In der Sommerurlaubszeit liegen Freud und Leid nah beieinander. Die Familie fiebert dem Urlaub an den heimischen Stränden an Nord- und Ostsee entgegen oder will in den heißen Süden aufbrechen. Wer die Touren mit dem Auto macht, erkennt schnell: Auf den Autobahnen ist es voll. Dies führt häufig zu kritischen Situationen, in denen es dann auch hin und wieder zu Unfällen mit – Gott sei Dank – häufig nur Blechschäden kommt.

In einer aktuellen Entscheidung (LG Köln, Urt. v. 06.06.2023, Az. 21 O 45/23) hat das Landgericht Köln einen altbekannten Grundsatz bestätigt: Wer beim klassischen Auffahrunfall auffährt, ist jedenfalls in der Regel „schuld“ an dem Unfall oder – wie die Juristen sagen – im Rahmen der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge unter Berücksichtigung der von beiden Kraftfahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahren nach §§ 17 Abs. 1, 2 StVG zu 100 % einstandspflichtig.

Denn in der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass bei Auffahrunfällen, auch wenn sie sich auf Autobahnen ereignen, der erste Anschein dafür sprechen kann, dass der Auffahrende den Unfall schuldhaft dadurch verursacht hat, dass er entweder den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat (§ 4 Abs. 1 StVO), unaufmerksam war (§ 1 StVO) oder aber mit einer den Straßen- und Sichtverhältnissen unangepassten Geschwindigkeit gefahren ist (§ 3 Abs. 1 StVO) (BGH Urteil vom 13.12.2016, Az.: VI ZR 32/16 Tz 10). Denn der Kraftfahrer ist verpflichtet, seine Fahrweise so einzurichten, dass er notfalls rechtzeitig anhalten kann, wenn ein Hindernis auf der Fahrbahn auftaucht (BGH a.a.O.).

So lag es auch im jetzt vom LG Köln entschiedenen Fall: Der Kläger (Fahrer eines Mercedes) und die Beklagte (Fahrerin eines Audi) befuhren mit ihren Fahrzeugen die Autobahn A 1 Fahrtrichtung Dortmund kurz vor der Ausfahrt Köln-Zentrum. Die Beklagte fuhr auf der äußerst rechten, der Kläger auf der links danebengelegenen Spur. Auf der Spur, die der Kläger zu diesem Zeit-punkt noch befuhr, staute sich der Verkehr etwas. Die Spur, auf der sich die Beklagte bewegte, wies keine staubedingten Behinderungen auf. Der Kläger wechselte auf die rechte Fahrspur und kollidierte kurze Zeit später mit dem vor ihm befindlichen Fahrzeug der Beklagten. Er fuhr auf der Fahrspur der Beklagten auf deren Heck auf. Bei der Kollision kam es zum Kontakt mit der rechten hinteren Ecke des Beklagtenfahrzeugs.

Mit seiner Klage verlangte der Kläger anteiligen Schadenersatz von der Be-klagten wegen der Beschädigungen an seinem Fahrzeug. Er machte geltend, er habe rechts Richtung Köln-Zentrum „rausfahren“ wollen. Die Be-klagte sei rechts an ihm vorbeigefahren. Er habe dann den weiteren rück-wertigen Verkehr beobachtet, der sich hinter der Beklagten hätte befinden können. Nachdem er sich vergewissert gehabt habe, dass er „rüber ziehen“ könne, sei er „rüber gezogen“. Dann habe er wieder nach vorne geschaut und bemerkte, dass die Beklagte zu 1) gestanden habe. Er habe noch ver-sucht nach rechts auszuweichen.

Mit diesem Vortrag hat ihn die zuständige Kammer des Landgerichts nicht gehört. Seine Klage wurde abgewiesen. Denn, so die 21. Zivilkammer, er habe den oben beschriebenen Anscheinsbeweis nicht widerlegen können, wofür er als Kläger aber darlegungs- und beweisbelastet ist. Der Kläger be-schreibe in seinem Vortrag und letztlich auch in seiner persönlichen Anhörung vor dem Gericht selbst einen Vorgang, der darauf schließen ließe, dass er im Moment des Herüberziehens keinen hinreichenden Abstand zu dem Fahrzeug vor ihm hatte.

Gilt aber den Anscheinsbeweis, ist zu Lasten des auffahrenden Klägers von einem schwerwiegenden Verkehrsverstoß auszugehen, so dass er für die entstandenen Schäden alleine haftet. Die Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Beklagten bleibt dann außer Betracht.

Dieser in der höchstrichterlichen Rechtsprechung seit Jahrzehnten anerkannte Anscheinsbeweis beim Verkehrsauffahrunfall ist ein „juristischer Klassiker“, der für Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare extrem prüfungs- und examensrelevant ist. Im Rahmen des allgemeinen Haftungsrecht dürfte es auch Jurastudierenden nicht schaden, wenn sie ihn im frühen Stadium der Ausbildung schon kennenlernen.

(c) LG Köln, 01.08.2023

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