Der Hessische Innenminister Peter Beuth hat heute gemeinsam mit dem Präsidenten des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) Hessen, Bernd Neumann, den hessischen Verfassungsschutzbericht 2022 und die maßgeblichen extremistischen Entwicklungen im Berichtsjahr vorgestellt. Mit 13.295 Personen ging das gesamte extremistische Personenpotenzial in Hessen im Berichtsjahr gegenüber 2021 (13.680) um 385 Personen und damit erstmals seit vier Jahren zurück. Auch die Anzahl der extremistischen Gewalttaten ist 2022 um 31 Taten auf insgesamt 60 gesunken. Nur im Bereich des Rechtsextremismus wurden 2022 mit insgesamt 50 Delikten acht Gewalttaten mehr als im Vorjahr registriert. Das LfV stuft 1.730 Personen in Hessen als Rechtsextremisten ein, von denen rund die Hälfte als „gewaltorientiert“ gilt.
Hessens Innenminister Peter Beuth sagte anlässlich der Veröffentlichung des Berichts hierzu: „Der Rechtsextremismus mit seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen ist weiterhin die größte Bedrohung für die freiheitliche Demokratie und die öffentliche Sicherheit in Hessen. Rechtsextremisten sind oftmals gewaltbereit und schmieden Pläne, in denen Straftaten oder etwa der Einsatz von Schusswaffen eine Rolle spielen. Die fortlaufende und konsequente Aufhellung der rechtsextremistischen Szene, der engagierte Kampf gegen gewaltorientierte Neonazis und die Aufklärungsarbeit über Erscheinungsformen der ‚Neuen Rechten‘ sind ein Hauptaugenmerk der Arbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz. Dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leisten im Sinne eines Frühwarnsystems für unsere Demokratie unersetzliche Arbeit und sind als Seismographen extremistischer Entwicklungen wichtiger denn je. Die Hessische Landesregierung hat ihre Sicherheitsbehörden für den Kampf gegen Demokratiefeinde gewappnet. Sowohl das LfV als auch die hessische Polizei wurden in den vergangenen Jahren massiv personell, materiell und auch rechtlich gestärkt, um entschlossen und effektiv gegen Demokratiefeinde vorgehen zu können.“
Personenpotenzial, Straf- und Gewalttaten in den extremistischen Phänomenbereichen
Personenpotenzial | Straftaten | Gewalttaten | ||||
2021 | 2022 | 2021 | 2022 | 2021 | 2022 | |
Rechtsextremismus | 1.710 | 1.730 | 946 | 1.051 | 42 | 50 |
Islamismus (davon Salafisten) | 4.000 (1.450) | 3.865 (1.370) | 22 | 27 | 2 | 1 |
Linksextremismus | 2.770 | 2.650 | 131 | 79 | 42 | 9 |
Extremismus mit Auslandsbezug | 4.350 | 4.100 | 28 | 37 | 5 | 0 |
Erläuterung zur Tabelle
Personenpotenzial: Zum Gesamtpersonenpotenzial (2021: 13.680 / 2022: 13.295) zählen auch noch die sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter (Personenpotenzial 2021: 1.000 und 2022: 1.100), die eine Schnittmenge mit dem rechtsextremistischen Personenpotenzial aufweisen.
Straf- und Gewalttaten: Extremistisch motivierte Straftaten bilden eine Teilmenge der Straftaten der Kategorie „Politisch motivierte Kriminalität“. Bei extremistisch motivierten Straftaten handelt es sich um diejenigen Straftaten, bei denen es Anhaltspunkte dafür gibt, dass sie darauf abzielen, bestimmte Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen, die für die freiheitliche demokratische Grundordnung prägend sind.
Das extremistische Personenpotenzial in Hessen hat sich im Jahr 2022 nach Zuwächsen in den vergangenen vier Jahren um insgesamt 385 verringert und liegt bei nunmehr 13.295 Personen. Das Minus im Berichtsjahr 2022 ist auf Rückgänge in den Bereichen Islamismus (-135), Linksextremismus (-120) und Extremismus mit Auslandsbezug (-250) zurückzuführen, während es in den Bereichen Rechtsextremismus (+20) und vor allem im Bereich der „Reichsbürger und Selbstverwalter“ (+100) Zuwächse gab. Im Hinblick auf die gewaltorientierten Extremisten stieg das Personenpotenzial sowohl im Rechtsextremismus (+20) als auch im Linksextremismus (+10) leicht an. Im Bereich des Rechtsextremismus wird damit fast jede zweite Person als gewaltbefürwortend, gewaltunterstützend, gewaltbereit oder gewalttätig bewertet.
