Das Bundeskartellamt hat heute den vierten Bericht über die Wettbewerbsverhältnisse bei der Erzeugung elektrischer Energie – sog. „Marktmachtbericht“ – vorgelegt. Der Bericht analysiert die Marktmachtverhältnisse bei der Erzeugung und dem erstmaligen Absatz von Strom im Zeitraum vom 1. Oktober 2021 bis 31. März 2023. Die vom Bundeskartellamt im Rahmen des Marktmachtberichtes durchgeführten Analysen basieren auf umfangreichen Daten zum Einsatz sämtlicher Kraftwerke in Deutschland im Berichtszeitraum.
Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: „Die Marktmachtverhältnisse bei der Stromerzeugung haben sich verfestigt. RWE ist unverändert der größte Stromerzeuger in Deutschland. RWE ist in einer Vielzahl von Stunden unverzichtbar für die Deckung der Stromnachfrage in Deutschland und liegt damit klar über der Vermutungsschwelle für Marktbeherrschung. EnBW und LEAG sind nahe an diese Schwelle herangerückt.“
Die wettbewerbliche Bedeutung eines Unternehmens kann man häufig an den Marktanteilen ablesen. Bei der Stromerzeugung sind Marktanteile allerdings nicht aussagekräftig, weil Strom nicht speicherbar ist. Er muss genau in den Momenten produziert werden, in denen er gebraucht wird, und zwar in jeder Stunde des Jahres. Wie hoch die Marktanteile über das Jahr betrachtet sind, ist daher nicht entscheidend. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob und inwieweit ein Anbieter für die Stromnachfrage unverzichtbar ist. Ist die Nachfrage hoch und das Angebot knapp – z. B. wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht – könnten unverzichtbare Anbieter in diesen Knappheitsmomenten den Preis manipulieren. Daher bemisst sich die Marktmacht im Strombereich danach, in wie vielen Stunden im Jahr ein Unternehmen unverzichtbar ist, um die Nachfrage zu decken („Pivotalität“).
Für Stromerzeuger hat eine marktbeherrschende Stellung ganz entscheidende Konsequenzen. Insbesondere dürfen sie keine Erzeugungskapazitäten künstlich zurückhalten, weil sie dadurchin Knappheitsmomenten manipulativ den Preis in die Höhe treiben könnten. Das wäre missbräuchlich. Das Amt erstellt den Marktmachtbericht, damit die Stromerzeuger besser einschätzen können, ob sie der Missbrauchsaufsicht durch das Amt unterliegen und ihnen damit eine manipulative Kapazitätszurückhaltung verboten ist.
Andreas Mundt: „Mit dem Marktmachtbericht trifft das Bundeskartellamt zwar keine förmliche Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung. Eine solche Feststellung kann letztlich nur im Rahmen einer konkreten Einzelfallentscheidung erfolgen. Das Überschreiten der Vermutungsschwelle für eine marktbeherrschende Stellung ist für die Unternehmen, konkret für RWE, ein starkes Indiz dafür, dass sie mit ihrem Marktverhalten das Missbrauchsverbotbeachten müssen. Die künstliche Verknappung des Stromangebots wäre damit kartellrechtlich hochproblematisch. Die Kraftwerksparks der EnBW und der LEAG sind inzwischen häufiger für die Deckung der Stromnachfrage unverzichtbar. Beide Unternehmen lagen aber noch nicht eindeutig über der Vermutungsschwelle für Marktbeherrschung. Die Kraftwerksparks aller drei führenden Stromerzeuger sind insbesondere dann für die Deckung der Nachfrage unverzichtbar, wenn bei hoher Nachfrage die Einspeisung von Strom aus Wind und Sonne gering ist.“
Die Entwicklung der inländischen Kraftwerkskapazitäten weist im Berichtszeitraum Besonderheiten auf. Anfang 2022 wurden noch Kraftwerke endgültig abgeschaltet, auch drei Atomkraftwerke. Zur Dämpfung der Strompreissteigerungen im Zuge des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine wurden die Laufzeiten von drei anderen Atomkraftwerken kurzzeitig verlängert, und es wurden für einen längeren Zeitraum Kohlekraftwerke reaktiviert. Trotz dieser krisenbedingten Kapazitätserweiterungen haben sich die Marktmachtverhältnisse verfestigt.
