener-Peters, die auf Vorschlag der Unionsfraktion an der Anhörung teilnahm, verwies auch darauf, dass mit der Einführung des Bürgergeldes die Schonvermögensgrenzen erhöht worden seien. Dadurch gälten mehr Menschen als mittellos, mit der Folge, dass sich die Einkünfte der Betreuer und Betreuerinnen reduzierten und dies zukünftig ausgeglichen werden müsse.
Markus Trude, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Betreuungsrecht des Deutschen Anwaltvereins, sagte, auch bei der Anwaltschaft gebe es einen hohen Anteil von Rechtsanwälten und -anwältinnen, die Berufsbetreuungen mitübernähmen. Aus Erfahrung könne er berichten, dass die Kollegen und Kolleginnen mit erheblichen Kosten zu kämpfen haben. Dies beträfe nicht nur die Betriebskosten, sondern auch die inflationsbedingten Kosten. „Ein Mehr in der Tasche“ bleibe für die Berufsbetreuer und -betreuerinnen durch den geplanten Ausgleich leider nicht. Zudem seien die Betreuungen sehr viel umfangreicher geworden. Dies führe dazu, dass man je Betreuung einen erheblich höheren Arbeitsaufwand habe. Dadurch verbleibe weniger Zeit für zusätzliche Betreuungen. Nötig sei sehr viel mehr Geld, um diese wichtige und sinnvolle Arbeit auch leisten zu können. Wenn die Betroffenen mehr von dieser Arbeit haben sollen, müssten Betreuer und Vereine in die Lage versetzt werden, diese Betreuung auch zu leisten, so Trude, der auf Vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingeladen wurde.
Sanna Zachej von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e. V. (BAGFW), die auf Vorschlag der SPD-Fraktion teilnahm, erklärte, die Wahrnehmung der unterschiedlichen Aufgaben der Betreuungsvereine müsse auskömmlich finanziert werden, daher sei eine unverzügliche Anpassung der Betreuervergütung notwendig, um eine flächendeckende Insolvenz der Betreuungsvereine zu verhindern. Wegen der in den Ländern unterschiedlichen gehandhabten Finanzierung der Querschnittsaufgaben nähmen einige Betreuungsvereine seit Monaten gesetzliche Aufgaben ohne eine ausreichende Refinanzierung wahr. Auf diese Weise drohe die Betreuungsrechtsreform kaputt gespart zu werden, bevor sie für die betroffenen Menschen Wirkung entfalten könne. Die anstehende Evaluation der Betreuervergütung sollte genutzt werden, so Zachej, das Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz (VBVG) grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen.
In ihrem Antrag schreibt die CDU/CSU-Fraktion, Betreuungsvereine „leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur Umsetzung des Betreuungsrechtes in die Praxis. Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen, zum Beispiel wegen Alters oder einer Behinderung, ihre rechtlichen Angelegenheiten nicht mehr eigenverantwortlich regeln können, sind auf Betreuung angewiesen“. Die Finanzierung von Betreuungsvereinen speise sich aus der Einnahme der Vergütungspauschalen für die professionell geleistete Betreuung durch ihre Mitarbeiter sowie durch Zuschüsse der Länder und Kommunen, durch die die Querschnittsfunktionen abgedeckt werden sollen, so der Antrag weiter.
Die Betreuervergütung sei nach einer Erhöhung im Jahr 2019 unverändert geblieben; seither hätten sich die Kosten für Organisation, Fahrtkosten, Tarifsteigerungen und Energiekosten stark erhöht. Des Weiteren setze sich fort, dass Betreuungen zunehmend kompliziert und aufwändig werden: Das am 1. Januar 2023 in Kraft getretene Betreuungsrecht erfordere, dass der Wille der zu betreuenden Personen stärker als zuvor zum zentralen Orientierungsmaßstab des gesamten Handelns in der Betreuung wird. Diesen Vorgaben des (bundesgesetzlichen) Betreuungsgesetzes, das die UN-Behindertenrechtskonvention umsetzt, könne die Praxis nur gerecht werden, wenn mit erhöhtem Zeitaufwand auf die individuellen Wünsche der Betreuten eingegangen wird.
Von der Bundesregierung fordert die Unionsfraktion daher unter anderem, „unabhängig von der anstehenden Evaluierung Ende 2024 die derzeitige Kostenproblematik der Betreuungsvereine im Einvernehmen mit den Ländern umgehend zu lösen“. Zudem solle sich die Regierung im Dialog mit den Ländern für die „unverzügliche Umsetzung des gesetzlich geregelten Anspruchs der Vereine auf eine bedarfsgerechte, gleichwertige finanzielle Ausstattung mit öffentlichen Mitteln durch alle Länder einsetzen, um die gesamtgesellschaftlichen Anstrengungen der Teilhabe nicht zu gefährden“.
(c) HiB Nr. 655, 19.09.2023