Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter hat ihren Jahresbericht 2022 vorgelegt. Wie es in dem als Unterrichtung (20/7660) vorliegenden Bericht heißt, hat die Nationale Stelle im Berichtszeitraum 66 Einrichtungen besucht und vier Abschiebungen begleitet. „Hierbei stellte sie Einschränkungen in der Ausübung von Menschenrechten und auch Verletzungen der in Artikel 1 Abs. 1 GG geschützten Menschenwürde fest“, heißt es im Vorwort.
Als „besonders kritische Feststellungen“ hält der Bericht neun „gravierenden Situationen“ fest, „die eine eklatante Verletzung der Menschenwürde bedeuten“. Kritisch sieht die Nationale Stelle unter anderem den Umgang mit Abschiebungen von Familien. „Trotz eindringlicher Empfehlungen“ sei festgestellt worden, „dass die Achtung des Kindeswohl bei Abschiebungsmaßnahmen regelmäßig nicht ausreichend berücksichtigt wird“. Moniert wird beispielsweise, dass die Betroffenen meistens zu Nachtzeiten abgeholten würden, unabhängig davon, ob Kinder oder andere vulnerable Personen von der Maßnahme betroffenen seien. „Insbesondere für kleine Kinder bedeutet eine Abholung zur Nachtzeit nicht nur eine empfindliche Störung ihres gesunden Schlafrhythmus, sondern kann zu Traumata bei der Verarbeitung des Erlebten führen“, heißt es in dem Bericht.
Auch die Situation in Haftanstalten wird problematisiert. So berichtet die Nationale Stelle unter anderem, dass es in einer besuchten Justizvollzugsanstalt besonders gesicherte Hafträume gebe, die einem „Glaskäfig“ gleichen würden. Um miteinander kommunizieren zu können, müssten die dort untergebrachten Häftlinge liegend oder kniend durch die Kostklappe sprechen, die auf Fußbodenhöhe angebracht sei, und durch die auch die täglichen Essensrationen gereicht würden. „Diese Bedingungen führen zu einer erniedrigenden Situation für die betroffenen Gefangenen und zu einer menschenunwürdigen Unterbringung“, heißt es in der Vorlage.
Kritsch angemerkt wird auch der Umgang mit Toiletten in Hafträumen. So habe die Nationale Stelle in Erfahrungen gebracht, dass Gefangene auch weiterhin in Doppelhafträumen ohne abgetrennte Toiletten untergebracht werden. In einer solchen Situation werde die Menschenwürde verletzte, heißt es in den Bericht.
Wie schon im Vorjahr bilden die Zustände im Maßregelvollzug den Schwerpunkt des Berichts. Wie es in dem Bericht heißt, hat sich die Nationale Stelle das Ziel gesetzt, bis Ende 2023 alle Einrichtungen des Maßregelvollzugs zu besuchen, im vergangenen Jahr waren es 24 Einrichtungen in zwölf Bundesländern. Kernkritikpunkt ist, dass die Einrichtungen sehr häufig überbelegt seien. Dies beeinträchtigte die Betreuung und Behandlung der Patientinnen und Patienten, teilweise würden sie im Justiz- und nicht im Maßregelvollzug untergebracht werden müssen. Im Justizvollzug könne die in einem solchen Fall „unerlässliche psychiatrische Betreuung“ vermehrt nicht oder nur ungenügend geleistet werden, heißt es im Vorwort des Bericht. Problematisiert wird in diesem Kontext „die in den letzten Jahren immer wieder vorgefundene Verwahrung von Strafgefangenen, deren Zustand sich aufgrund mangelnder psychiatrischer Versorgung weiter verschlechtert hatte“. Vor diesem Hintergrund wolle die Nationale Stelle im laufenden Jahr den Umgang mit psychischen Auffälligkeiten im Vollzug verstärkt in den Fokus stellen.
Zu den „besonders kritischen Feststellungen“ mit Bezug zum Maßregelvollzug gehört die Mehrfachbelegung der Patientenzimmer. Selbst bei ausreichender Raumgröße sei eine Belegung „mit drei und mehr psychisch oder suchtkranken Personen problematisch“. Mangelnde Privatsphäre könne Aggressionen auslösen und zu Konflikten führen. Das erschwere zudem die Behandlung und könne den angestrebten Behandlungserfolg verzögern, heißt es in der Vorlage. Kritisch wird zudem angemerkt, dass in einigen Kriseninterventionsräumen in Einrichtungen des Maßregelvollzugs keine sanitären Anlagen vorhanden seien, der Gang zur Toilette regelmäßig nicht ermöglicht werden und die Verrichtung der Notdurft in einem Steckbecken durch Überwachungskameras gefilmt werde. „Die Situation war allein schon deshalb untragbar, weil der Eimer, in welchem die Ausscheidungen der untergebrachten Personen erfolgten, von diesen durch die Kostklappe – zur Übergabe der Verpflegung – nach draußen zum Pflegepersonal weitergereicht werden musste“, heißt es in dem Bericht.
Ferner wird kritisch angemerkt, dass landesgesetzlichen Regelungen zu Fixierungen im Maßregelvollzug im Saarland, in Niedersachsen, Berlin und Sachsen-Anhalt nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entsprechen würden. Das Gericht hatte dazu am im Juli 2018 geurteilt.
Sowohl mit Bezug auf den Maßregel- als auch auf den Justizvollzug kritisiert die Nationale Stelle, dass Personen „über mehrere Wochen, sogar Monate, von anderen Personen abgesondert“ untergebracht worden seien. Sie erhielten demnach nur eingeschränkte Betreuung, bekamen kaum Beschäftigungsmöglichkeiten angeboten und ihnen wurde teilweise die Möglichkeit verwehrt, „eine Stunde im Freien zu verbringen“.
Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter ist Deutschlands Einrichtung für die Wahrung menschenwürdiger Unterbringung und Behandlung im Freiheitsentzug. Sie basiert auf dem Zusatzprotokoll zur Antifolterkonvention der Vereinten Nationen. Wie es in dem Bericht heißt, verfügt die Nationale Stelle über ein Jahresbudget von 640.000 Euro.
Die Webseite der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter: https://www.nationale-stelle.de/nationale-stelle.html
(c) HiB Nr. 547 vom 11.07.2023