Das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße hat einem Eilantrag gegen eine Wegstreckenauflage des Landkreises Südliche Weinstraße in Bezug auf eine für Samstag, 8. Juli 2023 angemeldete Fahrraddemonstration auf der B 10 zwischen Landau-Godramstein und Annweiler-Ost stattgegeben.
Anfang Juni 2023 meldeten mehrere Personen für Samstag, den 8. Juli 2023, von 14 – 17 Uhr eine Fahrraddemonstration mit dem Thema „Für die Verkehrswende, mehr alltagstaugliche Radwege und gegen den 4-spurigen B 10-Ausbau“ an. Die Veranstalter sahen vor, auf der Höhe von Landau-Godramstein auf die Bundesstraße 10 (B 10), die in diesem Bereich ausschließlich für den motorisierten Verkehr zugelassen ist, aufzufahren und etwa 7,7 km weiter bei Annweiler-Ost wieder abzufahren. Der Landkreis Südliche Weinstraße erließ am 23. Juni 2023 eine Wegstreckenauflage mit dem Inhalt, dass die Demonstration aus Sicherheitsgründen nicht über die B 10, sondern über die Ortschaften Godramstein, Siebeldingen, Albersweiler und Queichhambach nach Annweiler zu erfolgen habe.
Dagegen legte der Antragsteller, der als Versammlungsleiter der Demonstration fungiert, Widerspruch ein und suchte um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz nach. Er hält die Wegstreckenauflage für rechtswidrig. Eine gleichartige Fahrrad-Demonstration auf der B 10 habe bereits im Jahre 2021 stattgefunden. Dort habe das Sicherheitskonzept reibungslos funktioniert und es sei zu keinerlei Unfällen gekommen. Eine Fahrraddemonstration, die gegen den Ausbau der B 10 gerichtet sei, müsse auf dieser Straße stattfinden.
Der Landkreis Südliche Weinstraße entgegnete, um die Sicherheit der Demonstrationsteilnehmer zu gewährleisten, sei eine Vollsperrung der B 10 notwendig. Dies sei jedoch nicht möglich, weil dies auf den Umleitungsstrecken zu einer massiven Gefährdung der öffentlichen Sicherheit führen würde.
Der Eilantrag des Antragstellers war erfolgreich. Die 5. Kammer des Gerichts führte zur Begründung u.a. aus, der Umstand, dass die B 10 in dem hier von der Fahrraddemo betroffenen Bereich zwischen Landau-Godramstein und Annweiler-Ost lediglich für den Kraftfahrzeugverkehr zugelassen sei, schließe deren Nutzung für Versammlungszwecke nicht aus. Zwar seien damit umfangreichere Sicherungsmaßnahmen und nicht unerhebliche Verkehrsbehinderungen verbunden. Jedoch gehörten Verkehrsbehinderungen und Staubildungen auf Bundesstraßen zu den üblichen, mit polizeilichen und straßenverkehrsrechtlichen Mitteln grundsätzlich zu beherrschenden Erscheinungen. Anders als bei im Regelfall nicht oder nicht exakt vorhersehbaren Verkehrsstörungen könne den durch Versammlungen eintretenden Behinderungen im Rahmen eines Verkehrslenkungs- und Sicherheitskonzepts vorausschauend durch Umleitungen, rechtzeitige Warnungen, Meldungen im Verkehrsfunk und andere geeignete Maßnahmen begegnet werden.
Gemessen daran erweise sich die Wegstreckenauflage voraussichtlich aufgrund einer unzureichenden Gefahrenprognose als rechtswidriger Eingriff in die Versammlungsfreiheit des Antragstellers. Der Landkreis hätte sich im Anschluss an die Anmeldung des Veranstalters Anfang Juni 2023 nach dem Grundsatz vertrauensvoller und fairer Kooperation um ein vorausschauendes Verkehrslenkungs- und Sicherheitskonzept bemühen können. Im Rahmen dessen hätte er die Erfahrungen aus der Fahrraddemo im Jahre 2021 einfließen lassen können, bei der es zu keinen unzumutbaren Verkehrsproblemen gekommen sei. Die Annahme des Landkreises, das durch die Fahrrademo ausgelöste verkehrliche Gefahrenpotential sei nicht vertretbar, sei nicht hinreichend aussagekräftig. Denn Umleitungen beziehungsweise Sperrungen führten im Allgemeinen regelmäßig zu Staubildungen und zähfließendem Verkehr. Dies sei angesichts der überragenden Bedeutung des Versammlungsrechts nicht von vornherein unzumutbar. Im Übrigen finde die Versammlung an einem Samstagnachmittag statt, also zu einem Zeitpunkt, an dem nicht mit Berufsverkehr und mit deutlich weniger Schwerlastverkehr als unter der Woche zu rechnen sei. Auch werde die Sperrung der B 10 für Kraftfahrzeuge und die Umleitung für diese über die anliegenden Ortschaften voraussichtlich in diesem Aufzugsabschnitt auf einen Zeitraum von ca. ein bis zwei Stunden beschränkt sein.
Das Gericht verkenne nicht, dass die Inanspruchnahme der B 10 auf dem 7,7 km langen Teilstück von Godramstein bis Annweiler-Ost durch die Versammlungsteilnehmer erhebliche Beeinträchtigungen der Leichtigkeit des Straßenverkehrs in den Ortschaften Queichhambach, Albersweiler, Siebeldingen, Birkweiler, Godramstein und wohl auch darüber hinaus verursachen werde. Auch berechtige die Versammlungsfreiheit als solche nicht ohne weiteres dazu, die von den Teilnehmern gewollte Verkehrswende ohne Rücksicht auf die Rechte Einzelner oder öffentliche Interessen gleichsam auf eigene Faust durchzusetzen. Solange die Inanspruchnahme des öffentlichen Straßenraums durch diese Art der Versammlung in Dauer und Frequenz aber überschaubar bleibe, seien die damit einhergehenden Beeinträchtigungen im Hinblick auf den hohen Wert der Versammlungsfreiheit einerseits und die Bedeutung des Versammlungsthemas für die öffentliche Meinungsbildung andererseits in einer demokratischen Gesellschaft noch hinzunehmen. Dabei gehe die Kammer davon aus, dass die Veranstalter Sorge dafür tragen würden, dass der Abschnitt Godramstein bis Annweiler-Ost von den Versammlungsteilnehmern zügig befahren und ohne vermeidbaren Zeitverzug wieder verlassen werde. Gegebenenfalls könne die Polizei auch vor Ort geeignete Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass die Sperrung in zeitlicher Hinsicht auf das erforderliche Maß beschränkt bleibe, so etwa im Hinblick auf „Nachzügler“.
Gegen den Beschluss ist das Rechtsmittel der Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz zulässig.
Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße, Beschluss vom 6. Juli 2023
– 5 L 577/23.NW –