LfV und hessische Polizei gemeinsam im Kampf gegen Rechtsextremismus
Sowohl die hessische Landespolizei als auch das Landesamt für Verfassungsschutz haben den Druck auf Rechtsextremisten in Hessen in den vergangenen Jahren erhöht und durch intensive Ermittlungs- und Recherchearbeit dazu beigetragen den Phänomenbereich Rechtsextremismus mit seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen in Hessen weiter aufzuhellen. Mit der Schaffung der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) Hessen R 2019 konnten seitens der hessischen Polizei mehr als 565 konzertierte polizeiliche Einsatzmaßnahmen gegen die rechte Szene durchgeführt werden. Hierbei wurden über 445 Durchsuchungen durchgeführt und ca. 18.900 Sicherstellungen vorgenommen. Rund 100 Szene-Veranstaltungen wurden durch die polizeilichen Regionalabschnitte der BAO Hessen R begleitet. Zudem wurden niederschwellig insgesamt 197 Haftbefehle gegen 179 Personen des rechten Spektrums vollstreckt. Allein 2023 vollstreckten die hessischen Ermittler im Kampf gegen die „rechte Szene“ bereits 76 Durchsuchungsbeschlüsse in Hessen, welche zur Sicherstellung von zahlreichen Waffen und NS-Devotionalien führten.
Die Hessischen Sicherheitsbehörden tauschen sich unter Berücksichtigung des Trennungsgebots zudem regelmäßig im Hessischen Extremismus- und Terrorismus-Abwehrzentrum (HETAZ) intensiv über Extremisten aus. Mit der Schaffung des HETAZ im März 2019 wurde die enge Kooperation zwischen Verfassungsschutz, Polizei und Justiz institutionalisiert. Das HETAZ dient als Plattform, über das sich Verfassungsschutz, Landeskriminalamt und die Justiz über extremistische und terroristische Bedrohungen sowie strategische Maßnahmen der Sicherheitsorgane regelmäßig austauschen. Zugleich werden je nach Lage auch kommunale Verantwortungsträger mit einbezogen.
Personalkörper des LfV seit dem Jahr 2000 verdoppelt / Analysefähigkeit verbessert
Parallel hat das Landesamt für Verfassungsschutz in den vergangenen Jahren durch Mehreinstellungen und eine konzeptionelle Neuausrichtung seine Analysefähigkeit weiter ausgebaut. So wurde das LfV personell von 2014 bis heute um mehr als 120 Planstellen deutlich aufgestockt. Heute verfügt das LfV mit mehr als 380 Planstellen über den stärksten Personalkörper in seiner Geschichte. Seit dem Jahr 2000 ist dies eine Verdoppelung. Einhergehend wurde im LfV eine eigene Abteilung geschaffen, die sich speziell um die Aufklärung der rechtsextremistischen Szene in Hessen kümmert.
„Die anhaltende und konsequente Aufhellung des Rechtsextremismus in Hessen ist eine herausgehobene und im digitalen Zeitalter besonders herausfordernde Aufgabe. Neue Entwicklungen erfordern, dass sich das LfV immer wieder neu ausrichtet und seine bereits ergriffenen und fortlaufenden Maßnahmen auf den Prüfstand stellt. Sowohl gewaltorientierte Neonazis als auch Ideologen aus dem rechten Spektrum geben uns verstärkt Anlass zur Sorge. Einseitige Meldungen und Falschmeldungen werden rasend schnell weiterverbreitet. Sie sind einer besonderen Eigendynamik unterworfen und werden ohne Gegenrede in den Filterblasen des Internets, auf denen die Menschen mit ihren Smartphones immer mehr Zeit verbringen, verstärkt“, sagte Bernd Neumann, Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz in Hessen.
Rechtsextremisten bieten seit einigen Jahren neue E-Learning-Projekte, wie „Gegen-Uni“, an und versuchen, damit dem Rechtsextremismus einen intellektuellen Anstrich zu verpassen. Dies soll insbesondere akademisch gebildete Menschen ansprechen. Laut LfV Hessen dient die sogenannte „Gegen-Uni“ als Plattform zur Verbreitung rechtsextremistischer Ideologie und trägt zur Vernetzung der neurechten Szene bei.