Das Bundeskartellamt hat ferner für den Berichtszeitraum die Bedeutung freier ausländischer Kraftwerkskapazitäten und damit den Einfluss von Stromimporten für die Entwicklung der Marktmachtverhältnisse in Deutschland untersucht.
Andreas Mundt: „Stromimporte werden perspektivisch zunehmend unverzichtbar, um die Marktmacht der führenden inländischen Anbieter wettbewerblich in Schach zu halten. Über das gesamte Jahr betrachtet exportiert Deutschland zwar mehr Strom als es importiert. Diese Gesamtbetrachtung darf aber nicht über die Tatsachen und den wettbewerblichen Befund hinwegtäuschen: Ausländische Erzeugungskapazitäten sind vor allem dann für die Deckung der Nachfrage besonders wichtig, zum Teil sogar unerlässlich, wenn die inländische Stromerzeugung aus Wind und Sonne gering ist, die Stromnachfrage aber gleichzeitig hoch. Ohne ausreichende Stromimporte in solchen Momenten der Knappheit wäre die Marktmacht inländischer Stromerzeuger noch stärker ausgeprägt. Schon in 2022 wurde die Marktmacht inländischer Anbieter vermehrt nur durch Stromimporte begrenzt. Im laufenden Jahr werden weitere konventionelle Kraftwerkskapazitäten abgebaut. Die wettbewerbliche Bedeutung von Stromimporten für eine Deckung der Nachfrage in knappen Zeiten und damit für die Begrenzung der Marktmacht der führenden Anbieter dürfte daher perspektivisch weiter zunehmen.“
Ob und inwieweit Stromimporte die Marktmacht jeweils konkret begrenzen, hängt von der Kapazität des Übertragungsnetzes sowie von den Angebots- und Nachfrageverhältnissen in unseren Nachbarländern ab. Marktsituationen, in denen Stromimporte zur Begrenzung der Marktmacht inländischer Erzeuger erforderlich waren, traten nach den Analysen des Bundeskartellamtes im Berichtsjahr nicht mehr nur besonders konzentriert im Frühsommer auf. Zu dieser Zeit ist ein nicht unerheblicher Teil der inländischen konventionellen Erzeugungskapazitäten typischerweise in der jährlichen Revision und daher nicht verfügbar. Solche Situationen waren vielmehr zunehmend auch in Tagesrandstunden im Herbst sowie zu sonnen- und windschwachen Zeiten im Winterhalbjahr zu beobachten.
Nach Ende des Berichtszeitraumes wurde der Atomausstieg endgültig abgeschlossen und die befristeten Reaktivierungen von Kohlekraftwerken laufen schrittweise aus. Hinzu kommenweitere geplante Kraftwerksstilllegungen insbesondere im Rahmen des Kohleausstiegs. Die Bedeutung von Stromimporten für die Begrenzung der Marktmacht der führenden inländischen Stromerzeuger dürfte daher noch weiter zunehmen. Die konkreten Entwicklungen werden im nächsten Marktmachtbericht analysiert und dargestellt.
Das Bundeskartellamt hat den gesetzlichen Auftrag, mindestens alle zwei Jahre einen Marktmachtbericht zu veröffentlichen. Aufgrund der oben dargestellten Entwicklungen wird dasBundeskartellamt auch den kommenden Marktmachtbericht früher als nach der gesetzlich vorgesehenen Zweijahresfrist veröffentlichen.
Der aktuelle Marktmachtbericht ist hier abrufbar.
(c) Bundesnetzagentur, 09.08.2023