Prävention weiter ausgebaut
Die Aufklärungs- und Präventionsarbeit des LfV ist auch deshalb besonders wichtig, weshalb seit im Jahr 2020 alle Präventionskräfte in einer eigenen Abteilung gebündelt wurden. In der Abteilung ist außerdem die seit 2016 bestehende Phänomenbereichsübergreifende wissenschaftliche Analysestelle Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit (PAAF) angesiedelt.
Nach Ende der pandemiebedingten Einschränkungen konnte das LfV im Jahr 2022 wieder rund 300 Präventionstermine durchführen (2021: 199; 2020: 162) und damit dem zunehmenden Bedarf an Aufklärung und Beratung, insbesondere über extremistische Bestrebungen, nachkommen.
Mit dem Ziel der Koordinierung und Vernetzung der landesweiten Bemühungen zur Prävention und Intervention gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen hatte die Hessische Landesregierung bereits 2013 das „Hessische Informations- und Kompetenzzentrum gegen Extremismus“ (HKE) eingerichtet. Dieses administriert erfolgreich das 2015 ins Leben gerufene Landesprogramm „Hessen – aktiv für Demokratie und gegen Extremismus“, das mit rund elf Millionen Euro (inklusive Bundesmittel) ausgestattet ist. Hierüber können hessenweit mehr als 120 Maßnahmen staatlicher und zivilgesellschaftlicher Träger, die sich sowohl an Schulen, Vereine und Kommunen als auch an Hochschulen und Universitäten richten, gefördert werden. Inhaltlich umfassen die Angebote Projekte zur Stärkung von Toleranz-, Empathie-, Diskurs- und Demokratiefähigkeit.
Die Hessische Landesregierung und die hessischen Sicherheitsbehörden treten überdies mit der Meldestelle „HessenGegenHetze“ Extremismus, Hass und Hetze im Netz bewusst entgegen. Die Meldestelle bietet seit 16. Januar 2020 Betroffenen sowie Zeugen von Hate Speech eine niedrigschwellige Möglichkeit, möglicherweise strafbare oder extremistische Inhalte den Sicherheitsbehörden zu melden. Seit ihrer Einrichtung wurden der Meldestelle insgesamt mehr als 25.000 Beiträge aus sozialen Netzwerken und auf Webseiten gemeldet, von denen sie knapp 60 Prozent als Hate Speech einstufte. Rund 4.300 Fälle hiervon wurden aufgrund von Anhaltspunkten für Extremismus an das LfV Hessen zur Bewertung übergeben. Von den bewerteten Beiträgen waren Politikerinnen und Politiker (28 %), politische Andersdenkende (15 %) sowie Jüdinnen und Juden (12 %) seither am häufigsten von Hate Speech betroffen. Jeweils rund 4.000 Meldungen leitete die Meldestelle wegen potenziell strafbarer Inhalte an die Generalsstaatsanwaltschaft Frankfurt/M. und das Bundeskriminalamt weiter. Antisemitische Angriffe, Hetze und Beleidigungen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze können seit April 2022 zudem der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Hessen (RIAS Hessen) gemeldet werden, die seitens des Landes Hessen jährlich mit 220.000 Euro gefördert wird. Durch die Arbeit von RIAS Hessen wird ein noch besseres Bild vom tatsächlichen Umfang des Antisemitismus ermöglicht, welches alleine mit der Zahl strafrechtlich relevanter Vorfälle nicht zu fassen ist.
Rechtsextremismus: Entwicklung 2018 bis 2022
Rechtsextremisten | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 |
Personenpotenzial | 1.475 | 1.620 | 1.660 | 1.710 | 1.730 |
Straftaten* | 539 | 886 | 1.216 | 946 | 1.051 |
davon Gewalttaten* | 25 | 31 | 42 | 42 | 50 |
*Erläuterung zu dieser und den folgenden Tabellen i. Z. mit Straftaten (und damit auch Gewalttaten): Extremistisch motivierte Straftaten bilden eine Teilmenge der Straftaten der Kategorie „Politisch motivierte Kriminalität“. Bei extremistisch motivierten Straftaten handelt es sich um diejenigen Straftaten, bei denen es Anhaltspunkte dafür gibt, dass sie darauf abzielen, bestimmte Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen, die für die freiheitliche demokratische Grundordnung prägend sind.
Akribische LfV-Arbeit trug zur Zerschlagung von „Reichsbürger“-Gruppierung bei
Im Berichtsjahr gelang den Sicherheitsbehörden mit den bundesweiten Exekutivmaßnahmen gegen die mutmaßliche „Reichsbürger“-Gruppierung ein wichtiger Erfolg.
„Das LfV Hessen hat im vergangenen Jahr in einem hochkomplexen Verfahren durch intensive Aufklärungsarbeit einen ganz wesentlichen Beitrag für die Zerschlagung eines mutmaßlichen Terror-Netzwerks geleistet. Die hessischen Verfassungsschützer haben erste Erkenntnisse akribisch ausgewertet, eigene Erkenntnisse generiert und den Austausch mit Partnerbehörden in Bund und Ländern initiiert. So konnte ein Gesamtbild herausgearbeitet und der mutmaßliche Staatsstreichplan der Reichsbürger-Gruppierung letztlich durchkreuzt werden. Hierfür gebührt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern großes Lob“, so Innenminister Peter Beuth.
Wie der Innenminister hervorhob, ist die Herausforderung durch die Szene der sogenannten „Reichsbürger und Selbstverwalter“ aber weiter hoch. So zeigt sich die Dynamik der Szene im Anstieg des Personenpotenzials um 100 Personen im Berichtsjahr (2022: 1.100). Besonders aktiv zeigte sich die vor allem in Sachsen-Anhalt ansässige „Reichsbürger“-Gruppierung „Königreich Deutschland“: Im Frühjahr 2022 fasste die Gruppierung den Plan, ein Lebensmittelgeschäft und eine sogenannte „Regionalstelle“ in Hasselroth im Main-Kinzig-Kreis zu eröffnen. Gegen Ende des Berichtsjahrs wurde außerdem bekannt, dass ein Mitglied des sogenannten „Königreichs Deutschland“ in Hessen ein Lokal namens „Rohkosteria“ im Frankfurter Stadtteil Riederwald betreiben wollte. Das Lokal war Teil eines neu gegründeten „Vereinshauses“, in dem Veranstaltungen mit Nähe zum „Königreich Deutschland“ ausgerichtet werden sollten. Aufgrund des allgemeinen öffentlichen Drucks, zu dem der Verfassungsschutz durch Sensibilisierung der Kommunen und Öffentlichkeit beitrug, gaben die Akteure die Projekte in Hasselroth und im Riederwald am Ende auf. Das LfV Hessen weist darauf hin, dass weiterhin mit Anmietversuchen der „Reichsbürger“-Gruppierung in Hessen gerechnet werden muss. Im März 2023 wurden hessische Kommunen und Vermieter entsprechender Räumlichkeiten nach einer Information im Jahr 2021 erneut für das Phänomen sensibilisiert.
Hessens Initiative: Waffenrechtliche Regelversagung für Extremisten
Die Sicherheits- und Waffenbehörden in Hessen sind bestrebt, dass kein ihnen bekannter Extremist waffenrechtliche Erlaubnisse oder Legalwaffen besitzt. In Hessen gibt es seit Jahren im Rahmen der gesetzlichen Maßgaben eine enge Zusammenarbeit zwischen den Waffen- und Sicherheitsbehörden. Sie dient der Zusammenführung, Auswertung und waffenrechtlichen Bewertung der bei Sicherheits- und Waffenbehörden vorliegenden Erkenntnisse. Sind in einem Fall die waffengesetzlichen Voraussetzungen für eine Unzuverlässigkeit gegeben, leiten die Waffenbehörden umgehend ein Versagungs- bzw. Entziehungsverfahren ein. So konnten in Hessen im Zeitraum von 2019 bis 30.06.2023 insgesamt 148 Personen waffenrechtliche Erlaubnisse entzogen beziehungsweise versagt werden. Hessen hat sich in den letzten Jahren für eine Verschärfung des bundesweiten Waffenrechts eingesetzt, um bekannten Extremisten waffenrechtliche Erlaubnisse leichter zu entziehen. Kern der Forderung Hessens war die „waffenrechtliche Regelversagung für bekannte Extremisten“. Demnach sollte jeder beim Verfassungsschutz bekannte Extremist automatisch seine Waffenerlaubnis entzogen bzw. versagt bekommen.
„Die Hessische Landesregierung fordert bereits seit Jahren, dass bei Waffenerlaubnissen endlich die Regelversagung für Extremisten eingeführt wird. Wer dem Verfassungsschutz als Extremist bekannt ist, sollte keine Waffenerlaubnis haben, das ist ein denkbar einfaches Prinzip. Es ist an der Bundesregierung, nun endlich tätig zu werden“, betonte Innenminister Peter Beuth.
Linksextremismus: Einflussnahme auf Klimabewegung
Im Phänomenbereich des Linksextremismus reduzierte sich das Personenpotenzial von 2.770 (2021) auf 2.650 (2022) Personen. Auch die Anzahl von Straf- und Gewalttaten ging von 131 im Bundestagswahljahr 2021 auf 79 Delikte in 2022 zurück (-40 Prozent). Gleichwohl blieb die Anzahl der gewaltorientierten Linksextremisten im vergangenen Jahr nahezu unverändert (2022: 600; 2021: 590).
Linksextremisten greifen immer wieder Themen auf, von denen sie vermuten, dass sie damit an nicht-extremistische Teile der Gesellschaft andocken können. Ein solches Thema ist der „Antifaschismus“, weil der Kampf gegen Rechtsextremismus grundsätzlich eine hohe Anschlussfähigkeit aufweist. Der Innenminister und der Verfassungsschutzpräsident warnten vor möglichen Konfrontationen zwischen Personen aus dem rechtsextremistischen und linksextremistischen Spektrum. Besonders die mutmaßlichen Gewalttaten der Gruppierung rund um die zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilte Linksextremistin Lina E. zeigten, dass gezielte Gewalt gegen ausgewählte Einzelpersonen in Teilen der Szene kein Tabu mehr sei.
Das LfV Hessen beobachtet im Phänomenbereich zudem verstärkt, dass Linksextremisten die Klimaschutzbewegung für ihre Zwecke zu instrumentalisieren versuchen. „Die Klimaschutzthematik hat sich zu einem der zentralen politischen Themen der Gegenwart entwickelt und wird inzwischen von nahezu allen politischen Akteuren in Deutschland thematisiert. Vor diesem Hintergrund greifen Linksextremisten verstärkt Klima- und Umweltschutz-Themen auf. Sie versuchen dabei gezielt Einfluss auf friedliche Bewegungen zu nehmen“, so der hessische Verfassungsschutzpräsident Bernd Neumann.
Gruppierungen, die sich für den Klimaschutz engagieren, fallen nicht unter den gesetzlichen Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes, auch dann nicht, wenn sie Straftaten begehen. Erst wenn sich solche Gruppierungen ideologisch oder in ihren Handlungen verfassungsfeindlich radikalisieren oder durch Linksextremisten beeinflusst werden, ist eine Zuständigkeit des Verfassungsschutzes gegeben.
Insbesondere mit Beginn von notwendigen Räumungs-/Rodungsarbeiten kommt es durch in Teilen radikale und gewaltorientierte Waldbesetzerinnen und Waldbesetzer sowie linksextremistische Klientel, die zunehmend aus allen Teilen des Bundesgebietes und auch aus dem europäischen Ausland Unterstützung erhalten, vermehrt zu strafbaren Handlungen. Zuletzt konnte dies Anfang 2023 bei den Rodungsarbeiten im Fechenheimer Wald in Frankfurt am Main festgestellt werden.
„Für Linksextremisten gilt, dass sie in der Regel auch den Staat, die freiheitliche demokratische Grundordnung, staatliche Institutionen und Repräsentanten als ‚faschistisch‘ und damit als bekämpfenswert ansehen. Es geht Linksextremisten also nicht allein um den ,Kampf gegen Rechts‘ oder für den ‚Klimaschutz‘, sondern letztlich um die revolutionäre Überwindung des Staates, an dessen Stelle je nach Ideologie eine sozialistische, kommunistische oder anarchistische Gesellschaft treten soll“, sagte LfV-Präsident Bernd Neumann.
Linksextremismus: Entwicklung 2018 bis 2022
Linksextremisten | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 |
Personenpotenzial | 2.570 | 2.600 | 2.600 | 2.770 | 2.650 |
Straftaten | 48 | 65 | 110 | 131 | 79 |
davon Gewalttaten | 13 | 5 | 34 | 42 | 9 |
Salafismus als Nährboden für jihadistische Radikalisierung
Hinsichtlich des islamistischen Terrorismus gab es in Deutschland zuletzt keine Anschläge in Deutschland. In Hessen hat das Personenpotenzial radikaler Islamisten und Salafisten im vergangenen Jahr abgenommen. Die Gefahr, dass sich insbesondere isoliert handelnde Personen von der Propagandamaschinerie terroristischer Gruppierungen wie dem sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) zu Gewalttaten inspirieren lassen, ist aber nach wie vor gegeben. Die Sicherheitsbehörden gehen daher weiterhin mit aller Entschlossenheit gegen den gewaltorientierten Islamismus vor. So gab es zuletzt im Mai 2023 bundesweite Durchsuchungen im Zusammenhang mit einem mutmaßlichen internationalen Netzwerk, das den IS-Terror durch Spenden gefördert haben soll. Im Zusammenhang mit diesem Verfahren wurden auch 15 Objekte in Hessen durchsucht.
Islamismus: Entwicklung 2018 bis 2022
Islamisten (davon Salafisten) | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 |
Personenpotenzial | 4.170 (1.650) | 4.170 (1.650) | 4.170 (1.650) | 4.000 (1.450) | 3.865 (1.370) |
Straftaten | 27 | 36 | 35 | 22 | 27 |
davon Gewalttaten | 1 | 1 | 2 | 2 | 1 |
LfV-Präsident Bernd Neumann hob hervor, dass es seit einiger Zeit auch wieder verstärkt zu Missionierungsversuchen von Salafisten in der Realwelt kommt: „Außer der Street Da’wa sind auch wieder verstärkt salafistische Seminare festzustellen. Entsprechende Veranstaltungen dienen der Vernetzung der Szene und der Indoktrination. Deshalb versucht das LfV Hessen, etwa durch Information von Kommunen, auf die Verhinderung salafistischer Seminare hinzuwirken. Denn salafistische Missionierung ist der Nährboden für eine jihadistische Radikalisierung und für Gewalttaten.“
Desinformation: Falschmeldungen haben Hochkonjunktur
Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine hat 2022 den Fokus des LfV auf verstärkte Spionageaktivitäten staatlicher Akteure aus dem Ausland gelenkt. Deutschland gehört in vielen Bereichen der Forschung und Wirtschaft zur Weltspitze. Dies weckt Begehrlichkeiten und führt zu vielfältigen Bedrohungen: durch Konkurrenten, die sensible Informationen und Know-how abschöpfen wollen, aber auch durch ausländische staatliche Akteure, die dem Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort oder Politik und Verwaltung durch gezielte Angriffe schaden wollen. Daher bildet der Wirtschaftsschutz als präventiver Teil der Spionageabwehr einen festen Bestandteil der Aufgaben des LfV. Dies gilt insbesondere, seitdem sich 2021 die militärischen Drohgebärden Moskaus gegenüber der Ukraine verschärft haben.
Darüber hinaus sind verstärkt Desinformationskampagnen als ein Mittel der hybriden Kriegsführung feststellbar. Vorwiegend wird im Internet und in den sozialen Medien der Versuch unternommen, auf die Meinungsbildung und die Politik in Deutschland durch Desinformation Einfluss zu nehmen. Dadurch soll das Vertrauen in staatliche Stellen zersetzt, die Polarisierung der Gesellschaft befördert und die freiheitliche demokratische Ordnung untergraben werden.
„Die Erkenntnisse unserer Sicherheitsbehörden zeigen, dass das russische Regime vermehrt Mittel der hybriden Kriegsführung wie Spionage- und Cyberoperationen sowie Desinformation einsetzt. Diese Instrumente zielen darauf ab, unsere Gesellschaft zu spalten, Einfluss auf demokratische Willensbildungsprozesse zu nehmen, Deutschland von seiner Unterstützung der Ukraine abzubringen und in der Auseinandersetzung mit westlichen Demokratien strategische Vorteile zu erlangen. Dem setzen wir uns mit einem umfassenden Ansatz entschlossen zur Wehr. Wir haben einen Hessischen Sicherheits- und Resilienzrat gegründet und eine Rechtsgrundlage zum besseren Schutz der Verwaltung vor Cyberangriffen geschaffen. Die hessischen Sicherheitsbehörden beobachten die Lage genau und sind weiterhin äußerst wachsam für illegitime Einflussnahme- und Destabilisierungsversuche“, sagte Innenminister Peter Beuth.
Das Landesamt für Verfassungsschutz in Hessen wird die Entwicklungen in allen Extremismusbereichen weiterhin intensiv im Blick behalten und die Öffentlichkeit darüber aufklären. Sie finden den Verfassungsschutzbericht 2022 unter
https://verfassungsschutz.hessen.de/publikationen/verfassungsschutzberichte.
(c) IM Hessen, 24.08.2023